von Gesine Lötzsch
Am 23. Mai wurde Horst Köhler zum Bundespräsidenten gewählt. Bereits im ersten Wahlgang. Am 1. Juli beklatschten Bundestag und Bundesrat den Auftritt des Neuen anläßlich seiner Vereidigung. Gesine Schwan, Kandidatin von SPD und Grünen, schien vergessen. Von Gerhard Schröder (SPD) bis Claudia Roth (Grüne) herrschte nun große Einigkeit: Der Neue ist gut. Vergessen gemacht werden soll auch etwas anderes: die nun bereits siebte Teilnahme von Hitlers Marine-Richter Filbinger als Wahlmann an der Bundesversammlung.
Der Bundestag gibt eine Reihe eigener Publikationen heraus. Dazu zählt Blickpunkt Bundestag. Verantwortlich ist der Präsident, Wolfgang Thierse. Eine feste Rubrik ist der Bericht über den Tagesablauf von Abgeordneten. Jeder Termin wird penibel aufgeführt, auch wenn er vielleicht extra für den begleitenden Journalisten inszeniert wurde. Bei allem Fleiß ist es nicht unbedingt jeden Tag so, daß die Abgeordneten ihren ersten Termin bereits vor sieben Uhr früh haben und erst um Mitternacht wieder in ihre Wohnung kommen. Mein Tag fiel kürzer aus. Ich wurde von Blickpunkt Bundestag am 23. Mai begleitet. Entstanden ist ein sehr freundliches Porträt, das eigentlich viele Menschen bewegen könnte, PDS zu wählen. Aber: Die Porträts der Abgeordneten geraten immer sehr freundlich, so daß keine Partei benachteiligt oder bevorzugt wird. Allerdings hat die Beschreibung meines Tages einen wesentliche Lücke. Man kann nachlesen, daß ich mich mit anderen PDS-Wahlleuten vor der Bundesversammlung in meinem Büro Unter den Linden treffe. Man kann auch nachlesen, daß wir gemeinsam zum Reichstag gehen. Aber warum haben wir uns bloß vorher getroffen? Der Reichstag ist ja auch für Auswärtige nicht zu verfehlen. Wir trafen uns, um gemeinsam am Brandenburger Tor, um ein Transparent mit der Aufschrift »Hitlers Marine-Richter Filbinger in Berlin unerwünscht – PDS« zu entrollen. Wir hatten das bereits am Mittwoch vor der Wahl gemacht und damit eine breite Diskussion in den Medien ausgelöst. Am Wahltag selbst wollten wir noch einmal unsere Position bekräftigen. PDS-Wahlleute aus allen Bundesländern beteiligten sich. Im Manuskript des Artikels fand ich diese Aktion beschrieben. In der Druckfassung fehlt die entsprechende Passage. In einem Brief vom 28. Juni an Bundespräsident Thierse fragte ich nach Gründen. Nach zwei Wochen hatte ich trotz telefonischer Nachfrage immer noch keine Antwort. Thierse – sonst in Sachen Antifaschismus immer korrekt bis vorbildlich –, wird er etwa von der eigenen Verwaltung desavouiert? Wenn ich keine Antwort bekomme, gehe ich an die Presse, ließ ich dem Büro Thierse mitteilen. So tat ich es auch. Thierse reagierte empört. In einer Erklärung ließ er von einer »falschen, maß- und stillosen Aktion der Abgeordneten« schreiben. Das zur Polemik. In der Sache erklärte Thierse: »Die Gründe, warum die Redaktion auf die Darstellung der Teilnahme der Abgeordneten an einem ›Protest gegen Filbinger‹ (Lötzsch) verzichtete, liegen auf der Hand: Die Reportage bietet keinen Platz, das Für und Wider einer bestimmten Meinung zu erörtern, sondern dient der exemplarischen Beschreibung der Tagesabläufe von Abgeordneten.«
Ehrlich gesagt hatte ich mich gewundert, wie es an der Öffentlichkeit vorbeigegangen war, daß Filbinger bereits sieben Mal als Wahlmann aufgestellt wurde. Nach diesem Erlebnis kann ich es mir besser erklären.
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