Des Blättchens 6. Jahrgang (VI), Berlin, 14. April 2003, Heft 8

Danksagung

von Stefan Bollinger

Danke, Mr. President. Sie haben es geschafft, einige Wahrheiten deutlicher zu zeichnen, als dies manch Linker nach dem Crash des Staatssozialismus und dem Ende des Kalten Krieges wahrhaben wollte. Sie erinnern, daß moderner Kapitalismus – genauso wie der alte – imperialistische Politik betreibt, um Vorherrschaft und Weltmacht kämpft. Nur, heute gebietet keine zweite Supermacht dem auch nur ansatzweise Einhalt. Mit dem 11. September fanden Sie im Wortsinn den Casus belli, die Welt unter US-Kuratel zu stellen. Entweder treuer Vasall des Empire oder Schurke. Alte Europäer sind allemal verdächtig.
Was im Golfkrieg 1991 Ihr Vater vorbereitete und in Somalia, auf dem Balkan und anderswo die USA, aber auch andere westliche Staaten versuchten, findet nun im Irak seinen bislang härtesten Test. Es gibt keine andere Wahrheit, Freiheit und Macht als die der freien Welt, deren Hüter Ihr Gottes eigenes Land ist. Wehe dem, der sich dagegen stellt oder nur zaudert. Gegen den diktatorischen und aggressiven Irak wurde völkerrechtswidrig Krieg vom Zaune gebrochen. Was scheren UN oder Weltstrafgerichtshof, wenn es um US-Interessen geht. Wabernde Wolken heimtückischer Bedrohung und der Wunsch, den Irakis Freedom and Democracy angedeihen zu lassen, sollen Kriegsziele verbergen: den Griff nach Erdöl und Weltherrschaft.
Dank muß Ihnen, Mr. President, unser Kanzler abstatten. Berechtigt ernten er, Chirac & Co. Sympathie für die Distanzierung von dieser Politik, auch wenn das Unentschiedene ins Auge fällt. Wer Luftraum und US-Stützpunkte für einen Aggressionskrieg offen läßt und mit fadenscheinigen Begründungen Spürpanzer, Fregatten und AWACS-Besatzungen im Kriegsgebiet stationiert, wird unglaubwürdig und mitschuldig.
Ihre Heldentaten gegen den Irak sind der jüngste Schritt hin zur Wiedereinsetzung von Krieg und Gewalt als Mittel der Politik. Ihr Vorgänger Clinton (man lernt Leute ja erst lieben, wenn sie nicht mehr da sind) hatte die deutsche wie andere EU-Regierungen bestärkt, ihren etwas kleineren, aber ebenso gefährlichen Imperialismus auszuleben. Ohne die Destabilisierung Jugoslawiens und die militärische Befriedung des Balkans wäre der Krieg nicht als moralisches Instrument der Politik rehabilitiert worden. Das Nie wieder Auschwitz Außenminister Fischers zur Rechtfertigung des Jugoslawienkrieges hat den USA mindestens geholfen, Präventivkriege hoffähig zu machen.
Mr. President, es geht nicht um Antiamerikanismus, vielmehr treibt die Furcht vor der Wiederkehr imperialistischen Gehabes um, das einst zum Ersten Weltkrieg führte und die Spaltung der Welt in Herrschende und Unterdrückte verstärkte. So etwas ist nie von Dauer, Unterlegene wehren sich immer. Allerdings, hinter der Friedenssehnsucht europäischer Politiker stehen oft ebenso handfeste Machtinteressen wie hinter den Ihren. Nur, daß die vor die Haustüre schauen. Wirtschaftliches Interesse an Konjunktur, Märkten und Rohstoffen, auch Angst vor Flüchtlingsströmen, nicht zuletzt Sorge um sichere Urlaubsstrände begünstigen ziviles Agieren. Die Friedensliebe der Demonstranten wie auch vieler Irakis wird deshalb diesen europäischen Politikern ungeachtet auch niederer Beweggründe die Unterstützung geben, die sie brauchen.
Deshalb, Mr. President, ist Ihnen auch zu danken, daß Deutschland wie andere Staaten eigene Interessen deutlicher artikuliert – gegen die letzte Supermacht. Das Rückbesinnen auf nationale Interessen stört vermutlich nicht nur das Bündnis mit Ihnen, sondern auch NATO und EU. Um die Militärallianzen ist es nicht schade. Allerdings wird der Wunsch nach eigener Stärke wachsen – das ist ohne Rüstung und weiteren Umbau zur weltpolitisch wirksamer Militärpräsenz kaum zu haben. Jene Beruhigung, die sich Anfang der neunziger Jahre aus der Einbindung des vereinten Deutschland in die westliche Allianz ergab, kann nun Alleingängen der verbliebenen Mächte, auch Deutschland, weichen. Das ist nicht unbedingt die Perspektive einer zivilen Großmacht, die nur Gutes will. Nur, wiedererwachter Imperialismus, Griff nach Vorherrschaft mit allen ökonomischen wie militärischen Mitteln, ist weder unter Stars and Stripes, Tricolore, Schwarzrotgold noch unter EU-Flagge akzeptabel.
Trotzdem, Mr. President, wir müssen Ihnen für Ihr Festhalten an nationaler Überhöhung und Sendungsbewußtsein danken, die nachdrücklich dazu mahnen, daß international Recht und Strukturen nur funktionieren und Segen bringen, wenn sie dem Zugriff jener Politiker entzogen werden, die sie für sich instrumentalisieren. Ein Gewaltmonopol der UN in US-Hand gehört dazu.
Sie, Mr. President, und Ihr Wiedergänger Hussein beweisen uns auch, daß Kriegspläne immer noch ohne den wirklichen Krieg gemacht werden. Chirurgische Schläge, saubere Kriege, computerspielgleiche Feldzüge machen sich für TV oder Spielkonsole gut. Im Leben wird zurückgeschossen, gelitten, gestorben. Krieg bleibt Verbrechen, in dem der Schwächere vielleicht einen moralischeren Part einnimmt und Sympathien erheischt, sonst aber nichts. Schließlich ist Ihnen, Mr. President, zu danken, daß Sie eine müde, lange Zeit unauffindbare Friedensbewegung wieder erweckten, Millionen auf die Straßen zu bringen. Plötzlich gibt eine Chance der Politisierung breiter Schichten.
Schließlich sei nicht vergessen, daß parallel zur Kriegserklärung an den Irak – wenn auch auf kleinerer Flamme – ein sozialdemokratischer Kanzler seinem eigenen Volk, besonders den sozial Schwachen, einen sehr spezifischen Krieg erklärt hat, dessen Generäle nicht Rumsfeld oder Franks heißen, sondern Gerster, Rürup und Hartz. Hier wird jener soziale Sprengstoff angehäuft, der auch die westlichen Metropolen eines Tages aus den Angeln heben könnte. Imperialistische Politik hatte stets viele Gesichter.