von Jens Knorr
Von den expressionistischen Anfängen, gedruckt bei Kurt Wolff und Franz Pfemfert, der Teilnahme am Münchner Kreis um den Theaterprofessor Artur Kutscher, über die Mitgliedschaft in Rosenbergs Kampfbund für deutsche Kultur, die Präsidentschaft der Reichsschrifttumskammer bis hin zu gelegentlicher Autorschaft für die EDEKA-Kundenzeitschrift Die kluge Hausfrau, veröffentlicht unter Pseudonym – so geht die Karriere eines deutschen Dichters, der seit Lukács immer einmal wieder als Paradebeispiel für die »objektive Gemeinsamkeit« von Expressionismus und Faschismus herzuhalten hatte. Mußte diese Karriere so enden?
Hanns Johst (1890–1978), den Verfasser von Der Einsame und Schlageter, hat die Literatur- und Theaterwissenschaft, von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, lieber ausgelassen. Nun hat der Osnabrücker Literaturwissenschaftler Rolf Düsterberg die erste umfassende Biographie vorgelegt, in acht selbständigen Kapiteln insbesondere die anrüchige politische Entwicklung des Dichters chronologisch aufbereitet. So eine gute Biographie hat der »Barde der SS«, wie ihn sein Freund, der »liebe Heini«, gelegentlich apostrophierte, eigentlich gar nicht verdient. Oder doch?
Düsterberg rechnet Johst dem Expressionismus gar nicht erst wirklich zu und erzählt die Karriere des Dichters als eine – zwangsläufige – Karriere zum Nationalsozialisten und SS-Führer. So hat auch Johst sie gern dargestellt, selbst zu einer Zeit noch, da sich andere Schreibtischtäter längst mit flinkem Bekenntnis zu Demokratie und Wirtschaftswunder in den bundesdeutschen Literaturbetrieb hatten einkaufen können. Der zeigte Johst die kalte Schulter, verstand sich dieser doch ebensowenig auf Konzessionen an die »Kolonie der vier Sieger«, wie er sich auf Konzessionen an die Weimarer Republik verstanden hatte. Johst blieb bis zu seinem Tod 1978 überzeugter Nationalsozialist. Düsterbergs Erklärungen aber, wie Johst dazu wurde, überzeugen nicht.
Um den Überzeugungen Johsts auf den Grund zu kommen, wäre der Weimarer Republik auf den Grund zu kommen. Das scheint in unserem historischen Moment dringlich, da »sich der Ausnahmezustand in der Politik der Gegenwart immer mehr als das herrschende Paradigma des Regierens« erweist – Giorgio Agamben benennt, was wir erleben. Düsterberg benennt zwar, was Johst erlebte, mag dem aber nicht auf den Grund gehen. Was sich dem Bild von der »Linearität seiner Entwicklung« nicht widerspruchslos einpassen will, zieht Düsterberg nur selektiv zu Rate, Johsts Werk beispielsweise. Es bedürfe »keiner übermäßigen interpretatorischen Anstrengungen, um in den Texten des Autors dessen eigene Positionen, Stellungnahmen und Wertungen zu erkennen.«
Doch nicht einmal Johst selbst hat Intention und Ausdruck in eins gesetzt, der »Bekenntnis-Autor« war sich – auch vor 1945 – der Differenz von Text und Autor durchaus bewußt: »Ein Dialog im Drama wird zum Bekenntnis des Dramatikers erklärt. Ein schmutziges Mittel, durch falsche Karten ein gestelltes Spiel zu gewinnen.« Johsts Einlassung bezieht sich, und das ist erstaunlich, nun ausgerechnet auf jenen Satz Fritz Thiemanns in Schlageter: »Wenn ich das Wort Kultur höre …, entsichere ich meinen Browning.« Der galt und gilt »vielen«, darunter Düsterberg, »als Kristallisationspunkt der politisch-moralischen Kritik an dem Werk und seinem Autor.« Die Bedingnisse seines Schreibens vor 1933 wie die seines Verstummens nach 1933 – als Dichter, nicht als Propagandist – bleiben in Düsterbergs Darstellung unscharf. Daß Düsterberg für die Druckausgabe auf die ursprünglich vorgesehene Dokumentation wichtiger Texte Johsts verzichtet hat, ist zudem bedauerlich.
Seine Arbeit will Düsterberg als eine »literaturpolitische« Biographie verstanden wissen, ohne aber Biographie als literarische Gattung zu entfalten und zugleich zu reflektieren. Für die Rekonstruktion von Johsts äußerem Leben, besonders während der Zeit des Nationalsozialismus und der Entnazifizierungs-Farce danach, konnte Düsterberg neben den in München archivierten Spruchkammerakten Materialien aus dem Bundesarchiv Berlin, der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin, auch den umfangreichen Nachlaß auswerten, den die Tochter Krista Johst 1985 dem Deutschen Literaturarchiv Marbach a. N. übergeben hatte. Letzterer wird weiter aufzuarbeiten sein.
Orientierte sich das deutsche Theater seit der Nachkriegszeit vordergründig an dem Erbe des linken Theaters der zwanziger Jahre und des Exils, so wirkten untergründig immer auch Postulate völkischer Dramaturgie weiter, und das bis heute. Sie wissenschaftlich aufzuarbeiten, ist das eine, ihr auf dem Theater beizukommen, das andere. Denn Leerstellen werden besetzt, früher oder später, es fragt sich nur von wem und zu welchem Zweck! Wie also umgehen mit den Dramen der Möller, Rehberg, Langenbeck, Baumann und – Johst?
Rolf Düsterberg: Hanns Johst. »Der Barde der SS«. Karrieren eines deutschen Dichters. Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn 2004, 462 Seiten, 39,90 Euro
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