von Walter Thomas Heyn
Aber was für Ticker sind die Politiker? Sind sie wirklich so vonnöten, wie man glaubt? hat Kreisler vor Jahren gesungen und dabei die Politiker auf der Po-Silbe akzentuiert. Das damals – 1989/90 – anschlußheischende Gesäß war ja auch von imposanter Opulenz. Und so kam schicksalhaft unwettergleich der Tag der Währungsunion über die ungläubigen Gläubigen. »Freiheit – was ists? Der Geschlagenen Glauben, einer gewänne das Ihre für sie.« So schrieb es Andreas Reimann, bei dem die Benachrichtigung über die Verleihung des Schillerpreises und der Fragebogen des Sozialamtes über seine Vermögensverhältnisse am gleichen Tag im Briefkasten lagen. Doch zum Thema. Die Tochter ist 21 und braucht eine Lehrstelle.
Von den unzähligen schriftlichen Bewerbungen schweigen wir. Daß Wünsche hinsichtlich persönlicher Vorlieben, eventuelle Eignung, Berufung gar keine Rolle spielen, ist allen klar, sogar ihr. Nur die Lehrstelle zählt. Das Arbeitsamt hat nichts, hilft aber beim Adressensuchen. Die Bekannten werden belästigt, alle Handwerker hochnotpeinlich ausgefragt. Alles Fehlanzeige.
Ich versuche zu helfen und durchforste die Zeitungen. Die Website von Jobs-and-fun enthält nichts, aber das Computer-Sicherheitsprogramm springt an: Verflucht, ein Trojaner, nur weg hier. Hinter halbtags-job.de verbirgt sich Werbung. Daß sich hinter Mutti-sucht-Arbeit.de Erotik verbirgt, ahnte ich schon vorher.
Die Zustellungsagentur für die Wochenblätter sucht immer »zuverlässige Leute, gern auch mit eigenem PKW«. Tausend Zettel Kaufhof-Werbung, viermal im Monat bei Wind und Wetter in ganz Weißensee ausgetragen, bringen 48 Euro. Im Monat wohlgemerkt! Die Tochter beschafft sich von der Großmutter einen Rentner-Porsche (ein fahrbarer Einkaufbeutel auf Rädern) und wartet das ganze Wochenende. Die Zeitungen liegen nicht im Hausflur.
Kulis zusammenschrauben und Werbung falten, so steht es in jeder Zeitung, sei der neue Hit – leichteste Arbeit zu Hause. Von 1624 Euro bis 6847 Euro garantierter Verdienst. Festanstellung möglich! Ich rufe an und kriege einen rüstige Dame aus Schwaben an die Leitung. Sie klärt mich über die Telefontarife auf (1,38 pro Minute) und erklärt mir ganz langsam, daß sie selbst die Arbeit nicht vergibt, sondern weitervermittelt, und die Tochter müsse sich da und dahin wenden. »Haben Sie einen Stift? Ich diktiere ihnen das mal« – alles gaanz langsam. Als sie das dritte Mal den gleichen Text wiederholt, ahne ich etwas. Ich dränge nun auf Tempo, aber sie ist unerschütterlich. Monoton und gaaanz langsam setzt sie zur vierten Wiederholung an. Nun habe ich’s. Eine umgeleitete Telefonnummer und der Gewinn aus der Gesprächsdauer werden zwischen Telekom und dieser Krauterbude geteilt. Ein risikoloses Geschäft, denn die Dummen (die Bedürftigen, Notleidenden, Verzweifelten) werden nicht alle. Der ganze Spaß dauert 28 Minuten und kostet mich 46 Euro.
Ein Freund bringt eine neue Hoffnung – eine neugegründete Vertriebsagentur. Die Arbeit ist: Zettel für Schönheitsmittel verteilen. Dafür gibt es zweihundert Euro, einfach so. Für jeden Rückruf eines Kunden gibt es eine Gutschrift, insgesamt aber werden für das erste Vierteljahr vierhundert Euro garantiert, auch wenn niemand zurückruft. Dafür gibt es zwei Arbeitsverträge über je zweihundert Euro, und die Tochter muß ein neues Konto eröffnen. Das erste Geld fließt. Das Kind wird zur Wochenendschulung eingeladen und erzählt abends über die Produkte. Ich schaue ins Netz und finde eine dubiose amerikanische Firma, die Produkte herstellt, die in den Staaten höchst umstritten und in Europa für den Import und den Handel verboten sind. »Deshalb wird ja der Direktvertrieb aufgebaut«, erklärt sie uns. Klar. Welche amerikanische Firma interessiert sich schon für deutsche Gesetze. Hat sich Herr Bush für die Einwände von Herrn Schröder interessiert? Na also.
Das neue Geschäftsprinzip heißt Multitasking business. Verschiedene Sachen sollen den Leuten gleichzeitig angedreht werden. Schönheitsmittel, Versicherungen, Aktien und so weiter, alles aus einer Hand und vermittels lumpiger kleiner Zettel, auf denen eine Telefonnummer steht und auf der Rückseite der Name des Vermittlers. Neue Wege geht das Land. Aktien am S-Bahnhof, warum denn nicht. Abends schauen wir die Arbeitsverträge an und wollen ein bißchen feiern. Der eine Arbeitsvertrag ist eine private Krankenversicherung. Monatlicher Beitrag: zweihundert Euro, Laufzeit unbegrenzt. Der andere Arbeitsvertrag ist eine Zusatzrenten-Kapital-Lebensversicherung. Monatlicher Beitrag: zweihundert Euro. Laufzeit 45 Jahre. Vor der finnischen Mutterfirma wird überall im Netz gewarnt. Wir schreiben Kündigungen. Das Postamt Friedrichstraße hat noch offen. Montag früh sind die Kündigungen da, Dienstag kommt die Kündigung.
Schöne neue Welt!
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