Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 6. Juni 2005, Heft 12

Schröder entläßt die Wähler

von Max Hagebök

Ich liebe die Presse. Diese objektiven Berichterstatter an den Trögen der Mächtigen sind in Form. Täglich lächelt mir Frau Merkel entgegen, und der Schröder sitzt zerfurcht auf irgendwelchen Treppenstufen. Er wurde plaziert. Sicherlich, es war ein Foto von der Eröffnung der Akademie der Künste, aber der symbolische Wert ist unumstritten. Deshalb sollte dieses Foto im Wahlkampf der CDU/CSU eine zentrale Rolle spielen. Schröder als fleischgewordener Treppenwitz der Geschichte. Natürlich werden die Genossen nicht drüber lachen können, doch wen stört das schon. Minderheiten dienten immer schon als Balsam für die geschundene Volksseele. Lacht das Volk, dann ist das Volk gesund. Und ein gesundes Volk ist geldwert.
Faszinierend finde ich an dieser angestrebten Neuwahl, daß sich alle strategischen Köpfe der geistigen Elite dieses Landes daran messen, tiefgründige Erklärungen für Schröders letzten politischen Akt zu finden. Keiner kommt darauf, darin die kontinuierliche Fortschreibung eines Despoten zu sehen. Das Schrödersche politische Paradoxon mußte zu diesem Ende führen. War er doch der erste, der die Republik als Unternehmen definierte und so führen wollte. Sein Glauben an die wirtschaftlichen Erfolgsgaranten, die er nie in Frage stellte, war die Kraft, die stets das Beste glaubte und stets das Böse schuf.
Die zentrale Kategorie seines politischen Handelns ist der Eigennutz. Er ist der erste Kanzler, der wesentliche Mechanismen und Werte aus der Welt der Wirtschaft in das Politische transformierte. Mit diesem Kanzler wurde ein neuer Politikertyp eingeführt. Die Schlüsselbegriffe für diese Kaste sind Effizienz, Pragmatismus und Gewinn. Indem Schröder mit diesen Werten aus der wirtschaftlichen Sphäre in der Politik erfolgreich war, öffnete er der Erosion der Demokratie das Tor.
Auf einsamen Kommandohöhen steht der Steuermann und lenkt die Galeere zu fernen Ufern. Klugerweise hat er vorher alle Ferngläser eingesammelt, so daß die Mannschaft nicht erkennen kann, wohin die Reise geht. Vertrauen in die Weitsicht des ersten Mannes schützt vor den eigenen Zielen. Nach dieser Prämisse hat sich Schröder die Kanzlerjahre verschönt. Seine Partei und seine Wähler glaubten oder verzweifelten.
Der Kurs wurde nach den wirtschaftlichen Winden ausgerichtet. Beschlossen in rauchgeschwängerten Rotwein-Runden mit denen, die Nutzen aus den politischen Daumenschrauben ziehen wollten. Der Abbau demokratischer Regeln ging einher mit dem Verlust des sozialen Konsenses der Republik.
Irgendwann begann es Schröder zu dämmern, daß er mit seiner Politik nicht einmal ansatzweise den eigenen Zielen gerecht werden kann. Seine Reformen bringen nicht einmal mehr Wählerstimmen; seine Helfer aus der Wirtschaft (Hartz, Müller) haben versagt; der Scherbenhaufen ist riesig. Deutschland – als Unternehmen betrachtet – ist bankrott.
Mit nie geahnter Ehrlichkeit gestand sich der Lenker ein, offenen Auges einen Eisberg gerammt zu haben. Schröder geht von Bord. Irgendwo wartet auf ihn ein Rettungsschiff. Damit bleibt er sich treu. Niemals geht ein Manager im Büßerhemd und wird arbeitslos. Er geht unverstanden und mit gut gefüllten Taschen. Deshalb fällt es Schröder nicht schwer, den Job an den Nagel zu hängen. Er will nicht wieder gewählt werden.
Was bleibt? Neue Ideen braucht das Land. Dafür braucht es neue Leute. Frau Merkel und ihre Mannschaft haben sich bisher kaum von der SPD unterschieden, so wird der Wechsel nicht zu bemerken sein. Eine halbtote Schimäre wird gesattelt; der Reiter wird ausgewechselt. Mit gleichen Scheuklappen wird im Kreis getrottet und nach vorn geschaut.