von Max Hagebök
Müntefering hat es wieder geschafft. Ich war irgendwo auf der Autobahn und hörte nicht ganz ausgeschlafen die Nachrichten. Es ist die beste Zeit, um sich auf irgendeiner Straße mit seinem Auto von dieser Welt zu verabschieden. Der mobile Arbeitnehmer läßt grüßen.
Doch gegen diesen sekundenschnellen Schlaf kämpfen im Radio unzählige fröhliche Morgenfrauen und zynische Morgenmännchen an. Dampfplauderer, die kaum eine vernünftige Frage stellen können und wollen. Mitten in meinen wiederholten Suizidversuch traf mich die Botschaft: Gegen das Kapital mobilisiert Müntefering das Volk zum letzten Gefecht. Daß Schröder und Clement Tage später dem Genossen beisprangen, machte die Sache politisch scheinbar taktischer, aber in den Augen der wirtschaftlichen und publizistischen Elite nicht akzeptabler. Das Morgenrot des Frühlings wurde zur ungeliebten Metapher. Plötzlich waren die Genossen wieder vaterlandslose Gesellen.
In diesem Geschrei ging jemand, der sich ansonsten gern zitiert sieht, der Weise Professor Rürup, unter: Ein Mann, eine Pension, ein Besserwisser. Rentenpapst, Rentenklauer und Pensionsbezieher. Einer von denen, die bezahlt werden, anderen das zu kürzen, was sie für sich selbst reklamieren. Dieser weise Mensch ließ vernehmen, daß die Arbeitslosigkeit auch in den nächsten fünfzehn Jahren hoch und unabwendbar bleibe. Weitergehende Prognosen unterließ er.
In meinen folgenden wachen Momenten überlegte ich, wie diese beiden Großereignisse politischer Analyse zusammenpassen. Immerhin hatten zwei ausgewiesene Reformer scheinbar die Phalanx der »Alles wird gut«-Rufer verlassen und bewegten sich auf dem festen Boden der Unwissenheit. Dies unter Wahlkampfklingeln abzutun, schien spätestens bei Rürup nicht glaubhaft. Es mußte mehr dahinter sein.
Eiligst herbeigerufene Demoskopen sahen plötzlich eine Einheit von Volk und Partei entstehen, denn siebzig Prozent der Deutschen bestärkten den Müntefering in seiner Kapitalismuskritik. Ich fragte mich aufgewühlt, ob denn die DDR umsonst beerdigt worden sei.
Als ich dann erleichtert in meine Tiefgarage einbog und im Dämmerlicht die Treppen zu meinem Sekretariat stieg, da war mir alles klar: Die SPD hat ein strategisches Problem. Und mit ihr die sozialdemokratischen Plagiatoren des neoliberalen Wirtschaftskurses. Es geht nicht um NRW. Dafür machen sich ein Kanzler und seine Paladine nicht krumm. Diesmal geht es ums Ganze. Ihre historische Mission hat sich erledigt.
Die SPD wird nicht mehr gebraucht. Gegründet als politische Partei und somit verdammt, die Macht beziehungsweise den Staat zu besetzen, gab sie in den vergangenen Jahren das Faustpfand gestaltender Politik weg. Mit jeder Reform demontierten sie den Staat, mit dem sie die Gesellschaft hätten gestalten können. »Eigenverantwortung« fordernd zerbrachen sie die Balance zwischen Marktkräften und Sozialinteressen. Eine Partei mit sozialem Anspruch mutierte – ihres Machtinstrumentes beraubt – zu einer marktschreierischen Krücke. Schröder ist der Totengräber der SPD. Denn ohne politische Gestaltung gibt es für den gefönten Steuermann kein Ruder mehr. Das Schiff treibt willenlos im Meer der irrationalen Kräfte des Geldes. Jede Form rationaler Einzelschritte geht unter in der irrationalen Welt des Marktes. Deshalb ist das Geschrei der Genossen der Sirenengesang einer untergehenden Welt. Diese Krise ist hausgemacht, und sie wird alle treffen.
In einigen Jahren wird diese Welt eine andere sein. Die, die heute laut nach notwendigen Veränderung schreien, werden morgen stillschweigend den Katastrophen zuschauen – recht gemütlich eingerichtet in ihren Pensionen. Sie werden so tun, als hätten sie mit all dem nichts zu tun.
Im Moment scheint es auf diese Entwicklung außer der rechtsradikalen Politik keine alternative Antwort zu geben. Deren national und sozial verquasten Inhalte haben den anderen eines voraus: die Erkenntnis, daß Politik nur dann gestaltet werden kann, wenn das System rationalen Mechanismen unterliegt. Eine faschistische Diktatur ist rationale Form von Machtausübung …
Falls die SPD zur Politikfähigkeit zurückfinden will, sollte sie sich beeilen und sich nicht in Reden verplempern. Ansonsten wiederholt sich die Geschichte nicht als Farce, sondern als Katastrophe.
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