von Jörn Schütrumpf
Er war einer der umstrittensten Repräsentanten des Übergangs von Rosa Luxemburg zu Ernst Thälmann: Arthur Rosenberg (1889–1943), der hochbegabte Sproß aus dem Süden der Slowakei zugewanderter minderbegüterter Berliner Juden. Den Zivilisationsbruch des Ersten Weltkrieges hatte der erfolgreiche Altertumshistoriker und bekennende Nationalist recht kommod im Kriegspresseamt, der zentralen Zensur-, Propaganda- und Spionagebehörde des deutschen Militärs, überstanden. Bei Kriegsende war er jedoch zur Linken und zum Internationalismus gewechselt – damals kein ganz ungewöhnlicher Weg. Viele prominente Linke der Weimarer Republik hatten am 4. August 1914 noch dem Kaiser und den anderen Kriegsverbrechern in spe zugejubelt. Ähnliche Brüche waren auch nach dem Zweiten Weltkrieg zuhauf zu beobachten. Nicht zuletzt aus NAPOLA und Adolf-Hitler-Schule gingen in beiden deutschen Staaten Führungskräfte hervor, die mit ihrer ursprünglichen Gesinnung gebrochen hatten – worüber allerdings nicht gern geredet wurde.
Binnen kürzester Zeit schrieb sich Rosenberg in die erste Reihe der KPD. Nach dem Desaster des sogenannten Mitteldeutschen Aufstands, in dem die – im Februar 1921 gewählte und sich linksradikal gebärdende – Führung der gerade erstarkten (V)KPD ihre proletarischen Anhänger feige verraten hatte, waren viele politisch erfahrene, ursprünglich in der SPD organisierte, Arbeiter ernüchtert aus der von ihnen gegründeten KPD ausgeschieden. Ihnen waren im April 1921 nach dem Ausschluß des ersten KPD-Vorsitzenden und Vertrauten Rosa Luxemburgs, Paul Levi, nicht wenige Intellektuelle gefolgt. Sieht man von Clara Zetkin, Jacob Walcher, August Thalheimer, Heinrich Brandler, Paul Frölich, Wilhelm Pieck und Edwin Hoernle ab, verblieb sowohl von den Intellektuellen als auch von den Arbeitern der Gründergeneration bestenfalls die zweite Reihe – die übrigens sieben Jahre später von Ernst Thälmann ebenfalls fast vollständig aus der Partei hinausgesäubert wurde.
Gebildete gab es unter den durch Krieg und Nachkrieg Radikalisierten und in die KPD Gespülten nicht sehr viele; marxistisch Gebildete noch weniger; an Leuten, die wie Luxemburg oder Levi schreiben konnten, mangelte es fast völlig. Da hatte es der Privatdozent an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität Arthur Rosenberg nicht allzu schwer, sich in der Internationale regelmäßig neben Lenin und Trotzki gedruckt zu sehen. Da er zudem auch noch frei reden konnte, erlangte er schnell Prominenz.
Im Sommer 1923 lag auf der Straße – was in Deutschland selten geschieht – die Revolution; doch der Deutschland-Spezialist der Komintern, Karl Radek, veranstaltete lieber ein nationalbolschewistisches Kasperle-Theater samt Schlageter-Bekultung. Als das Politbüro der KPdSU dann die deutsche Revolution doch noch »beschloß« und auf Trotzkis Geburtstag, am 7. November, »festlegte«, warf die Rentenmark schon ihre ersten Strahlen an den Himmel der ungeliebten deutschen Republik. Auf der Linken scheiterte in Hamburg der in die Irre geschickte Ernst Thälmann ebenso wie in München auf der Rechten der an Richard Wagner irre gewordene Adolf Hitler. Damit waren beider Karrieren nicht etwa beendet, sondern – das Ganze spielte in Deutschland – begannen sie erst richtig; ebenso die kurze große Zeit des Arthur Rosenberg.
Die Verantwortlichen in der Komintern hatten an ihrer eigenen Statt die scharf antiputschistisch eingestellten »Luxemburgisten« Brandler und Thalheimer zu den Schuldigen für ihr eigenes Versagen im Jahre 1923 erklärt und damit den Weg für Berlins Radau-Kommunisten um Arkadij Maslow und Ruth Fischer freigemacht. Rosenberg wurde für kurze Zeit ihr Theoretiker, geriet aber bald in Gegensatz zu Ruth Fischer und ihrem Hamburger Zögling fürs Grobe, Ernst Thälmann.
Mario Keßler, der nach mindestens sieben Büchern in zehn Jahren und Dutzenden biographischer Texte seine erste große Biographie vorlegt, schlachtet auch hier heilige Kühe in Serie. Deshalb bleibt es mir unerfindlich, warum er der traditionellen Geschichtsschreibung ausgerechnet bei der Bewertung der Gruppe Arthur Rosenberg – Werner Scholem folgt und sie als »ultralinks« – fast möchte man schon sagen: denunziert. »Prinzipienfest« scheint es eher zu treffen – zumindest soweit es um Rosenberg geht.
Zum Bruder von Gershom Scholem, der bis zu seiner Ermordung im Jahre 1940 im KZ zur Belustigung der SS von ebenfalls eingesperrten »rechtgläubigen« Kommunisten sekkiert und drangsaliert wurde, mag ich mich mangels Kompetenz nicht äußern. Aber Rosenbergs Positionen sind ganz eindeutig nicht »ultralinks«, sondern durch einen überaus konsequenten Internationalismus und, fast mehr noch, durch einen kompromißlosen Demokratismus gekennzeichnet. Angesichts der ideologischen Aufstellung der KPD rutschte er damit natürlich nicht auf die »rechte« Seite von Ruth Fischer, sondern auf deren »linke« – soweit »links« in diesem Zusammenhang überhaupt ein Sinn innewohnt.
Mit »ultralinks« hat das alles jedoch gar nichts zu tun. Anders wäre übrigens auch Rosenbergs Entwicklung zum interessantesten linken Zeithistoriker der Weimarer Republik, der er nach seinem freiwilligen Bruch mit der KPD und seinem Übergang in eine ungewisse Zukunft wurde, kaum zu erklären. Das ist allerding auch der einzige Einwand, den ich gegen dieses ansonsten nicht anders als vorzüglich zu nennende Werk vorzubringen vermag.
Mario Keßler: Arthur Rosenberg. Ein Historiker im Zeitalter der Katastrophen (1889–1943), Böhlau Verlag Köln – Weimar – Wien 2003, 335 Seiten, 39,90 Euro.
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