Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 27. September 2004, Heft 20

Briefgespräche

von Mathias Iven

Im Mai 1948 erhielt Hermann Broch im amerikanischen Exil einen Brief von Veza Canetti. Das Schreiben enthielt ein »überaus interessantes Exposé über eine wissenschaftliche Erforschung des Konzentrationslagerlebens« und die Bitte, bei der Suche nach einem Verleger behilflich zu sein. Broch, dem es »der Mühe wert [schien], den Versuch zu unternehmen«, wandte sich daraufhin an den Autor Hans Günther Adler. Der aus Prag stammende Dichter, Romancier, Historiker sowie Analytiker des Holocaust wollte sein – in wesentlichen Teilen Anfang des Jahres 1948 fertiggestelltes – Buch über Theresienstadt unbedingt in Amerika veröffentlichen.
Unabhängig von Herkunft und Lebensumständen fanden die beiden Autoren in ihren intellektuellen Interessen schnell eine gemeinsame Basis. Und so verwundert es nicht, daß sich der 25 Jahre ältere Broch für einen Autor einsetzte, der bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts veröffentlicht hatte. Broch entwickelte allerdings nicht allein in diesem Fall eine Art von Pflichtgefühl, mit dem er alle Personen behandelte, die sich hilfesuchend, zumal aus dem deutschsprachigen Raum, an ihn wandten. Der vorhandene und sehr gut kommentierte Schriftwechsel zeigt, welche Bemühungen Broch im einzelnen unternahm.
Ein Umschwung in der Korrespondenz trat im Verlaufe des Jahres 1949 ein, als Adler auch seine literarischen Arbeiten an Broch schickte. Ganz offensichtlich wollte dieser das Material aber auf Distanz halten und zu einem gewissen Zeitpunkt »nichts mehr davon sehen«. Hinzu kam vielleicht, so lesen wir im Nachwort, daß Broch »plötzlich genug von einem Mensch gehabt zu haben [schien], der ihn so schmerzlich an die Umstände erinnerte, unter denen seine eigene Mutter [nämlich Ende 1942 in Theresienstadt] gestorben war«.
Das aus den Erfahrungen der eigenen Deportation nach Theresienstadt heraus geschriebene, »bewunderungswürdige Werk«, das heute gleichberechtigt neben Kogons SS-Staat steht, fand trotz aller Bemühungen Brochs und anderer Personen keinen amerikanischen Verleger. Die damalige Krise des Buchmarktes brachte es mit sich, daß es für deutschsprachige Autoren zunehmend schwieriger wurde, ihre Werke in Amerika zu veröffentlichen. Broch, der 1951 starb, erlebte das Erscheinen von Adlers Buch nicht mehr. Erst 1955 gelangte – befördert durch die nicht unwesentliche Unterstützung Adornos – die erste Auflage in Deutschland auf den Markt. Adler wurde sofort bekannt. Aber es dauerte noch einmal fast zehn Jahre, bis es – angeregt dieses Mal durch Heinrich Böll – auch zu einer Art Durchbruch bei der Anerkennung von Adlers literarischem Werk kam.
Adlers Buch über Theresienstadt spielte nur ein paar Jahre nach seiner Publikation eine wichtige Rolle beim Eichmann-Prozeß in Jerusalem. Eine Person, die diesen Prozeß verfolgte und die sich auf den Wunsch von Broch hin in die Suche nach einem Verleger für Adler eingeschaltet hatte, war Hannah Arendt, die bereits 1948 einen Artikel über die Konzentrationslager veröffentlicht hatte. Ihr Buch über den Prozeß gegen Eichmann löste in den sechziger Jahren eine Welle der Diskussion und Empörung aus.
In den vergangenen Jahren erschienen bereits Teile von Arendts umfangreicher Korrespondenz, so unter anderem die mit Broch, Heidegger oder Jaspers. Jetzt liegt der aus den Jahren 1967 bis 1975 stammende Briefwechsel mit Uwe Johnson vor. Es dreht sich, wie bei Broch und Adler, auch hier hauptsächlich um ein Buch: Johnsons Jahrestage.
Im Mai 1965 begegneten sich Johnson und Arendt zum ersten Mal in New York. Wenige Monate später kam er zurück, um in den folgenden zwei Jahren in der Stadt zu arbeiten und für sein Opus magnum zu recherchieren. Die unmittelbare Nachbarschaft zu Arendt und ihrem Mann Heinrich Blücher brachte einen regen Gedankenaustausch mit sich, der nach Johnsons Rückkehr nach Berlin brieflich fortgesetzt wurde. So heißt es beispielsweise in einem Brief Arendts vom Dezember 1968: »ich war sehr gerührt, dass Sie weiter so freundlich dafür sorgen, dass ich auf dem laufenden bleibe, und ich lese alles, was Sie mir zukommen lassen, gleich sehr eifrig«.
Hannah Arendt, die Gräfin Seydlitz der Jahrestage, interessierte sich – und das nicht nur in ihrer Eigenschaft als ehemalige Lektorin – sehr für das Fortschreiten von Johnsons Arbeit. Sie fand in seinen Arbeiten ein »Verstehen«, das die Tatsachenwahrheiten akzeptierte, das »wahrhaftig« sein wollte.
Für Johnson waren nicht nur die in zahllosen Gesprächen vermittelten politischen und philosophischen Auffassungen Arendts von bleibendem Wert. Es war vor allem die Erfahrung einer ihm unbekannten Lebensform: die der jüdischen Überlebenden in New York. Dieses Unbekannte wollte er in die integrieren, die kollektive Geschichte der Juden sollte, exemplarisch an Einzelschicksalen verdeutlicht, in das Werk einfließen.
Arendt sah in dem Buch, dessen 4. Band erst nach ihrem Tod erschien, »wahrhaftig ein Meisterwerk«. Und nicht nur das: Johnson hatte für sie seine selbstgestellte Aufgabe übererfüllt: »Dies ist ein Dokument, und zwar ein gültiges für diese ganze Nach-Hitler-Zeit. Diese Vergangenheit haben Sie in der Tat haltbar gemacht, und was vielleicht viel unwahrscheinlicher ist, Sie haben sie überzeugend gemacht.« Im »Zusammenspiel der Generationen«, im ständigen »Sich-Besinnen« des Autors wurde für Arendt das Vergangene als erlebte Geschichte zur Mahnung für die Gegenwart und Zukunft.
Eine interessante Ergänzung zu den Briefen sind, neben dem Nachruf, Johnsons zwischen 1967 und 1980 entstandene, in der Ursprungsform hier erstmals veröffentlichte Texte, die alle mit Hannah Arendt in Verbindung stehen: die von ihrer Wohngegend handeln, die ihr Umfeld skizzieren und auf ihre Person anspielen. Sie dokumentieren, daß die Erinnerung an seinen zwei Jahre währenden Aufenthalt in New York für Johnson zeitlebens mit ihr verknüpft war.

Hans G. Adler, Hermann Broch: Zwei Schriftsteller im Exil. Briefwechsel, Wallstein Verlag Göttingen, 95 Seiten, 16,00 Euro; Hannah Arendt – Uwe Johnson: Der Briefwechsel, Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main, 341 Seiten, 18,90 Euro.