von Jörn Schütrumpf
Auch CDU und SPD haben ihre Lehren aus dem 20. Jahrhundert gezogen: Nie wieder Nationalismus, nie wieder Bevorzugung der Deutschen oder gar der einheimischen Bevölkerung nichtdeutscher Zunge. In diesem Punkt sind sie sich einig mit allem, was sich in diesem Land für Elite hält; also nicht zuletzt mit sich selbst.
Während des Kalten Krieges gab es zwar noch einen Ausrutscher; aber damals ging es bei weitem nicht um alle Deutschen. Deshalb wäre ein – zudem postumer – Nationalismusvorwurf an Adenauer und Nachfolger geradezu bösartig. Die Wohlfahrt für die große Mehrheit der Westdeutschen war nicht nationalistisch motiviert, sondern eine Art Kollateralschaden des Kalten Krieges: eine unbeabsichtigte, wenngleich unvermeidbare Nebenwirkung, die sich erst nach 1989 abstellen ließ.
Seitdem haben sich CDU und SPD gemüht – »Asylkompromiß« hin, »Asylkompromiß« her –, jeglichem Nationalismusverdacht die Nahrung zu entziehen; wobei die Sozialdemokraten bisher deutlicher überzeugen konnten. So wie sie – erst in Ost, dann in West – die Privilegien und überzogenen Ansprüche der verantwortungsscheuen und kapitalschwachen Produktionseigentumsverweigerer zurückschnitten, hätten es die sozialdemokratisch angekränkelten Christdemokraten nie gekonnt. Weil die Christdemokratin neuen Typus noch nicht richtig zum Zuge kommen konnte: ohne Bindung an ein Milieu, ohne Bindung an eine nachfolgende Generation, nicht einmal mit einer existenzsichernden Bindung an einen Landesverband versehen. Erst das Schweben im Alles oder Nichts macht für alles verwendbar und für nichts unfähig. Hannah Arendt, die aus Deutschland Vertriebene, hat in diesem unglücklichen Menschenschlag schon vor fünfzig Jahren das »Material« für jegliche Art von Totalitarismus erkannt.
Aber soweit ist es noch nicht. Noch regieren CDU und SPD. Allerdings suchen sie sich zu überbieten: beim Kampf darum, wer sich als Erster überflüssig macht. Das jüngste »Projekt«, die Kürzung von Hartz IV für Jugendliche, ist zukunftsweisend; irgendjemand muß schließlich für den Nachwuchs der Nazis sorgen.
Seit über zehn Jahren fallen die Reallöhne, und darüber ist man froh in Deutschland. Auch Dein Lohn fällt, auch Du bist Deutschland. Seid stolz, denn das nützt dem Export – und der erhält Arbeitsplätze. Exportweltmeister war man zwar auch schon, als die Löhne noch wohlstandsfördernd stiegen und im Inland richtig gekauft wurde. Aber bei niedrigeren Löhnen bleibt mehr Geld hängen – das dann im Ausland angelegt werden kann, ja muß, weil – so O-Ton des BDI-Chefs – in Deutschland die Schulen ein schlechtes Niveau produzieren. Rausholen, was sich rausholen läßt – und dann nichts wie weg. Schon vor über dreißig Jahren meinte jemand, der nicht immer ganz genau wußte, was er sagte, daß aus unseren Betrieben noch viel mehr rauszuholen sei; seine Seligsprechung durch den BDI sollte erwogen werden.
Arbeitsplätze, deren Schaffung stets als Motiv für jegliche »Reformen« angeführt wird, müssen in dieser Logik mindestens immer billiger werden – oder wegfallen. Schinder oder Inder lautet die Parole, bisher noch unausgesprochen. Denn in NRW ist gerade kein Wahlkampf.
Selbst Roland Koch scheint im Moment die nationale Welle zu meiden. Statt, wie zu erwarten, zum Zwecke der finalen Zerstörung des Landes das »Vaterland in Gefahr« auszurufen, verordnete er »Heulen und Zähneklappern«, erreicht damit jedoch natürlich, wenngleich völlig unnationalistisch, das gleiche Ziel: jeglichen Verzicht zu rechtfertigen – bis zumindest die Verwertungsunwerten unter den Deutschen aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen.
Ganz so neu, wie es auf den ersten Blick scheint, ist das alles nicht: Auch in den zwanziger Jahren machten die deutschen »Eliten« samt SPD nach verlorenem Krieg und gewonnener Inflation eine Politik des knappen Geldes und der Zerstörung des Binnenmarktes. Am Ende suchten viele Deutsche ihr Heil im Nationalsozialismus. Falls das demnächst wieder eintreten sollte, wird es nur eines beweisen: daß das deutsche Volk – seine »Eliten« natürlich ausgenommen – nichts aus der Geschichte gelernt hat.
Spätestens dann wird es auch für uns heißen: Nichts wie weg. Vielleicht zum Inder – oder gleich zum Schinder.
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