Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 19. Dezember 2005, Heft 26

Rechts über »links«

von Uwe Stelbrink

Andrea Nahles gilt den Medien als SPD-Linke. Ich weiß nicht, womit sie das verdient hat, Gerhard Schröder hat den Jusos schließlich auch schon vorgesessen. Was ich bisher an politischer Substanz bei dieser Dame beobachten konnte, läßt sich getrost auf einen Satz reduzieren: Agenda 2010 mit jüngerem Personal. Offensichtlich genügt solcher Ansatz, um in der SPD und für die Medien als links zu gelten – durch Widerständigkeit ist Andrea Nahles in der Vergangenheit jedenfalls nicht aufgefallen.
Trotzdem hat die Etikettierung ihre Aufgabe erfüllt: Offensichtlich ermuntert durch SPD-präsidiale Linke vergleichbarer Durchschlagskraft trat sie gegen Münteferings Favoriten für den Posten des SPD-Generalsekretärs an – und bekam eine Mehrheit.
Das Roll back funktionierte schnell und zuverlässig: Münte trat zurück, Andrea Nahles bekam Angst vor der eigenen Courage, die Linkspräsiden beteuerten im Chore, DAS nicht gewollt zu haben, Platzeck trat statt dessen an, unterstützt parteiintern von den Netzwerkern und assistiert von den Medien, die im Deichgrafen sofort die Gewähr erkannten, politischen Dammbruch in der SPD zu verhindern. Die vermeintliche Linke streute sich öffentlich Asche aufs Haupt und verzichtete als Zeichen der Buße gleich freiwillig auf den Anspruch auf Parteiämter. Das Ergebnis ist perfekt: Eine Agendariege um Platzeck wird den Großkoalitionären den Rücken freihalten – Platzeck wird ja mangels anderer vorzeigbarer Leistung vor allem zugute gehalten, die Politik der SPD dem Volke so gut verkaufen zu können. Dies hätte Münte in dieser Vollkommenheit als Großer Vorsitzender nie hinbekommen.
Würde Andrea Nahles einen klügeren Eindruck auf mich machen, könnte ich ihr zugestehen, in eine gut aufgestellte Falle der SPD-Rechten gegangen zu sein. Statt dessen nehme ich an, daß sie in ihrer schon desöfteren vorgeführten Naivität einfach gestolpert ist – und die SPD-Rechte hat nur die Gelegenheit genutzt, zumal ihr die Gefallene auch nicht durch übergroße Anstrengungen beim Wiederaufstehen in die Quere kam. Außerdem soll ich nicht an Verschwörungstheorien glauben.
Nun ist die Personalie Nahles eigentlich unwichtig. Ihr Stolpern wirft aber ein bezeichnendes Licht auf den inneren Zustand der SPD. Wenn denn – freilich in völliger Verkennung der Person – ein linker, agendakritischer Flügel hinter Andrea Nahles hätte versammelt gewesen sein sollen (stärker kann ich den Konjunktiv nicht ausdrücken), so sagt dessen kampflose Aufgabe alles über dessen Verläßlichkeit und Militanz. Und der umjubelte Siegeszug von Platzeck mindestens gleichviel über die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse in der SPD.
Hoffentlich hat der Vorgang Nahles wenigstens dazu beigetragen, daß bei der Fraktionsdoppelspitze der Linken etwas Realismus einzieht. Oskar Lafontaine sollte wissen, daß er von der SPD nicht die von ihm gewünschte Entwicklung in Richtung »echter Sozialdemokratie« erwarten darf. Im Gegensatz zu ihm glaube ich übrigens, mit der SPD die ganzen Jahre schon »echte Sozialdemokratie« erlebt zu haben, und diese Entwicklung reicht mir eigentlich. Gregor Gysi fehlen natürlich die Erfahrungen aus den Innereien der SPD; worauf seine vage Hoffnung ruht, die SPD könne vielleicht in vier Jahren für die Linkspartei koalitionsfähig sein, hat er bisher noch nicht zu erklären vermocht. Statt dessen hat er die Erfahrung der verlorenen Bundestagswahl 2002, als sich die PDS der SPD und ihrer Wählerschaft unter dem Motto Stoiber verhindern geradezu als Koalitionsalternative anbot – um nicht die kräftigere Vokabel zu nutzen. Das Ergebnis ist bekannt. Freilich wurde der verlorene Wahlkampf von Genossen konzipiert und geführt, die nun – nach kurzzeitigem Parken in anderen Funktionen – für die Linkspartei im Bundestag sitzen. Darunter nam- und dauerhafte Vertreter der Auffassung, daß ein wirklicher Politikwechsel in Deutschland nur im Bunde mit der SPD zu erreichen sei, was einen gewissen Wahrheitswert gewinnt, wenn man Politik auf Parlamentarismus reduziert und obendrein mit Wahlarithmetik verwechselt.
Insofern spricht Gregor Gysi nicht nur für sich, sondern für eine einflußreiche Strömung in der PDS. Wie die sich mit den WASG-Mitgliedern in der Fraktion verträgt, die ja gerade aus der Einsicht, daß mit und in der SPD keine soziale und demokratische Politik mehr zu machen ist, ein eigenes politisches Gegenprojekt aufgemacht haben, wird sich zeigen.
Die Wähler der Linkspartei werden aber vor allem erwarten, daß ihre Bundestagsfraktion eine eigenständige Politik betreibt und nicht mitten in der Großen Verbrüderung wahltaktische Avancen Richtung SPD macht. Dazu müßte sich die Linke Fraktion erinnern, daß die Millionen, die den Glauben an den Parlamentarismus noch nicht verloren haben und Linkspartei wählten, dies mit ganz konkreten Politikvorstellungen gegen Agenda und Hartz verbunden hatten. Das aber ist mit der SPD nicht zu haben, heute nicht und – ich setze in Lafontainscher Tradition eine Kiste Rotwein – in vier Jahren auch nicht.
Wenn die Karrieredelle von Andrea Nahles zu solcher Klarheit beitragen würde, hätte sie neben der SPD-Rechten auch noch der Linkspartei und ihren Wählern einen Dienst erwiesen.
So ungerecht kann das Leben sein.