von Max Hagebök
In den Medien überstürzen sich seit der Wahl von Angela Merkel und Matthias Platzeck die politischen Analysten. »Bossi« wird zur verspielten BILD-Analogie der Hirnamputierten. Mit den verliebten Worten eines Spätpubertierenden haucht Jörges vom stern auf Radio 1 seinen Kommentar zu Platzeck. Andere sehen in Angela Merkel die emanzipatorische Morgendämmerung einer Neuzeit. Der linke Stammtisch hält mit seiner Rache des Ostens und der siegreichen Kampfreserve (für den gelernten Wessi: die FDJ) dagegen.
Jeder findet für das scheinbar Unerklärliche seinen Trost.
Nun sitze ich in der frühen Dämmerung bei einem Glas Tee und erkläre mir die Welt. Dafür ist ein Früchtetee mit Honig unschlagbar. Meine Oma riet mir, den Honig erst hineintropfen zu lassen, wenn der Tee abgekühlt sei. Daran halte ich mich und habe trotzdem einen Schnupfen. Scheinbar sind auch die alten Ideen nicht mehr besonders tragfähig. Musikalisch wird diese tägliche Wechselzeit mit Bill Frisells blues dream unterlegt. Besser geht es nicht. Wären da nicht die beiden Ossis. Sie zwingen den Geist heraus. Nicht etwa weil sie irgendetwas mitteilen, das fröhlich machte. Ihr einfaches Dasein ist es.
Genug der Vorrede. Es ist nicht spannend.
Beide sind existentiell unpolitisch. Das ist der einzige, ja, der wahre Grund, warum sie die Macht erhalten.
Das ist eigentlich kein Paradoxon und trotzdem für den gläubigen Bürger unverständlich. Der meint immer noch, daß Parteien und Politiker politisch seien. In diesem Irrglauben bewertet er Angela Merkel und Matthias Platzeck und glaubt an das politische Talent der beiden. Das tun natürlich auch die Journalisten und die anderen Unpolitischen in den Regierungen und Parteien. Es entsteht eine pseudopolitische Welt mit eigenen Regeln.
Die sind so verfertigt, daß sich in ihnen immer nur das eben Vergangene reflektiert. Die Gegenwart und auch die Zukunft lassen sich so natürlich nicht gestalten. In diesem Lichte mutet Helmut Kohl als Kanzler der Einheit an und Angela Merkel als eine, die politisches Geschick habe. Von Platzeck weiß man eigentlich nur, daß er irgendwann Gummistiefel in der richtigen Größe fand und mit ihnen schlief. Neben der Journalistin, die über sein unermüdliches Tun berichtete. Keiner wird erfahren, worauf sie anspielte. Doch in der unpolitischen Welt war er ein Held. Auch weil er aussieht wie im Fernsehen der Jauch: wie ein Netter. So nett, daß in einem Interview mit der Märkischen Oderzeitung der arme Bisky von der Linkspartei nichts Böses über ihn sagen mochte. Ihm fiel einfach nichts ein. Dabei hätte er nur Platzecks Reden zu Hartz IV und ähnlichen sozialen Trümmerlandschaften lesen müssen.
Das Verbindende zwischen der Merkel und dem Platzeck ist beider Haltung zu den sozialen Problemen in dieser Republik. Sie ist asozial. Im reinsten Sinne des Wortes, und dies wurzelt in ihren Biographien.
Beide sind echte Kinder der DDR. Da gibt es kein Wenn und Aber, sie waren die Kampfreserve. Im Gegensatz zu ihnen gab es tausende Parteimitglieder, die mutiger und kritischer die SED und DDR begleitet haben. Diese beiden Naturwissenschaftler waren fast bis zum Ende stets linientreu – ARGUS hin, ARGUS her. Das konnten sie sein, weil sie unpolitisch waren. Denn die politischen Menschen in der DDR rieben sich an der Wirklichkeit wund. Egal in welcher Struktur. Die beiden hingegen richteten sich in den Strukturen ein. Ihr Egoismus brauchte zum Leben den Opportunismus. Beruflicher Erfolg war und ist ihr Leitbild. Dafür waren sie gewollt unpolitisch. Ihre Intelligenz diente einer egozentrierten Lebensplanung. In der Logik ihres naturwissenschaftlich diktierten Denkens dominieren eindimensionale Ursache-Wirkungs-Ketten. Abweichungen von der Norm sind abnorm und nicht akzeptabel.
Und es wird weiter experimentiert – solange, bis das Ergebnis stimmt. Mit diesem normierten Verhalten kann in jeder Gesellschaft erfolgreich Karriere gemacht werden. Egal ob in der DDR oder in der BRD. Es sind diese beiden Helden, an denen deutlich wird, daß die Strukturen zwischen den beiden Ländern gleich waren. Der gleiche Typ Mensch erhält in beiden Systemen die Macht.
Politisch betrachtet, zeigt sich, daß heute die letzten sozialen Politiker verdrängt werden. Die Zeit der unpolitischen Strukturalisten ist gekommen: Die Gesellschaft wird Testreihen unterzogen – mit offenem Ergebnis. Nach Merkel und Platzeck kommt die Zeit für eine Renaissance sozialer Bewegungen – oder für einen Führer.
Bill Frisell ist zu Ende. Ein neuer Tee lohnt sich nicht.
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