von Jens Knorr
Es hat die sogenannte Zeitoper nicht nur bei Mozart und Verdi gegeben und auch nicht nur während ihrer großen Zeit in den zwanziger Jahren – in der DDR wurde sie besonders gefördert und entsprechend gefürchtet. Zeitopern trugen Titel wie Die sieben Affären der Doña Juanita oder Bewährung über den Wolken, und wo sie nicht mehr als nur Zeitopern sein wollten, gerieten sie zu zeitgeschichtlichen Phänomenen, über die sich DDR-Mediävisten am besten in dem Standardwerk zur DDR-Oper von Sigrid und Hermann Neef informieren können, das seit 1992 vorliegt.
Doch welche Oper kommt wann und für wen zur rechten Zeit? In den fünf Jahren der Intendanz Monika Pirklbauers hat das Nordhäuser Theater regelmäßig, dem jeweiligen Thema der Spielzeit entsprechend, ein neues oder zumindest für das Nordhäuser Publikum neues Werk auf den Spielplan gesetzt – auf den Spielplan des Musiktheaters wohlgemerkt: Das Geheimnis der 672. Nacht von Jan Müller Wieland (2000), The Tender Land von Aaron Copland (2001), Frida Kahlo von Robert Xavier Rodriguez (2002), Lodoïska von Cherubini (2003) und zuletzt Paul und Paula oder Die Legende vom Glück ohne Ende von Ludger Vollmer.
Nun war zwar Vollmers letztgenanntes Produkt weniger die Zeitoper zur Unzeit als vielmehr die mißglückte Vertonung eines eigenen Librettos nach dem Film oder dem Drehbuch zu diesem Film oder dem Roman nach dem Drehbuch zu diesem Film oder dem Roman anstatt eines Drehbuchs. Dennoch: Diese Oper zur Zeit führte noch einmal beispielhaft vor, was Stadttheater zu leisten vermag und was es als Sparruine eben nicht mehr zu leisten vermag: nämlich das Erproben neuer Werke durch ein erprobtes Hausensemble aller Sparten, das noch aus dem Scheitern künstlerischen Ertrag zieht, auch wenn der sich freilich erst zu einer Zeit einstellen wird, da das anmaßende Urteil eines angereisten Rezensenten aus der Hauptstadt längst vergeben und vergessen ist.
Die Uraufführung von Paul und Paula war nicht die letzte Premiere der Intendanz Pirklbauer; ein Tanzabend Triple Bill IV, Così fan tutte und Der Sohn von Jan Fosse sind noch angekündigt. Die Intendantin hat ihren Abschied vom Theater genommen, weil dessen Träger der Sparte Schauspiel den Abschied gegeben und die Nordhäuser sich ab der kommenden Spielzeit mit der Bespielung ihres Hauses durch das Ensemble des Rudolstädter Theaters zufriedenzugeben haben. Monika Pirklbauer, von Haus aus Musikdramaturgin, weiß, daß die Sparmaßnahme weder städtischen noch Theaterhaushalt konsolidiert, sondern das Haus mehr denn je zur Disposition stellt und damit ein Theatermodell, für das sie angetreten war, weil es sich dafür anzutreten lohnt. Der Rest ist Sache von Verwaltungsdirektoren.
Braucht eine nachindustrielle Brache, aus der zu fliehen sucht, wer irgend fliehen kann, noch das Stadttheater als einen sozialen Erfahrungsraum? Brauchen am Ende des warenproduzierenden Systems die entsorgten Warenproduzenten noch Laboratorien sozialer Utopien? Braucht die Kulturlandschaft um Nordhausen, Sondershausen, um den Kyffhäuser, die den deutschen Dichter Einar Schleef hervorgebracht hat, noch ein Dreispartentheater?
Die Bürger der Stadt und der Region haben sich Sachzwängen gebeugt. Wenn der Bestandsschutz für das Theater 2009 erlischt, werden sie sagen, daß sie 2004 keine Wahl gehabt hätten, wie sie 2004 sagen, daß sie 1990 keine Wahl gehabt hätten. Aber das ist nicht wahr: Sie haben ja gewählt!
»Man sprengt Paulas Haus. Das letzte alte Haus in der Straße von Paul und Paula.«
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