Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 24. Mai 2004, Heft 11

Dichters Ort

von Kai Agthe

Am Anfang war das Wort, und es ist ein Goethesches, mithin ein vielzitiertes: »Wer den Dichter will verstehen / Muß in Dichters Lande gehen.« Ein Motto, das sich der Verfasser des Buches Dichterhäuser ebenso zu eigen machte wie etwa Friedrich Dieckmann, als er im Jahre 2002, um Anregungen für eine Laudatio auf Wolfgang Hilbig zu sammeln, von Berlin nach Meuselwitz reiste. Solch abseitige Flecken sucht Peter Braun nicht auf, sondern nur Orte, in denen Dichter museal geehrt werden; das höchste der literarischen Gefühle ist daher Weinsberg, wo Justinus Kerner seine Heimstatt hatte. Kerner ist ein Beweis für die These, daß ein Dichter, der zu Lebzeiten eine Berühmtheit war, nach seinem Tode schnell in Vergessenheit geraten kann. Denn: Wer gerät nicht in Verlegenheit bei der Frage, wer Kerner war und was die Literatur ihm verdankt? Im besten Falle mag man sich an den nach ihm benannten Wein erinnern. Aber welche Gedichte gehen auf den schreibenden Arzt zurück, der ein Faible für den Mesmerismus hatte und in einer Schrift vor der toxischen Wirkung von geräucherten Würsten warnte?
Unter zwölf Schriftsteller haben sich nur zwei schreibende Frauen gemischt. Annette von Droste-Hülshoff aus dem Münsterland aufgeführt zu finden, ist kein Wunder, da sich die Dichterin allein mit ihrer Erzählung Die Judenbuche in die Literaturgeschichte geschrieben hat. Doch auch ihr am familiären Gängelband gehaltenes Leben war alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Daß man an gebrochenem Herzen sterben kann – das möchte man im Falle von Annette Droste wirklich glauben.
Marieluise Fleißer aus Ingolstadt porträtiert zu sehen, ist eine ebenso freudige Überraschung wie die Existenz eines Museums daselbst; immerhin hatte sie ihre liebe Not mit ihrer Geburtsstadt und deren stets und ständig Nestbeschmutzung witternden Einwohnern. Die Erwähnung von Fleißer mag ein Beleg dafür sein, daß es immer noch schwierig ist, Dichterhäuser (zumal in Form von veritablen Gedenkstätten) zu finden, in denen einst Schriftstellerinnen heimisch waren.
Peter Brauns Idee ist freilich so neu nicht, da seit langem Publikationen zum Thema historische und zeitgenössische Dichterhäuser vorliegen. Überdies hat etwa der emsige quartus-Verlag in Bucha bei Jena das Konzept schon vor sieben Jahren sehr erfolgreich auf regionale Belange zu übertragen verstanden: 1997 veröffentlichte er Dichterhäuser in Thüringen (eine Neuauflage ist 2004 vorgesehen) und 1999 den Band Dichterhäuser in Sachsen-Anhalt. Und 2005 soll voraussichtlich ein Buch mit wichtigen Dichterdomizilen in Sachsen folgen. Das sind gewichtige Ergänzungen zu dem Buch von Peter Braun, weil in ihnen auch Städte und Dörfer mit Beiträgen bedacht werden, in denen keine Gedenkstätten existieren; in die man aber ebenso reisen sollte, um die Dichter in ihren einstigen Lebenswelten verstehen zu lernen.
Für eine erste Orientierung über deutsche Dichter(gedenk)stätten – deren Adressen und Öffnungszeiten im Anhang des Buches aufgeführt sind – ist Peter Brauns insgesamt vierzehn Porträts umfassende Sammlung sehr zu empfehlen. Nicht zuletzt wegen der leichten Diktion, die den versierten Journalisten erkennen läßt.

Peter Braun: Dichterhäuser, mit 64 s/w-Abbildungen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2003, 222 Seiten, 15 Euro.