von Liesel Markowski
Dieser junge Mann, genannt Albert Herring, steht im Mittelpunkt von Benjamin Brittens gleichnamigem Lustspiel, das in Berlins Komischer Oper neuproduziert zu erleben ist. Der Komponist und sein Librettist Eric Crozier haben ihre Idee nach einer pikanten Novelle Maupassants im victorianischen England angesiedelt und die Spießermoral einer Kleinstadt ironisch-satirisch aufs Korn genommen. Unter Führung der energischen wohlhabenden Lady Billows nebst ihrer Haushälterin Florence wollen die Honoratioren des Ortes, Lehrerin, Pfarrer, Bürgermeister und Polizeichef, eine Tugendkönigin zum Maifest küren. Da aber die Jungfrauen hier, wie von Florence erkundet, durchweg in schlechtem Ruf stehen, wählen sie den makellos braven Albert Herring, Sohn der Gemüsehändlerin. Das Ganze ist ihm, der seiner Verklemmtheit wegen von den zickigen Girls geneckt und verspottet wird, peinlich. Doch das ansehnliche Preisgeld verleitet ihn zuzustimmen.
Der junge Tenor Finnur Bjarnason hat dem Titelhelden mit seinem schönen klaren Tenor und seiner sympathischen Erscheinung überzeugendes Profil gegeben. Man glaubte diesem Albert seinen plötzlichen Wandel: Wenn er unter der Wirkung der von jungen Leuten heimlich für ihn mit Rum »veredelten« Festtagsbowle mit dem Preisgeld verschwindet, um das sündige Leben kennenzulernen, wenn er sich, zurückgekehrt, von seiner beklemmenden Umwelt befreit und nach London aufbricht.
In die fünfziger Jahren haben Regisseur Willy Decker und Ausstatter Wolfgang Gussmann die Story verlegt. Waren verkrampfte Tugendvorstellungen damals in unseren Breiten noch aktuell? Heute ganz sicher nicht mehr. So könnte Albert Herring eine reizvolle Parabel persönlicher Emanzipation sein, zum Beispiel im Witz des Wechselspiels, daß ein Mann einen Frauenpreis erhält, sich selbst dann aus Anpassung und Unterwerfung befreit. Die Inszenierung aber setzt auf Vordergründiges: auf Gags über Gags und auf Klamauk. Die Szene sieht ja recht hübsch, bunt und lustig aus. Eine knallgrüne Konzertmuschel mit uniformierten Musikern der Kurkapelle, die unter Peter Wodner fürs gehobene Publikum spielen, oder der fahnengeschmückte Krönungsplatz mit den Honoratioren in nationalem Dress und dem maigekrönten Albert.
Nein, die feine englische Art war auf der Bühne kaum auszumachen. Ging es doch eher um derben Spaß, der die Figuren anprangerte. Ärgerlich vor allem, daß jeglicher sprachlicher Witz außen vor blieb: Völlige Textunverständlichkeit war ein unverzeihlicher Mangel. Einblendungen hätten Abhilfe geboten. Inga Nielsens Lady Billows, gesungen in großen, zum Teil auch scharfen Soprantönen, ließ kein Wort verständlich rüberkommen. Viel besser auch nicht das übrige Ensemble.
Dennoch war köstlich Klingendes im Spiel. Brittens wunderbare Musik kam im – oben auf der Szene und unten im Graben aufgeteilten – kammermusikalisch besetzten Orchester unter Gesamtleitung von Jin Wang prächtig zur Geltung: in ihren parodistischen Anspielungen auf Händel, Wagner, Purcell, im sanften Sound der Zwischenspiele – eben in der feinen englischen Art eines Benjamin Britten.
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