Des Blättchens 5. Jahrgang (V), Berlin, 11. November 2002, Heft 23

Kriegsbetreiber

von Erhard Crome

Wir befinden uns in einem neuen Zeitalter des Krieges. Später werden sich die Historiker damit zu befassen haben, ob es trotz oder wegen all der Illusionen des Herbstes 1989/90 so wurde.
Der nächste Feldzug also gegen den Irak. Die Geschichte des angekündigten Krieges beginnt wohl im Februar oder März; in sechs Wochen soll er erledigt sein. Das große Spiel der Mächte läuft derweil: Frankreich taktierte recht lange im UNO-Sicherheitsrat, um den USA das Feld der Entscheidung politisch nicht allein zu überlassen. Großbritannien tut intern so, als könnte es auf USA-Politik Einfluß nehmen, indem es stets Eifer im Mittun zeigt, ist damit jedoch lediglich der »sichere« kleine Verbündete – und der Schwanz freut sich, wie schön er mit dem Hund wedelt. Deutschland laviert: keine eigene Teilnahme am Krieg als solchem (zumindest solange sich nicht in irgendwelchen Schubladen ein »Hufeisenplan« oder ähnliches findet); währenddessen aber die fortgesetzten Einsätze deutscher Truppen in den anderen Weltgegenden, militärische »Entlastung« der USA in Afghanistan, keine Einwände zu den amerikanischen Kriegseinsätzen von deutschem Boden aus und plötzliche Befürwortung von Terminen für einen EU-Beitritt der Türkei – worin bekanntlich die wichtigste Forderung der türkischen Staatsspitzen gegenüber den USA im Zusammenhang mit dem angekündigten Krieg besteht.
Allein schon diese Konstellation im Dreieck Paris – London – Berlin ist wahrlich ein herrliches Indiz für den Erfolg einer »Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik« der EU. Von einer Konstellation EU-Europa – China – Rußland, auf die man schielen könnte, wenn es um Faktoren in der internationalen Politik ginge, die dem imperialen Gestus der USA Einhalt gebieten könnten, kann erst recht keine Rede sein. Letztere sitzen längst im Boot des »Krieges gegen den Terrorismus«. China hat den USA schon vor Wochen zugesagt, eine Kriegsermächtigung der USA gegen den Irak im UNO-Sicherheitsrat nicht zu blockieren, wenn die USA im Gegenzug die uigurischen Rebellen auf die Liste der zu bekämpfenden Terroristen setzen. Auf der berüchtigten Ranch in Texas wurde dieser Deal lediglich bekräftigt. Und von Tibet redet der Westen gegenwärtig auch nicht.
Rußland hat das Geiseldrama in Moskau »erfolgreich« beendet: Fünfzig Terroristen wurden schlichtweg liquidiert, und über hundert Geiseln kamen ums Leben. Die klarste Beifallsbekundung kam von Ariel Scharon; und das Weiße Haus hat erklären lassen, daß für die Toten in Moskau allein die Terroristen verantwortlich seien. Was soll da noch das pflaumenweiche Gestammel aus gewissen europäischen Hauptstädten, ob Rußland vielleicht nicht doch eines Tages eventuell über eine gewissermaßen politische Lösung des Tschetschenien-Problems nachdenken könnte?
Rußland hat genügend Eigeninteressen, dem rollenden Kriegsrad im Sicherheitsrat nicht in die Speichen zu greifen. Und über die andere Bedingung – daß nach der Besetzung des Iraks die in den USA beheimateten Ölkonzerne sich nicht alle Springquellen des schwarzen Goldes allein aneignen und zumindest die bestehenden Verträge der russischen Ölfirmen mit Saddam Hussein achten – ist längst hinter verschlossenen Türen geredet worden. Das gilt übrigens ebenfalls für die französischen Ölinteressen im Irak. Vielleicht hält ja auch die französische Renitenz im Sicherheitsrat exakt so lange an, bis hier alles unter Dach und Fach ist.
Der Irak-Krieg also kommt als nächster. Worum aber wird er geführt? Um Saddam Hussein geht es gewiß nicht, wie schon zuvor nicht um Milosevic. Nur um Öl geht es auch nicht. Offensichtlich geht es in der Tat um das, was der alte Bush die »neue Weltordnung« nannte. Brzezinski meinte zwischendurch, die USA hätten zwei Generationen Zeit dafür. Wohlan! Der Politologe Laurant Murawiec von der konservativen Denkfabrik Rand-Corporation hat im Sommer in einem internen Vortrag vor den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses über die strategische Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens geredet. Sein Fazit: Irak ist der Hebel, mit dem die Saudis aus Saudi-Arabien entfernt werden sollen, auch wenn dies größere Unruhen im gesamten islamischen Raum zur Folge hätte und »Ägypten der Preis« wäre, der dafür zu entrichten sei. Die Washington Post brachte Anfang August eine Mitschrift dieses internen Vortrages; das Pentagon beeilte sich zu erklären, dies sei nicht offizielle Regierungspolitik, sei doch Saudi-Arabien ein wichtiger Verbündeter.
Nun kommt aber seit Jahren das meiste Geld weltweit für Islamisierungsaktionen aus Saudi-Arabien, ebenso für islamische Freischärler, einst in Afghanistan, dann in Bosnien, Kosovo, Tschetschenien. Solange dies dem amerikanischen Kalkül entsprach, hat man es goutiert, seit dem 11. September 2001 offenbar nicht mehr.
Ideologisch verbrämt wird dies schön politologisch mit demokratie-theoretischer Rabulisterei: Bei Deutschland und Japan nach 1945 habe die Einführung »der Demokratie« (und USA-freundlicher Regierungen) unter Besatzungsregimes ja auch erfolgreich funktioniert. Dann seien die autoritären Regimes, nicht nur in Spanien und Portugal, demokratischen gewichen, schließlich auch der osteuropäische Kommunismus. So handle es sich jetzt um »die vierte« oder »die fünfte« (wie auch immer gezählt wird) »Demokratisierungswelle«, jetzt im arabisch-islamischen Raum. In Afghanistan sei es mittels Krieges ja auch gelungen, »die Demokratie« (die sich unter dieser Perspektive als Vorgang des Wählens zwischen unterschiedlichen politischen Personen versteht) einzuführen. Tatsächlich ist »Demokratie« hier die Chiffre nicht für Volksherrschaft, sondern für die Installierung von Regimes, die in einem positiven Verhältnis zu den USA stehen, vulgo: ihnen untertan sind, zum gegenwärtigen imperialen Gefüge in der Welt gehören.
Wenn das allerdings so ist, stehen nicht nur »Schurkenstaaten« wie Nordkorea und Iran auf der Liste, sondern am Ende auch Indien, Rußland und China. Um diese Kriege vorzubereiten, braucht es dann wohl in der Tat zwei Generationen. Aber darauf läuft es hinaus, wenn es so weitergeht. Wir gehen »großen Zeiten« entgegen.