Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 31. Januar 2005, Heft 3

Barbaren in Babylon

von Erhard Crome

Krieg ist eine Ausnahmesituation. Allerdings nicht für die Herrschenden. Die haben ihn wieder zu einem »normalen Mittel« der Politik gemacht. Condoleezza Rice, die Außenministerin der USA in der zweiten Bush-II-Periode, hat – unisono mit ihrem Chef – schon mal den nächsten Krieg angekündigt, diesmal gegen den Iran. Dabei ist der im Irak noch nicht einmal zu Ende. Derartige Maßlosigkeit der Kriegspolitik galt bisher nur bestimmten totalitären Regimes als eigen. Jetzt also sind die USA dort: maßlos im Kriegstreiben, erpresserisch drohend gegenüber dem Rest der Welt, vor keinem Mittel zurückschreckend. Krieg ist im Moment nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern – umgekehrt – die Politik ist Moment des Krieges. Und hier ist Rice viel mehr, als es Colin Powell je sein konnte oder auch wollte, »her masters voice«, die Stimme ihres Herrn.
Krieg ist eine Ausnahmesituation für die Soldaten. Meist sind es Junge – früher nur Männer, jetzt auch Frauen –, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gedungen werden und die – verbrecherischer Charakter dieser oder jener Armee hin oder her – am Ende ihr Leben riskieren. Auch wenn immer mehr dieser US-Soldaten so gedrillt werden, daß sie à la Rambo als Einzelkämpfer einem einzelnen Soldaten der meisten anderen Armeen der Welt deutlich überlegen sind, können doch viele andere Kämpfer des US-Soldaten Tod sein. Und gegen Selbstmordattentäter, die zuvor gebetet haben und sich mit der Tat einen Platz im Paradies zu sichern glauben, ist militärisch ohnehin kaum ein Kraut gewachsen. Ausnahmesituation heißt auch, daß man sich, uniformiert und hordenmäßig organisiert, berechtigt glaubt, vieles sich erlauben zu dürfen, was man im bürgerlichen Heldenleben gemeinhin zu tun gehindert ist. Wer ein Militärlagerleben selbst in der vergleichsweise harmlosen Nationalen Volksarmee der DDR kennengelernt hat, weiß, wie sich das Verhalten dann abschleift, eine gewisse Laxheit im Umgang mit nichtmilitärischen Dingen eintritt.
Die tritt offenbar um so deutlicher zutage, je mehr diese allgemeine Ausnahmesituation von der latenten Todesdrohung überlagert ist. Und wenn sich das dann noch mit einer Überlegenheitsideologie verkoppelt – was einem in jener DDR in Ablehnung jeglichen Herrenmenschentums absichtsvoll nicht zuteil wurde –, wird daraus augenscheinlich eine allgemeine Verrohung. Die Folterbilder aus dem Irak, die nun auch die britischen Truppen zur Kenntlichkeit geraten ließen, sind nur die sichtbare Spitze jenes Eisberges.
Letztens wurde mitgeteilt, daß die US-Truppen seit April 2003 ein Militärlager um die antike Ruinenstadt Babylon herum unterhalten. Die Residenz König Nebukadnezars II. (6. Jahrhundert v. u. Z.) hat »erheblichen Schaden« genommen. Drachen des berühmten Ischtartors sind beschädigt, weil versucht wurde, Ziegel herauszubrechen. Schließlich braucht der Soldat ja ein paar Souvenirs für die Frau und die Mutti. Der Belag der 2600 Jahre alten Prozessionsstraße wurde durch das Herumfahren von Militärfahrzeugen beschädigt. Beim Abfüllen von tausenden Sandsäcken wurde nicht nur Erdreich verfüllt, sondern archäologische Stücke gleich mit. Restlicher Panzertreibstoff wurde einfach dort abgelassen, wo die Kampfmaschinen gerade standen, und hat so die Ausgrabungsstätten kontaminiert. Auch Schotter wurde einfach dort abgekippt.
Sind die jungen Soldaten daran schuld, die in jenem Lager hausen? Oder sind es jene, die die Befehle erteilen, beginnend bei denen, die den Krieg befahlen oder dann das Aufschlagen des Lagers an jenem historischen Ort? Als die Taliban die berühmten Buddha-Statuen in Afghanistan zerschossen, ging ein Aufschrei durch die »zivilisierte Welt«. Beides unterscheidet eigentlich nur, daß die Taliban aus krankem religiösem Eifer handelten, die US-Truppen aber aus Ignoranz und Arroganz.
Der alte Brzezinski schrieb Ende der 1990er Jahre, daß es die wichtigste Aufgabe der USA-Außen- und -Militärpolitik sei, den riesigen eurasischen Kontinent zu beherrschen, mit seinen uralten Kulturen, seiner wirtschaftlichen Energie und Völkervielfalt. Verbirgt sich hinter der Bereitschaft, kulturelle Leistungen jenes Doppelkontinents mit solcher Zerstörung zu behandeln, eigentlich ein Minderwertigkeitskomplex, der durch Gewaltakte zu kompensieren versucht wird? Oder ist es nur die Kehrseite jenes neuen Herrenmenschentums, das anderen Kulturen ohnehin keine Wertschätzung zuerkennt? Oder wird man sich auf Übergriffe der unteren Chargen herausreden, wie in den Folterfällen? Das aber hieße, man hat den eigenen Militärapparat nicht wirklich im Griff.
John Curtis, Konservator am Britischen Museum, der den beschriebenen Zustand an die Öffentlichkeit gebracht hat, forderte die Bereitstellung internationaler Mittel, um die Kulturdenkmäler von Babylon wiederherzustellen. Dem ist strikt zu widersprechen. Die Mindestforderung an die Bush-Bande ist, die »Kollateralschäden« zu bezahlen. Am Ende haben sich die wirklich großen Mächte immer in der Kultur erwiesen.