Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 5. Juli 2004, Heft 14

Fundorte

von Renate Hoffmann

Ob ein Museumstag landesweit verordnet oder nicht verordnet ist, es lohnt, hin und wieder die Klinke eines kulturellen Sammlungshauses zu drücken und einzutreten. Welten öffnen sich – ferne, näherliegende, nahe. Man erkennt das Band, gesponnen aus Ähnlichkeiten, das sie miteinander verknüpft. Fundsachen lassen lächeln und lachen; regen an, gebieten Achtung, stimmen nachdenklich. Und Goethen ist an solchem Platze recht zu geben (obwohl er keineswegs der Erste war, dem dieses Licht aufging), »… daß nichts Neues unter der Sonne geschieht.«
In Entdeckerlaune tummle ich mich im Museum Bayerisches Vogtland der Stadt Hof und sehe Ein Büchlein für mancherley gute und probate Mittel, Anno im Jahre Christi 1833. Umgehend bringt sich die Reform, betreffs der teuer gewordenen Gesundheit in Erinnerung. »Beschwörungsformeln« und »Besondere Segen«, so überlege ich, kosten nichts, schaden nicht (helfen wohl auch nicht), doch verleihen sie ein Gefühl der Überlegenheit. Denn mit ihnen könnte man womöglich die uns auferlegten unbotmäßigen Zahlungen unterlaufen. Ich beginne nachzulesen und versichere, daß sich, nach dem Wunderbuch, vom »platen Fuße« bis zum Haarausfall jegliches heilen läßt. Genaues Befolgen der Anweisungen vorausgesetzt.
Unter den Therapievorschlägen wähle ich eine Spezial-Beschwörung: »Für den Zahn-Weh. Schreib diese Worte: GIAT GIA NAPITAL den Tag, da es anfängt, in 14 Tagen muß er (der Patient, d. A.) solches in fliessendes Wasser werfen.« Bei dem »fliessenden Wasser« handelt es sich um natürliche Rinnsale, Bäche oder Flüsse. Keine künstliche Wasserspülung verwenden! Sollte der Schmerz während der vierzehn Tage nicht nachlassen, so könnte sich ein Schreibfehler in das Abrakadabra eingeschlichen haben. Dergleichen Irrtümer gefährden den Heilprozeß. Oder leiten gar die Beschwerden auf einen anderen, durch die falsche Schreibweise angepeilten Zahn um. Man prüfe! Läßt sich der Beschwörungs-Formel-Fehler partout nicht finden, beiße man die Zähne zusammen, nehme seinen Zehn-Euro-Schein und gehe zum Zahnarzt.
Im selben Haus, zwei Etagen hinauf, wird das Erziehungs- und Bildungswesen vergangener Tage vorgestellt. Wie erreicht man lustbetontes Lernen? Herkömmlicherweise beginnt die Lernverlockung mit der Zuckertüte. Um ihre anspornende Wirkung zu verlängern, erdachte man eine Zuckertüte aus Blech. Zur Doppelnutzung. Hat sich nämlich der Erstklässler endgültig mit dem Tüteninhalt auseinandergesetzt und dreht das Objekt herum, so findet er an dessen Spitze ein Mundstück – und darf auf der Tüte tuten.
Ist der Inhalt erst geleert, / wird die Tüte umgekehrt. / Heinrich drückt sie an den Busen, / denn er kann nun auf ihr blusen.

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Im thüringischen Moorbad Lobenstein flüchte ich vor einem Wolkenbruch unter das Dach des Stadt- und Regionalmuseums. Die alte Bergbau-, Tuchmacher- und Kurstadt entwirft in den Schaustücken das Bild ihres Werdegangs und des Lebens ihrer Bürger. In der schmalen »Wäschekammer« – zwischen biesengezierten, schmuckrandbesetzten, gefältelten und mit verschlungen gestickten Monogrammen versehenen Wäschestücken – liegt eine Männer-Unterhose. Ausbesserungen überziehen Kniepartien und Sitzfläche. In feinsten Fädelstichen gestopfte Quadrate und Rechtecke reihen sich aneinder, weiter und weiter in das Originalgewebe vordringend. Es ersetzend. Sorgsam gelegte Langettenstiche verbergen ausgefranste Säume an den Hosenbeinen. Ankämpfen gegen Mangel und Not. Beharrlich, kunstfertig, erfinderisch. Sisyphusartig. Und dennoch …!

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Aufzustöbern und mitzunehmen sind auch Gedanken, sofern sie überzeugen. Im kleinen Ort Joditz, am Oberlauf der »Sächsischen Saale« – unweit Hof gelegen, begegnet man dem oberfränkischen Dichter Jean Paul (1763-1825). Das Museum, ihm zu Ehren, bietet Sehenswertes, Wissenswertes zu Werk und Person. Ich greife nach der »Kriegserklärung gegen den Krieg«, von Johann Paul Friedrich Richter, so lautet sein bürgerlicher Name, 1809 veröffentlicht. Darin heißt es: »Wollte ein großer Staat nur die Hälfte seines Kriegs-Brennholzes zum Bauholz des Friedens verbrauchen; wollt’ er nur halb so viel Kosten aufwenden, um … sich zu entwickeln, als zu verwickeln, wie stünden die Völker ganz anders und stärker da!«
Gäbe es stammbuchähnliche Legitimationen für Politiker, so müßte diese Mahnung auf der ersten Seite eingetragen sein. In Großbuchstaben! Die Inhaber hätten sie auswendig zu lernen und auf Befragen vorzutragen. Laut und ohne Zögern.