von Heinz W. Konrad
Fünfzehn Jahre nach dem Mauerfall hat es sich herumgesprochen und scheint des westdeutschen Volkes überwiegende Meinung zu sein: Der Osten ist undankbar. Jedenfalls mehren sich diese Stimmen, und die Stimmung ist entsprechend. Dem ist nicht zu widersprechen, der offenkundige Sachverhalt gehört denn auch unnachsichtig gegeißelt. Mindestens ist Buße am Platze. Mit den folgenden – freilich nur ausgewählten – Empfehlungen soll den unbeholfenen Ostdeutschen nun endlich eine längst fällige Lebenshilfe dafür geleistet werden, wie man Nothelfern aus den uralten Bundesländern ganz individuell, in jedem Fall aber korrekt und angemessen dankbar begegnet:
1. Der klassische Dank (auch: euphorischer Dank): Zeichnet sich durch ein optimales inneres Gefüge hinsichtlich solcher Strukturelemente wie Herzlichkeit, Rührung, Vehemenz, Selbstbewußtseinsresten, Sachbezogenheit und angemessener Frische aus. Bei seiner technischen Ausführung werden allgemein ein kraftvolles Händeschütteln über die gesamte Dankdauer und ein feucht-verklärter Blick bevorzugt.
2. Der wilde Dank (auch eruptiver oder militanter Dank): Gewissermaßen eine Abart des klassischen Dankes, die sich aus einer herabgesetzten Selbstkontrolle ergibt. Stark reduziert ist in dieser Variante das schöngeistige zugunsten eines quasi-aggressiven Momentes, was in Extremfällen sogar – zum Glück gutartige – Körperverletzungen beim Bedankten nachsichziehen kann.
3. Der lyrische Dank (auch literarischer oder Soft-Dank): Erzielt seine enorme punktuelle und Flächenwirkung fast ausschließlich durch das hohe Maß üppig, ja verschwenderisch eingesetzten Intellekts. Da er höchste Belesenheit, Landes- und Weltenkenntnis sowie ein ausgeprägtes Taktgefühl erfordert, sind leider nur wenige Ossis seiner mächtig.
4. Der harte Dank: Eine außerordentlich subtile Form des Dankens! Basiert auf dem inneren Antagonismus einer vorgegebenen Dank-Pflicht zu einem eigentlich noch nicht voll entwickelten Dank-Bedürfnis. Zeichnet sich durch eine letztlich kontraproduktiv frostige Korrektheit, Doppelbödigkeit, Hintersinn und nur unvollkommen kaschierte Aggressivität aus. Als Dank nur im alleräußersten Fall akzeptabel, wenngleich leider noch allzu häufig auftretend.
5. Der Zwangsdank: Zwanghafte, neurotische Variante des Dankens. Ausübende stehen zumeist ob eines pathologischen Danksyndroms unter therapeutischer Kontrolle. Tritt in der Regel weinerlich auf. Beim Bedankten besonders beliebt.
6. Der Meucheldank: Eng verwandt mit dem wilden Dank, indes durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß er grundsätzlich nur zum Einsatz kommt, wenn eigentlich nicht mit ihm zu rechnen ist. Wird seitlich oder hinterrücks und vor allem blitzschnell angesetzt und darf keine Abwehrmöglichkeiten bieten.
7. Der Zotteldank: Außerordentlich nachlässige Erscheinungsform einer nicht zuletzt dadurch zweifelhaften Dankbarkeit. Ist durch eine mimische wie gestische demonstrative Gleichgültigkeit gegenüber dem Dankinhalt charakterisiert. Zieht sich in der Regel mangels jeglicher geistiger Investition in zuweilen peinliche Länge und kann oft überhaupt nur durch stimulierende Zwischenrufe aufrechterhalten und zu Ende geführt werden.
8. Der marginale Dank (auch »fragwürdiger Dank«): Besteht meist nur aus gelangweilter Bestätigung dessen, was der Dank-Beanspruchende dem Zudankenhabenden meist sogar noch vorgeben muß. Typische Äußerungen: Ja, ja. Na gut. Von mir aus. Is ja guuut. Jaa doch! … In seiner Akzeptanz hart umstritten. Bedarf jeweiliger Sonderfallprüfung durch die bewaffneten Organe des Verfassungsschutzes.
Trotz der hier gebotenen Kürze erschließt sich wohl jedermann das weitgehend noch brachliegende, aber eben doch so einheitsstärkende Potential, das dieser Kommunikationsform zwischen Deutschen Ost zu Deutschen West zukommt. Was einer neuen Administration, möglicherweise sogar einer Verfassungsänderung vorbehalten bleibt, ist die zwingend erforderliche Einsetzung eines Dank-Beauftragten der Bundesregierung sowie von Dankwarten in Ländern, Kommunen, Unternehmen und in unmittelbarer Familiennähe, in Straßenzügen also oder Wohnhäusern selbst. Auch für öffentliche wie private Bildungsträger ergibt sich ein weitreichendes Betätigungsfeld, zum Beispiel beim Veranstalten einschlägiger Trainingskurse. Im übrigen eignet sich jeder Parteitag der CDU zum Selbststudium, anderer Parteien nicht weniger.
Packen wir’s an! Es kann nur besser werden.
Wild-lyrischer Militanzdank für Ihre Aufmerksamkeit!
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