von Jens Knorr
Der Abspann bringt es an den Tag: Adolf Hitler ist’s nicht, Bruno Ganz ist es gewesen! Und nicht Eva Braun und Joseph Goebbels nebst Gattin, nicht Speer, Mohnke und Weidling, Keitel und Krebs, Günsche und Fegelein und all die andern waren Ende April und Anfang Mai 1945 in, über und um den Führerbunker zugange oder schon über alle Berge – sondern Schauspieler, nur ganz gewöhnliche Schauspieler. Denn ihre Konterfeis und nicht jene der Zeitpersonen, die sie vorstellen sollen, stehen im Abspann neben je einer kurzen biographischen Notiz übers Weiterleben respektive Nichtweiterleben nach dem 9. Mai, Null Uhr, als die bedingungslose Kapitulation in Kraft trat.
Bruno Ganz kommt Hitler so nahe, wie der sich selber nie gekommen war. Corinna Harfouch bringt die Kinder der Magda Goebbels so einfühlsam aus dem Leben, daß der ganze Drehstab nervlich an den Rand des Nervenzusammenbruchs geraten sein soll. Ulrich Matthes schämt sich in der braunen Uniform des Reichspropagandaministers seit langer Zeit wieder einmal, Deutscher zu sein. Ulrich Noethen setzt sich gleich nach dem Sektempfang zum Führergeburtstag in Himmlers Auto und aus dem Film ab, der fette Göring steht und sitzt sowieso nur einige Male kurz im Bild und den andern irgendwie im Weg. Es gibt vegetarische Nudeln und Kekse, Rauchverbot und heimliche Rauchpausen, Suff, Gesang und Kartenspiel. Kurz, es ist was los im Bunker, und wenn nichts los ist, dann erinnern untergründige Streicherklänge und obergründige Detonationen daran, daß hintergründig doch was los ist. Was da los ist, das sagt uns diesmal nicht Guido Knopp, sondern Bernd Eichinger, Produzent, Drehbuchautor und Tabubrecher von Joachim Fests Gnaden: »Ein Volk wartet auf seinen Untergang.«
Keineswegs bricht ein Tabu oder betritt künstlerisches Neuland, wer die letzten Tage im Führerbunker mit deutschen Schauspielern nachzustellen sucht. An den Film Der letzte Akt von G. W. Papst wurde erinnert. Dagegen scheint das Filmepos Befreiung von Juri Oserow in Vergessenheit geraten zu sein, eine Koproduktion von Mosfilm, DEFA, ZRF Start und De Laurentiis, das 1972 sowohl in der DDR als auch in der BRD zu sehen war.
Den Hitler spielte der DDR-Schauspieler Fritz Dietz, dem seine Mitwirkung in verschiedenen Filmen in eben dieser Rolle – so in der siebzehnteiligen Schmonzette Die siebzehn Augenblicke des Frühlings – den Beinamen »Hitler vom Dienst« eingebracht hatte. In den achtziger Jahren wurden am Maxim-Gorki-Theater Berlin Abend für Abend Die letzten Tage des Führers in der Dramatisierung Michail Schatrows gegeben. Keineswegs auch wirkt verstörend, den authentischsten Hitler aller Zeiten seine Lippen auf die der tumben Geliebten drücken zu sehen. Eher schon verstört die Blindheit, mit der Regisseur Oliver Hirschbiegel dem Drehbuchautor Eichinger auf den Leim ging wie dieser dem Produzenten Eichinger, die sich zu dritt in dem Glauben befestigt haben, den Markt mit einem kommerziell erfolgreichen, dokumentarisch stichhaltigen und zu guter Letzt dramaturgisch schlüssigen Produkt beliefern zu können. Der Film Der Untergang ist dokumentarisch stichhaltig nur um den Preis dramaturgischer Schlüssigkeit und also weder das eine noch das andere.
Die Führungsfiguren des Dritten Reichs, insbesondere Hitler und Goebbels, haben sich immer auch als Spieler auf einer Bühne verstanden und, als sie längst ausgespielt hatten, ihren Abgang inszeniert. Darauf wurden sie in der künstlerischen Darstellung viele Jahre lang reduziert. Doch macht sie ihr theatralisches Auf- beziehungsweise Abtreten nicht von vornherein zu dramatischen Personen und ihre Handlungen nicht dramatisch. Es ist dies die Inszenierungsfalle, die sie den Nachgeborenen gestellt haben, die denn auch reihenweise hineingetappt sind. Ihr entgeht nur, wem es gelingt, die geschichtlichen Personen nicht einfach platt schwarzweiß oder bunt abzubilden oder als professionelle Wiedergänger durch Bild und Kulisse tappen, sondern die Person hinter der Person, die Geschichte hinter der Erscheinung vortreten zu lassen – sie zu erzählen.
Indem sie die historischen Vorbilder ihrer Rollen geschmackvoll kopieren, sind Hirschbiegels Schauspieler ihnen ferner denn je. Die erborgte Authentizität entlarvt sich als blanker Kitsch! Wo sie die Leerstellen ihrer Rollen auszufüllen suchen, da greifen sie auf Stereotype des Stadttheaters zurück. Corinna Harfouch erhöht die kindermordende Magda Goebbels zur Medea des Restreichs, und Juliane Köhler zieht ihre Lippen vor dem Spiegel nach, als würde sich nicht Eva Braun, sondern Maria Stuart zum Tod herrichten. Überhaupt wußte Hirschbiegel die divergierenden Herangehensweisen der Schauspieler an ihre Rollen kaum zusammenzubringen, ja, er scheint sie überhaupt nicht als für deren Zusammenspiel problematisch erkannt zu haben. Und doch gibt es innerhalb Hirschbiegels Täter-wie-Du-und-Icke-Zoo grauenvoll komische Spielsituationen und Dialoge, angesichts derer es dem Zuschauer den Atem verschlägt. Und es gibt insbesondere im Spiel der Juliane Köhler Momente, in denen aufscheint, wohin es im Ganzen hätte gehen können, Momente bedingungsloser Hingabe an den ältlichen Geliebten bei strikt eingehaltener Distanz, Momente, da die Köhler gnadenlose Dummheit und Hellsichtigkeit in eins fallen läßt.
Nimmt man das Dritte Reich insgesamt als klassisches Drama, dann nehmen die letzten Tage im Führerbunker die undankbare Stelle der – nach den Worten Gustav Freytags – leicht, kurz wie nachlässig hingeworfenen Katastrophe ein. Der Drehbuchautor hätte zwölf von tausend Jahren zu zwölf Tagen verdichten, der Regisseur im auseinanderbrechenden Gesellschaftsgefüge des Bunkers den Zusammenbruch des Reichs aufscheinen lassen und die Schauspieler noch die letzten Handlungen der Täter aus allen vorherigen begründen müssen. Doch weil das mit einem Dokumentarismus aus zweiter Hand – geliehen bei Traudl Junges Erinnerungen, Joachim Fests Buch, Hitlers Tischgesprächen etc. – nicht einzulösen ist, weicht der Film in den 08/15-Kriegsschinken aus, der handelsübliche Plots und passendes Personal, die letzten Tage von Berlin betreffend, aneinanderpappt.
Es ist was los im Film, aber filmästhetisch ist gar nicht viel los. Die den überlieferten Berichten nachgestellten Bilder vermögen keine inneren Bilder heraufzuholen, und wenn sie noch so farbecht und echtlichtig daherkommen. Der Endkampf in den Ruinen von Berlin sieht einer Requisitenschlacht mit viel Theaterblut vor eindrucksvoller Kulisse zum Verwechseln ähnlich, drapiert mit Leichen und mancherlei Kriegs- und Hausgerät.
Wer fragt da schon noch, warum der Film ausgerechnet in dem Moment seinen Focus wieder auf die vergessene Traudl Junge einengt, da dem entsetzlichsten Untergang aller Untergänge jener Tage filmkünstlerisch zu begegnen gewesen wäre? Am 2. Mai, wahrscheinlich in den Morgenstunden, Hitler war bereits tot, sprengten SS-Männer den Nord-Süd-Tunnel am Kreuzungspunkt mit dem Landwehrkanal. In den Wassermassen der Spree, die sich in das Untergrundnetz ergossen, ertranken zahllose Zivilisten, die hier Zuflucht gesucht hatten. Zu der Zeit hat General Helmuth Weidling den Kapitulationsbefehl unterzeichnet und fordert persönlich die letzten kämpfenden Soldaten auf, sich zu ergeben. Das wiederum wird gezeigt.
Mit Hirschbiegels und Eichingers Familienfilm läßt es sich vielleicht deshalb so gerne aushalten wie mit jeder der vorkommenden Figuren, weil sie allem und jedem Gerechtigkeit widerfahren lassen – und daher nichts, keiner Sache und keinem Menschen. Alexandra Maria Lara alias Traudl Junge entkommt durch U-Bahn-Schächte in umstelltes Gelände, schlüpft unter dem lüsternen Blick eines Rotarmisten hindurch und in die Freiheit, gezogen von dem Pimpf Peter, dem ein Führer einst die Wangen tätschelte, dessen Leiche jetzt im Garten der Reichskanzlei verwest. Auf einem alten Fahrrad radelt die Frau mit dem Jungen durch unschuldige Landschaft dem Westen zu. Der Untergang liegt hinter ihr, vor ihr liegt das Wunder von Bern.
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