von Wolfram Adolphi
Die Kirche in Potsdam braucht keine neue Kirche. Raum zum Gottesdienst ist ausreichend – und in beachtlicher Herrlichkeit – vorhanden. Klagen, daß es anders wäre, gibt es nicht. Trotzdem soll eine neue Kirche her. Und zwar eine alte. Und zwar die Garnisonkirche.
Die Potsdamer Garnisonkirche war – der Name sagt es – von Beginn an eine Militärkirche. Man kann auch sagen: eine Kriegskirche. Denn das preußische Militär, dem sie in den Jahren 1734/35 errichtet wurde, war Militär des Angriffs und der Eroberungen, und so war es auch 1871 und 1914/18, und im Lichte vor allem des letzteren Datums war der Tag von Potsdam am 21. März 1933, mit dem sich in genau dieser Kirche die Preußen-Eliten Adolf Hitler unterwarfen, nicht Bruch, sondern Kontinuität: Kontinuität des Willens zum Kriege und Kontinuität seiner Segnung.
Am 14. April 1945 fand die Garnisonkirche ein logisches Ende. Sie erstarb im Krieg, für den sie gebaut und der in ihr unzählige Male gepriesen worden war. Eine Ruine blieb stehen – erschütternd, mahnend, warnend.
1968 wurde von Leuten, die mit Recht für sich in Anspruch nahmen, schon vor 1933 öffentlich-kämpferisch vor dem mit der Nazi-Herrschaft unvermeidlich werdenden Krieg gewarnt zu haben – und die viele ihrer Mit-Warner unterm Fallbeil und am Strick faschistischer Henker verloren hatten – angeordnet, die Ruine zu sprengen. Es hätte – wer will das bezweifeln – weisere Lösungen gegeben. Man hat das Bild der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in (West)Berlin vor Augen. Aber das Dritte (die Sprengung) war ein Resultat des Zweiten (der Zerstörung im Krieg) und des Ersten (der Segnung des Krieges), und es vergeht sich an der Geschichte, wer diese Sequenz »umwerten« will.
Das freilich schert diejenigen nicht, die schon sehr bald wieder auf die Garnisonkirche und ihre Traditionen setzten. Die gehörten zum Militär – was sonst –, aber nicht in Potsdam (DDR), sondern in Iserlohn (BRD), und sie wollten zurück nach Potsdam, so schnell wie möglich, und rekonstruierten zur Probe schon mal das alte, »bewährte« Glockenspiel mit der Melodie »Üb’ immer Treu und Redlichkeit«. Am 17. Juni 1987 übergaben sie ihr Werk dem Fallschirmjägerbataillon 271 der Bundeswehr, damit es dort »beherbergt« werde »bis zur wiedererlangten Einheit Deutschlands«, wie die Website der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel stolz verkündet. Und kaum war die Einheit besiegelt und beschlossen, fanden sich Staat und Militär schon in eiliger Sorge um die Kirche zusammen. Bereits im Oktober 1990 erklärte die Mehrheit der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung ohne Bemerkungen zur Vorgeschichte den Akt der Ruinensprengung zur »kulturellen Barbarei«, und im gleichen Atemzug nahm sie »mit Freude und Dank« die Iserlohner Wiederaufbauinitiative zur Kenntnis – so freudig und dankbar, daß schon am 14. April 1991 das Glockenspiel zu ebener Erde seine läuternde Arbeit wieder aufnehmen durfte.
Die Kirche selbst war lange nicht glücklich mit den Plänen aus Iserlohn. Zu direkt und unverblümt kam das Militärische daher. Aber jetzt, nach vieljähriger Debatte, hat die Evangelische Kreissynode doch ihr eindeutiges Ja gegeben: zum Wiederaufbau nicht nur des Turms, wie es ursprünglich einmal vorgesehen war, sondern der Garnisonkirche als Ganzes. Und so gab es am 14. April 2005 – dem 60. Jahrestag der Bombardierung Potsdams im Zweiten Weltkrieg – einen Staats- und Kirchenakt zur Grundsteinlegung mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD), mit Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Bischof Dr. Wolfgang Huber, und mit Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Unter den Gästen auch der Ost-Beauftragte der Bundesregierung und Bundesverkehrsminister Dr. Manfred Stolpe (SPD), Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker sowie – wie die Presse zu berichten weiß – »Angehörige des Hauses Hohenzollern«.
Nicht zugegen war die Traditionsgemeinschaft. Die ist vergnatzt, weil ihr die jetzigen Pläne nicht original genug sind. Sie will den einstmals militärischen Figurenschmuck nicht durch einen dem Evangelium entlehnten ersetzt sehen, und auch die »Ergänzung« des »Üb’ immer Treu und Redlichkeit«-Geläutes durch den »Gib Frieden, Herr, gib Frieden«-Choral geht ihr so sehr gegen den Strich, daß sie Ende März ihre »ehrenamtliche Spendensammlung zugunsten des Wiederaufbaus der Garnisonkirche bei einem Spendenstand von 6,7 Mio. Euro beendet hat« (Originalton Website).
Nun also fehlt den verbliebenen Wiederaufbauwütigen erstmal eine Menge Geld. So viel, daß sie eine Fertigstellung des Bauwerks ins Jahr 2017 datieren. Damit man dann auch wieder ein unverfängliches Jubiläum hat: den 500. Jahrestag der Lutherschen Reformation. Weil sich so – glaubt man offensichtlich – die Jubiläen des unverkennbar Schrecklichen in der Geschichte mit denen des »Guten« irgendwie die Waage halten.
Aber was wird bis dahin? Was die Honoratioren aus Staat und Kirche am 14. April »geweiht« haben, ist mit stark zu befürchtender Zwangsläufigkeit zunächst einmal ein Punkt, an dem die Polizei künftig Neonazis vor Gegendemonstranten schützen wird. Denn egal, wie wenig der Bau erst fortgeschritten sein wird – den Rechtsextremen ist ein innerstädtischer Bezugs- und Identifikationspunkt geschaffen worden, wie sie ihn bisher noch nicht gehabt haben. Die Garnisonkirche war immer ein Symbol, und sie ist ein Symbol – und zwar ein so eindeutig militärisches, »treudeutsches« (um das Mindeste zu sagen), daß es blauäugig ist, wenn Kirche und Staat meinen, sie könnten genau diesen symbolgeladenen Baukörper »umwidmen« in ein »Versöhnungszentrum«.
Warum nicht – wenn es wirklich um Versöhnung geht – ein völlig neues Gebäude errichten? Warum nicht den kühnen Schritt wagen, den Versöhnungsgedanken auch architektonisch zu fassen und erlebbar zu machen? Aber dazu müßte man wohl genauer wissen, welche Versöhnung eigentlich gemeint ist. Die Kirche ist sich sicher, daß es, wie sie im September 2001 verlautbart hat, nur um »die Versöhnung in Christus« gehen kann. Im gleichen Text aber sagt sie auch, daß der »Dienst der Versöhnung« Aufgabe »in dieser wie in jeder Kirche« ist. Wozu dann also die alte Kriegskirche? Und der Staat hält sich bedeckt. Von Anstrengungen, Verbände der Opfer des Faschismus nach ihren Versöhnungswünschen zu fragen oder die Hinterbliebenen der bis heute nicht rehabilitierten mehr als 300 000 Deserteure der Wehrmacht, ist jedenfalls bisher nichts bekannt geworden.
Etwa 500 meist junge Leute haben am 9. April mit einem friedlichen Marsch durch Potsdams Innenstadt und vielen klugen, durch ein hohes Maß an Sachkenntnis und Geschichtsbewußtsein getragenen Reden gegen die Grundsteinlegung demonstriert. Es steht aber zu befürchten, daß ihr Protest an der Wiederaufbauwut der Alten abprallen wird.
Schlagwörter: Wolfram Adolphi