Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 19. Juli 2004, Heft 15

Tod im Gletschereis

von Liesel Markowski

Hans Werner Henzes Oper Elegie für junge Liebende von 1961 ist an Berlins Staatsoper in bemerkenswerter Aufführung zu erleben. Die Libretto-Autoren Wystan Hugh Auden und Chester Simon Kallman erzählen eine tragische Geschichte, die mit dem tödlichen Bergunglück eines verliebten Paares im Gletschereis der Alpen endet. Doch geht es dabei nicht nur um dramatisches Unfallgeschehen, sondern ebenso um ironische Kritik und Groteske über einen weltabgewandten, ruhmsüchtigen bürgerlichen Künstler. Es ist der Dichter Gregor Mittenhofer, der seine Umwelt ausbeutet, um den sich alles im Berghotel Schwarzer Adler dreht. Dort läßt er sich von den Visionen der Hilda Mack inspirieren, für die seit vierzig Jahren die Zeit still steht: Im zerschlissenen Hochzeitskleid erwartet sie immer noch die Rückkehr ihres Bräutigams von einem Gebirgsausflug gleich nach der Trauung. Unheilverkündend wird die Leiche nun im Eis gefunden. Die Gräfin Carolina von Kirchstetten ist Mittenhofers Mäzenin und unterwürfige Sekretärin. Sein Jugendfreund, der Arzt Wilhelm Reischmann, betreut ihn gesundheitlich, und Elisabeth Zimmer ist seine junge Geliebte. Er gibt sie heuchlerisch-freundlich frei, als sie sich Toni, dem Reischmann-Sohn, zuwendet, wütet dann, alleingelassen, in rasendem eifersüchtigen Zorn-Monolog. Das Paar bittet er um ein kostbares Edelweiß vom Berg Hammerhorn, es wird bei der Wanderung vom Schneesturm überrascht. Mittenhofer läßt der Unwettermeldung keine Rettungsaktion folgen, er nimmt den Tod der beiden hin, nutzt ihn zur Inspiration für eine Gedenkelegie, für die er sich am Ende eitel im Theater feiern läßt.
Berg und Tod, Zeit und Kälte, der Meister und sein von ihm negiertes menschliches Umfeld – Henze hat dies plastisch und scharf in eine funkelnde Musik gefaßt. Realistische Klänge wie Lokomotivenpfiff und Alpenglocken stehen ebenso dafür wie die Gesangslinien und obligaten Soloinstrumente der aufs feinste psychologisierten Figuren (die Violione Elisabeths, die Flöte Hildas, das Englisch-Horn der Gräfin oder das großtönende Blech des Meisters) und das Orchester-»Grosso« in raffinierter Klangatmosphäre.
Szenisch wie musikalisch hat die Staatsoper in dieser Aufführung eine überzeugende Übereinstimmung erreicht. Regisseur Christian Prade und Ausstatter Alexander Linti belassen Geschehen und Bühne in der Handlungszeit um 1910. Historische Parallelen zu unserer Gegenwart bieten sich an, können vom Publikum assoziiert werden. Es gibt keine der üblichen penetranten Aktualisierungen. Das metallisch blitzende Ambiente des Berghotels mit großer Normaluhr und alpinem Panorama, die weißblaue Gletscherwelt und die einfach gehaltenen Kostüme geben ein Kolorit, das Henzes Klängen angemessen erscheint.
Spannung von der Musik her herrschte vor: im überlangen ersten Akt mit vielerlei Information über das Wer und Wie und ganz besonders bei der gefährlichen Gratwanderung des Paares und dessen lyrischen Kantilenen. Musikalische Brillanz blühte auf unter dem Dirigat von Philippe Jordan, bei der glänzend spielenden Staatskapelle und den prachtvoll und textverständlich singenden Darstellern.
Ein Phänomen ist Caroline Stein als Hilda Mack mit artistischem Koloraturgesang in extremen Höhen in diesem hochkarätigen Ensemble von sechs Sängerpersönlichkeiten: Katharina Müller als anmutige Elisabeth, Stephan Rügamer als tenorschöner Toni, Rosemarie Lang (Alt) als Gräfin und die Baritone Andreas Schmidt als kraftvoller Mittenhofer und Günter Missenhardt als Arzt.