Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 2. August 2004, Heft 16

Lacoma KW

von Reinhard Stöckel

Lacoma, das klingt ein wenig nach La Paloma, nach Südseeparadies. Lacoma allerdings ist ein Dorf in der Niederlausitz und zu seinem Pech einst über einem Kohleflöz errichtet worden. Paradiesisch erscheint nicht wenigen die mit dem Namen des Ortes verbundene Teichlandschaft. Ihr gräbt der angrenzende Tagebau Cottbus-Nord langsam, aber sicher das Wasser ab.
Die jüngere Geschichte Lacomas ist geprägt vom Konflikt um die Braunkohleförderung und damit exemplarisch für die gesamte Region. Bereits 1983 wurde der Plan offiziell, welcher die mit Devastierung ins Amtliche übersetzte Verwüstung von Dorf und Landschaft vorsah. Damals erstritten sich die Bewohner (bis zum ZK vordringend, so geht die Sage) familiengroße Wohnblocks im Nachbardorf. Die alten Bewohner, bis auf wenige Ausnahmen, verließen das Dorf. Neue kamen: Studenten, Umweltaktivisten, Künstler. Sie besetzten die verlassenen Höfe, gründeten einen Verein und verhandelten sich ein befristetes Bleiberecht. Seither wechseln die Beinamen Lacomas: Ökosiedlung, Künstlerdorf, Chaotennest. Es ist wahrscheinlich, daß auch die Neusiedler Lacoma bald wieder verlassen. Zwangsweise. Der deutsche Ableger des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, nach Braunkohlenkombinat und LAUBAG seit 2002 verfügungsberechtigt über den Ort, ließ in diesem Frühjahr die ersten Häuser abreißen. Unter tätiger Mithilfe der Staatsmacht, denn bevor der Bagger sein Werk tun konnte, mußten erst noch einige junge Leute von den Dächern, auf welchen sie protestierend saßen, heruntergeholt werden. Chaoten eben, so jedenfalls erscheinen sie in den Augen der meisten Lausitzer. So wenig Kohle, für so viel Natur stand auf einem der Transparente der andersmeinenden Minderheit. Rotbauchunken und andere seltene Tierarten, Naturschönheiten und Freizeitmöglichkeiten fallen im Wettbewerb mit dem Arbeitsplatz-Argument immer schneller durchs Raster der öffentlichen Wahrnehmung.
Vierzig Millionen Tonnen Kohle, das ist die Jahresproduktion der drei aktiven Niederlausitzer Tagebaue, so viel lagert unter den neunzig Hektar rings um Lacoma. Ihre Vernichtung, heißt es, bedeute den Erhalt von Arbeitsplätzen. 630 will der Konzern bis 2006 abbauen, ohne die Lacoma-Kohle, rechnet er vor, wären es 860 mehr. Daß Vattenfall durchaus in der Lage wäre, sowohl für die Arbeitsplätze als auch für die Kohle Ersatz zu schaffen, zeigen Planungen für einen neuen Kraftwerksblock in Boxberg und den Wiederaufschluß des Tagebaus Reichwalde.
Kultur statt Kohle, wie ein wenig einfältig von Robin Wood plakatiert, so kraß sehen selbst die Lacomaer Neusiedler die Alternativen nicht. Dennoch ist das Bildungs- und Tourismuskonzept des Lacoma-Vereins kaum ein öffentliches Thema. Vielmehr trägt insbesondere die Stadt Cottbus, deren Ortsteil Lacoma ist, seit Jahren die Vision eines großen Cottbuser Sees vor sich her. Daß schon jetzt der Spree Wasser fehlt und es erst recht nicht ausreicht, bereits vorhandene Restlöcher zu füllen, tut dem keinen Abbruch. Ebensowenig, daß der Braunkohleabbau durch die Grundwasserableitung über die Spree (im Geschäftsjahr 2000/2002 wurden allein für den Tagebau Cottbus-Nord sechzig Millionen Kubikmeter Grundwasser gepumpt) direkt zu eben diesem Wassermangel beiträgt. Auch von den zwanzig Millionen Tonnen Kohlendioxid, das sind vier Prozent der gesamtdeutschen CO2-Emissionen, die das aus Cottbus-Nord versorgte Kraftwerk Jänschwalde jährlich in die Luft pustet, spricht hier kaum jemand, vielmehr fällt man kräftig in Vattenfalls Klagelied über zu knapp bemessene Emissionszertifikate ein.
Für den Tag nach der Zukunft übrigens, wenn die Lausitz endgültig ausgekohlt ist, erprobt Vattenfall ein zweites Standbein, die Verbrennung von Müll. Obwohl die Abfallverwerter der Region schon jetzt mit Überkapazitäten kämpfen und Umweltschützer wegen möglicher Schadstoffrisiken starke Bedenken anmelden, will der Konzern nun auch im Müllgeschäft mitmischen.
Größter Arbeit- und Auftraggeber, Sponsor und Steuerzahler der Region zu sein, das schafft schon mental unternehmerische Freiräume.
Politiker und Behördenvertreter üben sich, medial begleitet, dem Konzern gegenüber eher in einem unkritischen Ton. Man preist neben dessen wirtschaftlichen sein zweifellos vorhandenes Engagement in Umweltschutz und Kultur, ohne nach der ebenso praktizierten Kultur- und Naturzerstörung zu fragen. Offizielle Kritik an Vattenfall kam allerdings jüngst aus Schweden. Die Riksrevisionen, Schwedens staatliche Kontrollinstanz, bemängelte, der Konzern mißachte mit der einseitigen Ausrichtung seines deutschen Ablegers auf Atomkraft und Braunkohle seine energiepolitischen Aufgaben.
Hierzulande sind es die kleinen Initiativen, die, wenn auch Erhalt der bedrohten Dörfer und Landschaften nicht möglich sein soll, wenigstens die Verluste reflektieren. Lacoma KW (KW, Kürzel eines amtlichen Aktenvermerks: kann Wegfallen) heißt eine Ausstellung in der Cottbuser Galerie Marie 23. In der Galerie wurde kürzlich die Vorabversion eines Dokumentarfilms von Gottfried Schwemmer gezeigt. Darin beschreibt Schwemmer in einem zurückhaltenden poetischen Bilderreigen den Exodus eines anderen niederlausitzer Dörfchens, Horno, das an der Unwilligkeit der Vattenfallschen Betriebswirte scheitert, den Bagger um die Ortschaft herumfahren zu lassen. Kürzlich verkündete das Landesbergamt den letzten verbliebenen Einwohnern, dem Ehepaar Domain, den Enteignungsbeschluß. Im Interesse des Allgemeinwohls versteht sich, das, wie man im RBB vom Behördensprecher hören konnte, auch die sichere Stromversorgung von Madrid umfasse.
Der Name des zum Wohl aller gesamteuropäisch agierenden Stromkonzerns wurde übrigens in Schwemmers Film mit keiner Silbe erwähnt. Das sollte den Konzern, der zur Finanzierung des Filmprojekts beitrug, nicht bedrücken. Sicher wird Schwemmer im Abspann seines Hornoer Totentanzes die Zeile einfügen: Ermöglicht durch Vattenfall.
Die Grüne Liga veröffentlichte anläßlich einer Aktionärsversammlung von Vattenfall, daß der Energiekonzern intern mit zwanzig Millionen Euro für ökologische Ausgleichsmaßnahmen rechne, die er beim KW der Lacomaer Teiche aufwenden muß. Den Aktionären hätte man aber lediglich eine einstellige Millionenzahl bekanntgemacht. Vielleicht bleibt als letzte Hoffnung für Lacoma, daß sich für den Konzern die Sache am Ende doch nicht rechnet. So viel »Kohle« für so wenig Natur? Nein, danke! Dann hätten wieder einmal die Frösche Arbeitsplätze vernichtet.