von Wolfram Adolphi
Sie sind eine Bank, die Ossis in der SPD. Nicht für den Osten – natürlich. Denn man will doch nicht spalten, nicht wahr. Aber für den Kanzler – und das ist es schließlich, worauf es ankommt. Komme, was da wolle.
Da mucken nun einige auf gegen die famose Agenda 2010 ihres Parteichefs und Bundeskanzlers, aber siehe: Es sind – wie könnte es anders sein – alles Wessis, die ja ohnehin keine Disziplin gelernt haben. Oskar Lafontaine, der ewig Beleidigte, zum Beispiel. Dazu diese sich selbst überschätzenden, wichtigmacherischen Juso-Typen Andrea Nahles und Niels Annen. Und schließlich Ottmar Schreiner und Sigrid Skarpelis-Sperk – Unruhestifter allemal, ohne Sinn für stringentes Regierungshandeln.
Wie anders, wie zuverlässig dagegen die Ossis Wolfgang Thierse, Manfred Stolpe oder Matthias Platzeck. Sie haben begriffen, daß es zum Kurs des Kanzlers keine Alternative gibt. Und bringen ja auch wohlbegründete eigene Erfahrungen mit. Nehmen wir nur die These, wonach niedrige Löhne die Investitionsbereitschaft verstärken. Manfred Stolpe, derzeit Bundesminister für Bau und Verkehr, hat Beweise zuhauf in der Tasche, daß diese These richtig ist. In Brandenburg, wo unter seiner Regierung von 1990 bis 2001 konsequent nach dem Niedriglohnprinzip verfahren worden ist, haben Industrieansiedlungen in großem Maßstab stattgefunden. Massenweise haben westdeutsche Großunternehmen auf den billigeren Arbeitsmarkt Ost gedrängt, und an den Betriebstoren künden große Tafeln von freien Stellen, für die nun neuerdings auch im Westen geworben werden soll. Wer will ihm da verdenken, daß er an diesem Kurs festhalten will?
Als ähnlich richtig und erfolgsgetragen hat sich – gemessen an der Willigkeit eines Stolpe oder seines Nachfolgers Platzeck, vor ihrem Kanzler zu buckeln – die Autobahnthese erwiesen. Die Prignitzer Kleinstadt Wittstock ist dafür ein treffliches Beispiel. Sie liegt im Dreieck der Hauptstrecken Berlin – Rostock und Berlin – Hamburg, und wer immer daran zweifelt, daß Autobahnen Lebensadern mit tausendfach positivem Arbeitsplatzeffekt sind, der möge ins landschaftsblühende Wittstock reisen. Oder auch in andere brandenburgische Autobahnmetropolen wie Prenzlau, Pasewalk, Senftenberg oder Schwedt.
Mit Hilfe ihrer erfahrungsreichen Ossis hat die SPD ein selbstzerstörerisches Experiment in Gang gesetzt. Es trägt die Überschrift »Man soll, wenn der Kurs falsch ist, nicht die Pferde wechseln«. Also wird der so überaus deutlich unerfolgreiche Niedriglohn nicht nur weiterhin gepredigt, sondern mit der Peitsche durchgesetzt. Und die millionenfache Demütigung der Arbeitslosen, für das Fehlen von Arbeitsplätzen selbst verantwortlich zu sein, zum Prinzip eines »reformierten« Sozialstaates erhoben.
Aber damit ist die Rolle der willigen Ossis in der SPD noch nicht erschöpft. Selbstverständlich sind sie auch gegen eine höhere steuerliche Belastung der Reichen. Das ist sehr verständlich, denn infolge des Niedriglohnaufschwunges hat sich besonders im Osten eine überaus große Zahl Vermögender entwickelt, deren überbordende Investitionsbereitschaft es jetzt zu schützen gilt. Vermögenssteuer, Körperschaftssteuer, gar Einbeziehung der Unternehmer und Selbständigen in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung – nein, mit solchem Gift darf der grandiose Aufschwung Ost nicht gefährdet werden. Da sei die Koalition der Willigen vor. Was für ein tragischer Mangel an Selbstbewußtsein in dieser Ost-SPD! Und was für ein dramatischer Mangel an Verantwortung. War es nicht vor allem die Wählerschaft im Osten, die Rot-Grün im September zum überraschenden zweiten Wahlsieg verholfen hat?
Der Kanzler danktʼs mit einem weiteren »Adieu!« – denn alles, was an seiner Agenda 2010 den Hundt & Co. so gut gefällt, von Merkel, Merz und Westerwelle freundlich benickt und von den Ober-Ossis in der Sozialdemokratie als alternativlos gepriesen wird, macht den Osten endgültig zur abgehängten Zweitklassigkeitsregion.
Sie hat es vielleicht nicht gewollt, daß es so kommt, die Ost-SPD, aber sie hat es vorgezeichnet, als sie im März 1990 in der Noch-DDR den Fehler ihres Lebens beging und sich auf eine Große Koalition mit der CDU einließ, obwohl sich doch die SPD in Bonn in der Opposition befand. Von diesem Moment an war keine Chance mehr dafür, der westdeutschen Sozialdemokratie etwas von der Kraft ostdeutschen Widerstands- und Erneuerungswillens einzuhauchen. Und Bündnisse zu schaffen zwischen den Aufsässigen dort und hier, die noch immer nicht daran glauben wollen, daß es zur Totalunterwerfung des Lebens unter »den Markt« keine Alternative gäbe.
So kann sich also der Kanzler auch bei seiner zweiten großen Parteierpressung der Ossi-Hilfe absolut sicher sein. Die erste war ihm am 16. November 2001 gelungen, als er die Abstimmung zur Beteiligung am Afghanistankrieg mit der Vertrauensfrage verband unter dem Motto: Wenn ihr dem Krieg nicht zustimmt, geht auch die Sozialpolitik des rot-grünen Projekts in die Binsen.
Nun ist in Vorbereitung des Sonderparteitages am 1. Juni die zweite Erpressung im Gange, in deren Ergebnis genau dies passieren wird, was mit der ersten Erpressung angeblich verhindert werden sollte: daß die Sozialpolitik in die Binsen geht.
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