Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 12. April 2004, Heft 8

New Yorker des Ostens

von Peter Jacobs

Eine Schlagzeile wie in eigener Sache: »Erfolg, was ist das?« Die Frage zierte den Titel der Februar-Ausgabe eines journalistischen Ostprodukts und ist an sechs Glückssucher Ost gerichtet, vom Stukkateur bis zum Barkeeper. Einen siebenten Kandidaten befragte das Monatsblatt jedoch nicht, nämlich sich selbst.
Die kleine Prise Selbstgerechtigkeit wäre durchaus erlaubt gewesen. Denn es handelt sich um ein Presseerzeugnis, das vom großen Guru in der deutschen Presselandschaft, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schon mal zum »New Yorker des Ostens« geadelt worden ist: Das Magazin. Sternschnuppe am grauen Osthimmel.
Die Gelegenheit für das berechtigte Maß an Selbstlob konnte das kleine Team der Blattmacher sich aufsparen für das Jubiläumsheft im März. Denn da wurde die kleine, aber feine Monatszeitschrift mit dem unterhaltsamen Leseanspruch und dem gehobenen Freizeitcharme eigentlich sogar achtzig. Wie man’s nimmt. So oder so: Vorzeigen läßt sich inzwischen eine erstaunliche Überlebensgeschichte. Das 100-Seiten-Druckerzeugnis im ungewöhnlichen DIN-A5-Format, älteren Ostbürgern erinnerungsträchtig nicht nur wegen seines hohen Unterhaltungswerts, sondern auch als Fenster zur Welt der Erotik, trotzt der Flut der Sex- und Glitzermagazine des vereinten Deutschlands und kann darauf verweisen, daß es mittlerweile auch im Westen Fuß faßt. 50000 bis 60000 verkaufte Exemplare jeden Monat, davon ein Fünftel in den alten Bundesländern – das veranlaßt Chefredakteurin Manuela Thieme schon mal zu der leicht pathetischen Einschätzung, es handele sich eigentlich um ein pressegeschichtliches Wunder.
Das Wunder ist journalistischer wie geschäftlicher Natur. Die eigentlich schon im Jahr 1924 nach englischen Vorbildern gegründete Kultur- und Unterhaltungspostille war in DDR-Zeiten konkurrenzlos. Als jedoch die Marktwirtschaft hereinbrach, geriet auch das Magazin an den Rand der journalistischen Müllkippe. Der Mediengigant Gruner + Jahr wußte mit dem Kleinod aus der Erbmasse des Berliner Verlages nicht viel anzufangen: Ein Wechselbalg mit ziemlich diffusem Leserspektrum und wenig Hoffnung auf ein ertragreiches Anzeigengeschäft. Also ein Auslaufmodell.
So verramschte man den Titel an zwei Hamburger Jungunternehmer, die vom Überseehandel vielleicht etwas, vom Zeitschriftenmarkt aber nichts verstanden. Fast ein Jahrzehnt lang mühte sich dann ein ehrenwerter Bremer Drucker, dem die Hamburger Yuppies sechsstellige Rechnungen schuldig geblieben waren, um ein betriebswirtschaftlich tragfähiges Konzept. Bis er mit seinem Mutterhaus im Westen in Konkurs ging und somit auch seinen Expansionsversuch im Osten abbrechen mußte.
Schließlich kaufte der Jungverleger Michael Thieme aus Frankfurt (Oder) die Rechte. Eine personelle Lösung an der Spitze hatte er unkompliziert zur Hand: Schwester Manuela Thieme-Deutschländer, gestandene Rundfunkjournalistin und Wochenpost-Redakteurin, empfahl sich für den Chefposten. Ihr gelang binnen kurzem ein professioneller Doppelschlag: Sie lüftete den letzten Ostmief und verbannte zugleich die inzwischen aus dem Westen eingeschleppte neue Niedlichkeit. Energisch sortierte sie den Autorenstamm und dockte neue Leute mit guter Feder an, von denen auf dem schrumpfenden deutschen Zeitungsmarkt immer mehr frei herumschweben.
Thiemes Relaunch brachte dem Magazin mehrere tausend neue Leser ein. Zum journalistischen Ehrgeiz gesellte sich ihre Bereitschaft zu wirtschaftlichem Risiko. Im Sommer 2002 gab der Neue Odersche Verlag und Medienagentur (NO-Agentur) das Blatt ab, und die Chefredakteurin wagte den unternehmerischen Versuch allein. Sie gründete die Seitenstraßen Verlag GmbH und übernahm auch die Geschäftsführung. Ein Novum in der Geschichte des Magazins: Zum ersten Mal liegen die betriebswirtschaftlichen und die journalistischen Geschicke in einer Hand. Eine doppelte Bürde.
Das geringe Anzeigengeschäft macht das journalistische Edelprodukt weiterhin verwundbar. Nur zwei schreibende und ein technischer Redakteur sind fest angestellt, zu DDR-Zeiten waren es fast ein Dutzend. Zwei Autoren haben Honorarverträge, fünfzehn bis zwanzig andere schreiben regelmäßig und können immerhin bestätigen, daß ihr Ertrag deutlich über dem liegt, was ihnen Berliner Tageszeitungen derzeit an Honorardumping anzubieten haben.
Lesertreue ist nach wie vor das beste Kapital für die Geschäftsführung. Die Haupteinnahmen kommen aus den mehr als 31000 Abonnements. Zwei Drittel gehen drauf für technische und Fixkosten und für den Druck. Gedankenspielen für eine Kooperation mit Großverlagen stehen die Magazin-Leute dennoch skeptisch gegenüber. Sie wollen vorerst weiter selbständig weitermachen. Das schließt auf längere Sicht andere Überlegungen nicht aus. »Falls wir«, seufzt die Doppelchefin, »irgendwann mal zu lange erfolgreich auf der Stelle treten.«