von Wolfram Adolphi
Schröder: D-Day Sieg für Deutschland« titelte die Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 6. Juni 2004, dem 60. Jahrestag der Eröffnung der zweiten Front gegen das faschistische Deutschland durch die Landung US-amerikanischer, britischer und kanadischer Truppen, in deren vordersten Reihen auch Soldaten vieler anderer Nationen kämpften und starben, an der französischen Kanalküste.
Nun war der Originalspruch des Kanzlers in Gänze – in der Bild am Sonntag ist es nachzulesen ñ noch etwas länger. Der Sieg der Alliierten, heißt es da, sei »kein Sieg über Deutschland, sondern ein Sieg für Deutschland« gewesen, und da wird das Nicht-Stimmende noch deutlicher als in der Kurzfassung der FAZ, denn er war – o vertrackte Vielbödigkeit der Geschichte – ganz zweifellos beides zugleich, dieser Sieg: ein Sieg sowohl über als auch für das Land, das diesen Zweiten Weltkrieg als Aggressor vom Zaune gebrochen und mit beispiellosem Zerstörungs- und Völkervernichtungswillen geführt hatte.
Aber darum soll es mir an dieser Stelle gar nicht gehen, und auch nicht darum, daß der eingangs zitierte FAZ-Aufmacher gänzlich ohne die Begriffe »zweite Front« und »Sowjetunion« auskommt und damit ein neuerliches Musterbeispiel an Geschichtsausblendung liefert, sondern darum, wie ernst das denn nun gemeint ist vom Kanzler mit dem Sieg für Deutschland – und welche öffentliche Aufmerksamkeit dann denjenigen Deutschen zukommt, die diesen Sieg für ihr Land nicht als Unterlegene der Alliierten erlitten, sondern als antifaschistische Widerstandskämpfer über Jahre hinweg und unter beständigem Einsatz ihres Lebens mit erfochten haben. Müßten sie jetzt nicht – endlich einmal! – im Mittelpunkt allen Interesses stehen?
Aber sie tun es auch diesmal nicht – jedenfalls nicht in Deutschland. Kein Wort in den großen Medien über ihr Tun, keine Würdigung, keine selbstkritische Rücknahme des peinlichen immerwährenden Verschweigens. Anders in Frankreich. Dort hat das große Nachrichtenmagazin
Le Monde 2 eine Sonderausgabe unter dem Titel libérateurs – Befreier – herausgebracht, und schon auf dem Umschlag werden – illustriert mit Porträtfotos – die drei Gruppen der Befreier benannt, denen dann im Heft viele Seiten gewidmet sind: der französische Widerstand – der maquis -, die Soldaten der alliierten Armeen und die deutschen Widerstandskämpfer – die antinazis. Die kurzen Ankündigungszeilen sind es wert, vollständig wiedergegeben zu werden. Dies ist – heißt es zu den maquisards – »die Epopöe des Georges Guingouin, widerständischer Kommunist und Chef des grand maquis im Limousin. Begegnung mit dem, den man einst ›Lo Gran‹ nannte.« Es folgt die Ankündigung GI: »Diese amerikanischen Soldaten sind auf historischen Fotos der Landungsoperation zu sehen. Der Bericht zweier Männer, die zu Ikonen geworden sind.« Und schließlich der dritte kleine Text zu den antinazis: »Diese Deutschen sind vor Hitler geflohen, um im französischen Widerstand zu kämpfen oder die Stäbe der Wehrmacht zu infiltrieren. Sie erzählen.«
Im Heft selbst dann auf vier Seiten Text unter der Überschrift Die Deutschen im Schatten die Porträts von drei Männern, die einst – wie es einleitend heißt – als Mitglieder der Geheimorganisation travail allemand ñ Deutsche Arbeit – »in den Militärapparat der Nazis eindrangen« und deren Schicksal »bis heute von der Geschichte unbeachtet geblieben ist«: Gerhard Leo, Kurt Hälker, Peter Gingold.
Natürlich – glücklicherweise – trifft es nicht zu, daß die Namen dieser drei und vieler anderer Widerstandskämpfer in Deutschland gänzlich unbekannt sind. Im Westen wie im Osten gab und gibt es viele, die sich um die Bewahrung nicht nur der Erinnerung, sondern auch des lebendigen Erbes an Wissen und Erfahrungen aus dem antifaschistischen Widerstandskampf bemühten und bemühen. Indes: Es sollte die Würdigung in Le Monde 2 auch für diese schon oft Engagierten ein zu neuerlichem Nachdenken zwingender Vorgang sein. Natürlich, werden viele in Ostdeutschland sagen, kennen wir Gerhard Leo, den langjährigen Frankreich-Korrespondenten des Neuen Deutschland und Autor auch der Weltbühne. Aber seine ganze Geschichte, beginnend mit der Flucht des Zehnjährigen mit der Familie vor den Nazis im Jahre 1933, sich fortsetzend mit dem Eindringen in die deutsche Transportkommandantur Toulouse 1943 als Dolmetscher mit einer Sprachbeherrschung, bei der er »glatt als deutsch sprechender Franzose mit elsässischer Mutter« durchgeht, dann Weitergabe kriegswichtiger Informationen an den maquis, Verrat durch einen Deutschen, den er zur Desertion bewegen will, Verhaftung, Flucht unmittelbar vor dem unausbleiblichen Todesurteil, Teilnahme am Partisanenkampf gegen die SS-Division Das Reich und an der Befreiung der Stadt Tulle, nach dem Krieg Journalist in der kommunistischen Presse in Düsseldorf, 1954 Wechsel nach Ost-Berlin, die »üblichen« Schwierigkeiten der West-Emigranten mit der SED-Führung, dann die Arbeit in Paris und schließlich im Februar 2004 die Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion durch die Republik Frankreich, vorgenommen »im berühmten Café Sybille in der Karl-Marx-Allee, jenem östlichen Teil Berlins, der durch die Wiedervereinigung nicht wirklich verändert worden ist« – wie bekannt ist die? Ist sie lebendig genug, diese ganze Geschichte, und wird sie oft und nachdrücklich genug aufgerufen gegen das Verstummen und Verfälschen und Umdeuten?
Genauso ausführlich und nachdenklich machend in Le Monde 2 auch die Lebensbilder von Kurt Hälker unter dem Titel Von der Wehrmacht in die Befreiungsstreitkräfte und von Peter Gingold unter Ein kommunistischer Propagandist, der den Zusammenstoß nicht fürchtet.
Dies sind – nehmen wir die Diktion ernst! – deutsche Sieger für Deutschland, deutsche Befreier vom Faschismus. Alterspräsident der Bundesversammlung zur Wahl des deutschen Bundespräsidenten im Mai 2004, nur wenige Tage vor dem 60. Jahrestag des D-Day, war mit Hans Filbinger ein Mann, der noch im Mai 1945 Todesurteile gegen Deserteure verhängt hat.
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