von Wolfram Adolphi
Das Wetter hätte nicht schöner sein können in Berlin an diesem 3. April, dem Europäischen Protesttag gegen den Sozialabbau: Sonne und frühlingssanfte 18 Grad sind eine kaum zurückweisbare Einladung, auf die Straße zu gehen, und in der gehobenen Stimmung allrundherum ist es leichter als sonst, sich nicht nur der Gemeinsamkeit des Neins gegen eine bedrohliche Politik zu versichern, sondern auch ein Lächeln der Ermunterung bereit zu haben für die Leute neben sich. 250000waren es, die sich da – aus der ganzen Republik kommend – zu Mittag am Zielpunkt dreier Demonstrationszüge zwischen Brandenburger Tor und Großem Stern versammelt hatten. Am Alexanderplatz, am Breitscheidplatz und am Gendarmenmarkt war man zwei Stunden zuvor losmarschiert, und mit wem man auch ins Gespräch kam in diesen Stunden: Es gab ein überwältigendes Gefühl der Befriedigung, daß es so viele geworden waren, die sich da auf den Weg gemacht hatten – zweieinhalb mal soviel wie am 1. November des vergangenen Jahres! –, und dieses Gefühl verstärkte sich noch, als man erfuhr, daß sich auch in Stuttgart und Köln je um die Hunderttausend zum Protest versammelt hatten.
Also alles in Ordnung? Alles gut?
Ich fürchte: Nein. Denn so wichtig die Frage ist, wer nach diesem Tag mit sich zufrieden sein kann – wichtiger ist am Ende ja doch die, wer wirklich erschüttert worden ist. Erschüttert so sehr, daß er sich zu einem Umsteuern veranlaßt sieht.
Und da muß man wohl sagen: die sozialdemokratisch-grüne Bundesregierung nicht. Denn sie hat es geschafft, den Protest zu ihren Gunsten zu kanalisieren, und der DGB und ver.di und andere Einzelgewerkschaften haben ihr dabei nach Kräften geholfen. Die alte, »unauslöschliche« Verbundenheit zwischen ihnen und der SPD hat der Kanzler ein weiteres Mal zu instrumentalisieren vermocht. Und diesmal nicht nur – wie etwa im Wahlkampf 2002 – gegen die Parteienkonkurrenz PDS, sondern zweitens auch gegen attac! und drittens gegen alle, die sich mit Plänen zur Gründung einer neuen Linkspartei tragen. Wahrlich, ein trauriges Meisterstück!
Ich bin zu scharf in meinem Urteil? Nicht »verträglich« genug? Gar gegen die Einheit im Kampf gegen die Zerschlagung des Sozialstaats?
Nein, ich nehme ernst, was ich lese. Dieter Scholz, Vorsitzender des DGB in Berlin-Brandenburg, hat in seinem Aufruf für den 3. April formuliert, daß es darum gehe, sich gegen »die neoliberalen Kräfte im Land« zu wehren. Wer aber sind diese Kräfte? Es sind die, sagt Scholz, die »vom Umbau des Sozialstaats reden, wo sie den Abbau betreiben«. Einverstanden. Aber warum bleibt er so wolkig, so unkonkret? Benennt nicht den Hauptakteur Bundesregierung beim Namen? Und nicht die Agenda 2010? Und nicht Hartz I bis Hartz IV? Gehe ich fehl, wenn ich annehme, daß er es darum nicht tut, weil sich ein paar Tage vor diesem 3. April Kanzler Schröder und DGB-Chef Sommer noch einmal »verständigt« haben?
Es ist bei dieser »Verständigung« offenbar Einigkeit darüber erzielt worden, daß »die neoliberalen Kräfte« zuvörderst bei der konservativen Opposition von CDU/CSU und FDP zu suchen seien. Und daß der Protest also folgerichtig nicht gegen die Regierung gerichtet sein dürfe, sondern ihrer Verteidigung gelten müsse. Eine durchaus überraschende Logik angesichts dessen, was diese Regierung da gerade durchzupeitschen im Begriffe ist – aber dennoch den Fall gesetzt, sie sei stimmig: Müßte man dann nicht erst recht wirklich alle zum Aufstehn aufrufen?
Aber genau das wollen die Gewerkschaftsspitzen nicht – trotz der lautstarken Reden von Michael Sommer und Dieter Scholz am Brandenburger Tor. Indem sie den Protest an diesem Tag monopolisiert haben, tragen sie dazu bei, die Ausdehnung zum wirklichen Massenprotest zu verhindern.
Eine falsche, die Größe des Ereignisses kleinredende Feststellung? Erinnern wir uns des Ausgangspunktes: Es war auf dem Europäischen Sozialforum in Paris im November 2003, daß sich die dort versammelten sozialen Bewegungen darauf verständigten, zu einem europäischen Kampftag gegen den Sozialabbau aufzurufen. Es waren attac! und andere Bewegungen und Initiativen, die im Dezember 2003 in Frankfurt am Main den Staffelstab aufnahmen. Ich erinnere mich gut des Mißtrauens der dort Versammelten, als über den Beitrag der Gewerkschaften zu diesem Kampftag beraten wurde. Zu fest saß bei vielen schon die Erfahrung, daß sie dann, wenn die Gewerkschaften ihren gewaltigen Apparat und ihre politischen Bindungen ins Spiel bringen, wenig Raum für andere Positionen bleiben wird.
Und sie haben – leider! – Recht behalten, die Mißtrauischen! Denn sie haben keine Größe, die Großen des DGB. Nur über und von sich selbst reden sie auf ihren Aufrufen, nichts weist auf Verbindungen mit attac! hin, nichts auf gemeinsame Ziele und Positionen. Sie sind es, meinen sie, die europaweit agieren – und kein Wort fällt über die Stärke der 100000, die sich in Paris versammelt hatten aus eigener, neuer Kraft und den Gewerkschaften erst den Anstoß gegeben haben zum jetzigen Aktionstag.
Und sie haben noch immer – und dies seit nun fast fünfzehn Jahren! – keine Größe, die Großen des DGB, im Umgang mit der PDS. Parteien dürfen nicht reden auf solchen Kundgebungen wie der vom 3. April? Otmar Schreiner von der SPD durfte, Niels Annen von der SPD durfte – die linke Opposition im Bundestag, die einzige, die sich der Zerschlagung des Sozialstaats im Parlament widersetzt, durfte nicht. Gesine Lötzsch und Petra Pau waren ebenso wenig zugelassen wie Lothar Bisky. Noch immer ignoriert man im DGB diese linke Zwanzig-Prozent-Partei – ach ja, sie ist es ja nur im Osten.
Wer zerstört hier Gemeinsamkeit und Kraft des Protests? Und warum? Wenn der 3. April 2004 Zukunftskraft entfalten soll, wird man darauf Antwort einfordern müssen.
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