von Harald Kretzschmar
Wieviel Künstlerisches darf man riskieren, wenn man gleichzeitig dem Populus, dem lieben Volk, gefallen will? Dem Maler Walter Womacka stellte sich die Frage so nie. Er malte und gestaltete, wie ihm zumute war. Kaum etwas empfand er als Zumutung. Und: Er kam an. Im Falle DDR sowohl »oben« wie »unten«. Ein seltener Fall.
Der inzwischen fast Achtzigjährige zehrt seit Jahren von diesem Popularitätsbonus. Und schlägt mit jeder erfolgreichen Ausstellung und nun auch mit diesem Buch allen jenen ein Schnippchen, die ihm den Staatskünstler-Malus anhängen wollen. Die Leute vom Verlag Das Neue Berlin haben ihn überredet, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Wer hätte das bei dem eher wortkargen Malersmann für möglich gehalten: Er hat auf über dreihundert Seiten fast redselig und wortgewandt Farbe bekennen geübt. So heißt das Buch denn auch. Mitunter wird das Erinnern sehr privat. Das kann schon nerven. Doch schnell merkt unsereins: Bei diesem Leben wird Privates in aller Unschuld plötzlich politisch. Und Politisches immer wieder ganz privat, fast intim.
Der Klappentext sagt es präzise: »Walter Womacka kommt 1925 im sudetendeutschen Obergeorgenthal bei Brüx, heute Most, zur Welt. Er lernt und studiert in Teplitz, Braunschweig, Weimar und Dresden. Von 1953 bis 1988 lehrt er an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, davon die meiste Zeit als Rektor.« Seine Künstlerbiographie verlängert sich nur dadurch, daß man Dutzende baugebundene künstlerische Projekte aufzählen muß. Von der Bauchbinde am Haus des Lehrers über die Glasfenster im Staatsratsgebäude bis zu Wandbildern im Außenministerium. Doch der Auslöser seiner enormen Bekanntheit war zweifellos das Am Strand lagernde junge Paar von 1962: Startschuß für eine Karriere, die so sicher nie beabsichtigt war.
Dieser »Womatschka« (wie er selber spöttelt) stammt wie sein vier Jahre älterer Staatskünstlerkollege Willi Sitte aus dem Böhmischen. Der Mann mit dem tschechischen Namen hat etwas von der naiven Schlagfertigkeit eines Schwejks. Wer im Böhmischen zu Hause war und nicht gerade den deutschnationalen Bock rauskehrte, hat was von dieser schalkhaften Gemütlichkeit. So beweist dieser Walter von früh an eine geradezu entspannende Sicht auf die brisantesten Politika – das Verhältnis der Deutschböhmen zu den Tschechischböhmen (und umgekehrt) eingeschlossen.
Das ist wohl das Erfrischende an dem Buch: Bei häufiger Abwesenheit hochgestochener künstlerischer Erörterung die ununterbrochene Präsenz von gesundem Menschenverstand. Der läßt Walter Womacka immer wieder an Details seiner Lebensfügung erinnern, die er geradezu erstaunt registriert. Ob das nun der überraschende Kunstsinn eines Politikers wie Gerald Götting oder die Entdeckung des fürstlichen Lebensstils seines Vorbildes als Kommunist, Renato Guttuso, ist – oder am Ende allzu fatale »zufällige Todesfälle« von lieben Freunden unter den Messern von Chirurgen des Regierungskrankenhauses: Walter Womacka kommt aus dem Staunen nicht heraus. Das Lebenselexier dieses Menschen ist das Wundern. Wir saßen einmal (als Zuspätgekommene am Nachzüglertisch zusammen mit Kurt Masur und Stephan Hermlin bei einer Tagung mit Kurt Hager) nebeneinander, als Walter fortwährend vor sich hinmurmelte: »Was ist das bloß für ein Blödsinn, den der Hager da verzapft.«
Allerdings darf er sich dann nicht darüber wundern, wenn mancherlei ahnungslose Leute bei seiner enormen Nähe zu den Machthabern (die ihm solcherart lose Bemerkung erlaubte) Böses schwant. Immerhin taucht im Namensregister (das der gewissenhaften Arbeit des Verlages genauso zu verdanken ist wie die übersichtliche Gestaltung) siebzehnmal der Name Walter Ulbrichts und fünfzehnmal der Erich Honeckers auf. Falls die Figur des Walter Womackas überhaupt tragische Züge hat, dann die, daß sein Verhältnis zu den beiden Generalsekretären und ihren Gattinnen beinahe intimer war als zu so manchem Künstlerkollegen. Um so anrührender ist seine Hommage an zwei Künstlerfreunde, die gleich ihm in Weißensee lehrten: Bert Heller und Kurt Robbel. Hellers positiv-praktischer Sinn war ihm sehr nahe; Heller verdankte er auch die Vermittlung der ersten baugebundenen Aufträge. Und der gelegentliche Reisegefährte Robbel hat ihn offensichtlich angeregt, seine konstruktiv-kompositorischen Ziele weiterzuverfolgen. Beweist Walter Womacka häufig in Worten, die Fähigkeit des Dialektikers zu relativieren, so steht sein Zeichnen und Malen diesem dialektischen Denken keineswegs nach.
Womackas geradezu ideale Eignung für die Aufgabe, an und zu gesellschaftlichen Notwendigkeiten künstlerisch zu arbeiten (nichts anderes tut ein Auftragskünstler), liegt in seiner Fähigkeit, Balance zu halten. Das macht gegen alle (häufig überspitzten) Angriffe so immun. In den letzten Jahren wird immer deutlicher (die vier mal sechzehn Farbabbildungen des Bandes beweisen es): Von einem unerschütterlichen Ruhepol aus gibt es bei Womacka immer wieder Eruptionen schöpferischer Energie. So wenig Kunst diese gegenwärtige Gesellschaft zu benötigen scheint, das Erinnern an solcherart Kunst hat sie bitter nötig. Will sie nicht in billige Geschichtsklitterung abdriften, sollte sie solcherart Reminiszenzen wahrnehmen – selbst wenn sie so bekennerisch daherkommen wie diese.
Walter Womacka: Farbe bekennen. Erinnerungen eines Malers, Verlag Das Neue Berlin 2004, 320 Seiten, 19,90 Euro.
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