Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 31. Januar 2005, Heft 3

Hamsteader Blitzlicht

von Kai Agthe

Gegen T. S. Eliot hegte Elias Canetti einen derartigen Groll, daß er den Leser immer wieder daran erinnern muß. Trieb ihn die Hoffnung, man würde sich seine Meinung blind zu eigen machen? Der gegenteilige Effekt tritt ein: Man möchte mehr über den derart Abgekanzelten erfahren, da bei Canetti auch nicht so recht deutlich wird, was wohl die Ursache für seine Antipathie gewesen ist. Denn was er gegen den Kollegen vorbringt, kommt über Kolportage nicht hinaus. Man ahnt: Hier könnte gekränkte Eitelkeit die Feder geführt haben. Despektierliche Äußerungen wie diese nehmen den Erinnerungsporträts erheblich an Glanz.
Party im Blitz vereinigt Texte, in denen der greise Canetti seine frühen Jahre in England aufruft. Die Insel betrat er – der 1905 im bulgarischen Rustschuk geborene und bis zum Einmarsch der Nazis in Wien lebende Schriftsteller – 1938 als Emigrant, und es wurde ihm wie kein anderes Land zur Heimat. Sieht man von Eliot ab, so kann Canetti beim Thema englische Literatur ins Schwärmen geraten. »Es ist wahr, daß es keinen englischen Hölderlin gibt, sonst alles, und mehr.« Die ganze deutsche Literatur, so Canetti, würde nicht William Blakes Lyrik aufwiegen. Und Dylan Thomas war für ihn das Gegengift zum verhaßten Eliot.
Mag auch viel Literarisches berührt werden, geht es in Party im Blitz vorrangig um Menschen – und immer wieder um Menschen auf Partys. Und so gebetsmühlenhaft wie seine Abneigung gegen T. S. Eliot artikuliert Canetti seine Aversion gegen Partys englischen Zuschnitts, wo der talk besonders small sei. »Nirgends fühlte ich mich verlassener und trostloser als auf Partys.« Warum er, der sich nur mit Widerwillen an derartige Gesellschaften erinnert, nicht besser zu Hause blieb und ein gutes Buch las, muß sein Geheimnis bleiben.
Trotz dieser Wermutstropfen erweist sich Elias Canetti in den postum edierten Porträts von Kollegen, Freunden und eben auch Feinden als ein großartiger Erzähler, so wie man ihn aus der autobiographischen Trilogie Die gerettete Zunge, Die Fackel im Ohr und Das Augenspiel kennt und liebt, auf andere Art und Weise auch aus seiner Studie Masse und Macht. Dem Leser treten die in Party im Blitz geschilderten Personen so lebhaft vor Augen, als handele es sich um gute Bekannte. Und mögen die Texte vor allem Intellektuelle porträtieren, so ist Canettis einfühlsamster Essay just dem Straßenkehrer von Chesham Bois gewidmet. »Er war der einzige, den ich von ganzem Herzen liebte.« Dieses Bekenntnis gibt, wenn man es ein paarmal dreht und wendet, sehr zu denken.
Ein eigenes Kapitel im Leben des lange Jahre mit Veza Canetti verheirateten Elias Canetti bildeten die Frauen. Er hat sie geliebt. Friedl Benedikt, Schriftstellerin wie Canettis Frau, tritt wiederholt auf. Aus diesen Zeilen spricht aus dem Abstand von Jahrzehnten noch immer eine starke Zuneigung. Die Auskünfte über Iris Murdoch jedoch, mit der Canetti eine Liaison hatte, kommen einer Hinrichtung gleich. Man wird dieses Kapitel nicht lesen können, ohne das Gefühl zu haben, daß hier Dinge artikuliert werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sein sollten. Vielleicht war es Intuition, daß Iris Murdochs Witwer John Bayley 1998 in seinem Buch Iris: A Memoir (deutsch: Elegie für Iris, 2000) mit dem verstorbenen Canetti ähnlich hart ins Gericht ging, indem er ihn das »godmonster of Hampstead« nannte.
Jeremy Adlers Nachwort zu diesem zehn Jahre nach dem Tod des Schriftstellers publizierten Band ist unverzichtbar, da kontextstiftend, sehr ausgewogen und selbst dort noch diplomatisch zurückhaltend, wo Einspruch angebracht gewesen wäre. »Es ist leicht«, so Adler very british, »ihn zu tadeln. Ihn zu begreifen, dürfte ein schwierigeres Unterfangen sein.« Das ist im Grunde richtig, dennoch sei an Nietzsches Satz erinnert, der meinte, alles zu verstehen, heiße, alles zu verzeihen. Im Nachsatz findet sich, wenn schon keine Erklärung, so doch ein weiterer Hinweis für die mögliche Ursache von Canettis Wut auf T. S. Eliot. »Alles, was Canetti an seinem geliebten England haßt, erscheint in Eliots Wesen wieder.«

Elias Canetti: »Party im Blitz«. Die englischen Jahre, C. Hanser Verlag München 2003, 246 Seiten, 18,90 Euro