von Harald Ritter
Mitte Januar war Peter Hacks auf die Bühne des Deutschen Theaters zurückgekehrt; auf dem Programm: eine Lesung aus seinem Briefwechsel mit Heinar Kipphardt. Kipphardt und Hacks, eine Dichterfreundschaft, die jahrzehntelang die Schützengräben des Kalten Krieges zu ignorieren verstand – und dann doch zerbrach. Heinar Kipphardt, Jahrgang 1922, kam Ende der vierziger Jahre aus Westdeutschland nach Berlin und war von 1950 bis 1959 Dramaturg am Deutschen Theater. Er holte Hacks nach Ost-Berlin. Beide verband zunächst außer der Herkunft aus dem Schlesischen vor allem ein abgrundtiefer Abscheu vor der Bundesrepublik der Restaurationsära und eine kaum zu verleugnende Verachtung für die Dogmatiker unter den Kulturpolitikern der DDR.
Kipphardt verließ, desillusioniert, 1959 die DDR und kehrte in die Bundesrepublik zurück. Hacks blieb. Und avancierte zu dem am meisten gespielten Dramatiker deutscher Zunge. Das konnten auch zahlreiche Querelen mit der ostdeutschen Kulturpolitik nicht verhindern, im Gegenteil, sie trugen ihm im Westen den Ruf des intelligentesten Kritikers der SED-Herrschaft ein. Einige Jahre war Hacks unter den deutsch-deutschen Linken und den Theaterregisseuren so sehr Kult, daß er sich gelegentlich für einen »Olympier zu Lebzeiten« hielt.
Der Briefwechsel verdeutlicht, daß sich, zumindest anfangs, zwei Gleichgesinnte austauschten, wenn auch Hacks schon begonnen hatte, sich in die Pose des Genies einzuleben. Mit jedem Satz gibt er den gebildeten Grandsigneur. Einig sind sich beide in der Verachtung für die »Schneemenschen« am Rhein und an der Spree, ein Codewort, das sie beileibe nicht nur für politische Gegner benutzen, sondern auch für Durchschnittsbürger, ob mit Amt oder ohne. Beider Briefwechsel ist ein Zeugnis des Aufbegehrens und der stoischen Verzweiflung der Vertreter einer linken kulturellen Elite gegen das anscheinend Unabänderliche, im Hinterzimmer, am Schreibpult, im von der Öffentlichkeit zunächst durch das Postgeheimnis abgeschotteten Schulterschluß. Welche Institutionen in Ost wie West außerdem mitgelesen haben mögen, ist nicht erst heute vorstellbar.
Doch der Briefwechsel ist auch das Protokoll einer langsam dahinsiechenden Freundschaft. Bei aller Lust am Bonmot und der gemeinsamen Schelte für die Zeitgenossen wird schon in den frühen Briefen deutlich, daß beide Männer sehr unterschiedlichen Charakters sind. Der Doktor der Medizin und Kriegsteilnehmer Kipphardt ist, letztlich, ein von sozialistischen Idealen Infizierter, der einen Frieden für sich und die Welt sucht. Auch er wird mit In der Sache des J. Robert Oppenheimer ein erfolgreicher Theaterautor. Davor und danach schlägt er sich mit verschiedenen Dramaturgenstellen und unterschiedlich erfolgreichen eigenen literarischen Arbeiten durch (unter anderem März). Er bringt auch ein Stück von Wolf Biermann um 1970 als Dramaturg auf die Bühne der Münchner Kammerspiele.
Hacks dagegen war, nicht zuletzt durch die Vermittlung Kipphardts, bereits in jungen Jahren nicht nur zum »Hausautor« des Deutschen Theaters, sondern zum gesamtdeutschen Starautor geworden. Die Debatten der westdeutschen Linken um Stalinismus und Sozialismus, um eine humanistische Alternative zum Kapitalismus und dem real existierenden Ostkommunismus fochten ihn kaum an. Er hatte schon bald nach seiner Ankunft seinen Frieden mit der DDR gemacht und akzeptierte die Rolle des Staatsdichters mit großem Selbstbewußtsein. Das merkte im Westen zunächst nur niemand, oder keiner wollte es verstehen, blieb Hacks doch in seiner Kritik an den Ost-Berliner Funktionären und ihrer Kulturpolitik genauso unbeirrt.
Den quasi dramaturgischen Höhepunkt des Briefwechsels bildet die Haltung von Hacks zur Ausbürgerung Wolf Biermanns Ende 1976. Hacks machte sie in seinem berühmt-berüchtigten Weltbühnen-Artikel öffentlich. Trotz inzwischen längst manifest gewordener atmosphärischer Störungen zwischen den beiden Freunden, konnte Heinar Kipphardt – so die Diktion zweier Schreiben an Hacks – dessen Ansichten, die er für Verrat hielt, kaum glauben. Hacks, möglicherweise von dem inzwischen gegen ihn in Westdeutschland ausgesprochenen Boykott genervt, gab nach langem Zögern schnippisch zurück: »Is was?« Über die Sache selbst, gedachte er, mit Kipphardt mittlerweile schon nicht mehr zu reden, zu sehr erschien ihm der Zweifler inzwischen unter seinem Niveau.
Der Dichter Hacks hatte natürlich auch seine private Seite, die er zeit seines Lebens aber weitgehend unter Verschluß hielt. Das hielt er für den Ausdruck wahren Dichtertums: Nicht meine privaten Wehwehchen gehen euch an; wenn ihr etwas wissen wollt, dann schaut auf meine Werke. Dennoch ist eine – durch Kipphardt in den Briefen angesprochene – Animosität gegen Biermann interessant, denn die war mitnichten allein den aktuellen politischen Umständen des Jahres 1976 geschuldet. Sollte Hacks etwa eine Privatfehde mit Biermann am falschen Anlaß öffentlich ausgetragen haben? Ging es dabei um Tieferes, um Charakter? Oder um so etwas Banales und Schönes wie eine Frau? Oder hat es, ganz simpel, irgendwann in dem gar nicht so kleinen Kreis von West-Immigranten in der DDR einmal einen Krach gegeben, der zu einer Randglosse der Weltgeschichte klimaktierte? Hierüber hätte man gern bei Gelegenheit einmal Auskunft.
In der Lesung am DT gaben Dieter Mann als Kipphardt und Eberhard Esche als Hacks ihre Rollen mit dem gewohnten Charme und der angemessenen Eleganz. Das Haus war gut gefüllt und das – meist in die Jahre gekommene – Publikum bedankte sich bei seinen toten Dichtern und seinen pensionierten Schauspielern mit ehrlichem Beifall. Bleibt die Frage offen, wie eines der Stücke des im geeinten Deutschland selten gespielten Hacks an seinem ehemaligen »Stammhaus« heute seine Wirkung entfalten würde. Das Publikum muß schon lange genug wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen »Sünde« des Dramatikers darben, dessen Sternstunden offensichtlich noch nicht von allen vergessen worden sind. Aber vielleicht war Hacks, der Dramatiker, auch ein Irrtum.
Peter Hacks, Heinar Kipphardt: Du tust mir wirklich fehlen. Briefwechsel zwischen Peter Hacks und Heinar Kipphardt, Eulenspiegel-Verlag Berlin, 157 Seiten, 12,90 Euro
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