Des Blättchens 5. Jahrgang (V), Berlin, 5. August 2002, Heft 16

Reichtum heute

von Ulrich Busch

Als der preußische König Friedrich Wilhelm I. zur Finanzierung öffentlicher Bauten und zum Ausgleich des Haushalts 1734 zusätzliche Einnahmen benötigte, zögerte er nicht lange, die fünfzig reichsten Familien Berlins und Potsdams zur Kasse zu bitten. Er begründete sein Vorgehen damit, daß diejenigen, die durch den Staat zu Reichtum gelangt seien, ihr Vermögen nun auch zum Wohle des Staates einzusetzen hätten – sei es zum Bau öffentlicher Gebäude oder zum Ausgleich des Budgets. Dies war die unumstößliche Rechtsauffassung des Königs.
Wollte man die Finanzprobleme des Berliner Senats oder des Bundes heute auf ähnliche Weise lösen wie 1734, so erschiene dies den Vermögenden als eine ungeheure Zumutung, als blanker Despotismus, dem man unter keinen Umständen Folge leisten würde. Hatten die reichen Bürger damals, im despotischen Preußen, jedoch keine Möglichkeit, sich der Forderung des Königs zu widersetzen, so gibt es heute, in der modernen Demokratie, für den Staat so gut wie keine Chance, ein derartiges Anliegen durchzusetzen. Er versucht es daher erst gar nicht, wie die Kapitulation der rot-grünen Regierung in Sachen Vermögenssteuer zeigt, deren Wiedereinführung 1998 zwar in den Wahlprogrammen von SPD und Bündnis-Grünen stand, die aber zu keinem Zeitpunkt ernsthaft erwogen wurde. Und dies, obwohl der Reichtum, der hier zur Debatte steht, heute nicht weniger als damals auf staatliche Hilfen zurückgeht, das heißt, auf öffentliche Aufträge, staatliche Umverteilungsmaßnahmen und Subventionen, Steuergeschenke und -erleichterungen.
War es in früheren Zeiten zumindest teilweise gerechtfertigt, die Reichen steuerpolitisch zu schonen, da eine hohe Besteuerung hier nichts anderes bedeutete, »als die Erwerbstätigkeit und Sparsamkeit besteuern, und den Fleißigen mit einer Strafe belegen, weil er mehr gearbeitet und gespart hat als andere«, wie John Stuart Mill 1848 schrieb, so ist dies heute kaum mehr zutreffend. Inzwischen entstammen die angehäuften Vermögen in den wenigsten Fällen der eigenen Leistung und Sparsamkeit, sondern sind vor allem Ergebnis der Arbeit früherer Generationen sowie kapitalistischer Aneignung und Verteilung, soweit nicht Krieg, Ausbeutung, Betrug, Korruption und andere kriminelle Machenschaften ihre Quellen sind. Eine Besteuerung der großen Vermögen im Interesse des Allgemeinwohls scheint also allemal geboten.
Aber auch bei den laufenden Einkommen ist die Differenzierung einfach zu hoch, als daß sich damit Leistungsunterschiede begründen ließen. So lag in Deutschland im Jahre 2001 der durchschnittliche Stundenlohn im produzierenden Gewerbe bei 14,44 Euro (West) beziehungsweise 10,09 Euro (Ost). Gleichzeitig verdiente Herr Schrempp bei DaimlerChrysler pro Stunde 3125 Euro, brutto. Das ist mehr als 2500mal so viel. Selbst wenn sich hierin die Relation der tatsächlichen Leistung adäquat abbilden würde, so rechtfertigt dies doch keine steuerliche Privilegierung, wie sie die Politik aber praktiziert, indem sie Lohneinkommen höher besteuert als Gewinneinkommen. Im Bank- und Kreditgewerbe betrug der durchschnittliche Monatslohn 2969 Euro (West) beziehungsweise 2321 Euro (Ost). Das Gehalt des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Herrn Breuers, dagegen beträgt sieben Millionen Euro im Jahr, also rund 583333 Euro im Monat (ohne Sonderzahlungen). Gegenüber der in diesen Zahlen zum Ausdruck kommenden Einkommensrelation nimmt sich die Ost-West-Diskrepanz der Angestelltengehälter von zirka 22 Prozent geradezu lächerlich aus. Letztere aber ist in der öffentlichen Diskussion dauernd präsent, erstere hingegen nicht. Warum eigentlich nicht?
Während es bei den Einkommen durch die unterschiedlich hohe Besteuerung noch einen gewissen Ausgleich gibt, gibt es einen solchen bei den Vermögen nicht. Ganz im Gegenteil, die staatliche Finanzpolitik leistet hier, indem sie die großen Vermögen fiskalisch privilegiert, sogar noch einen erheblichen Beitrag zur Verstärkung der Ungleichverteilung. Leitbild und Begründung hierfür ist die neoliberale Wirtschaftstheorie : »Ungleichheit ist nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich. … Diejenigen, die die Reichen attackieren, vergessen, daß die meisten von ihnen im Verlaufe ihres Reichwerdens Arbeitsplätze schufen und so mehr Leuten geholfen haben, als wenn sie ihr Geld den Armen gegeben hätten.« (Friedrich August von Hayek, 1981). Vorbild dafür ist das Gesellschaftsmodell der USA, welches gegenüber dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland mit einer weit größeren sozialen Differenzierung aufwartet. Wie sehr die Bildung großer Vermögen aber gerade hier auf die hegemoniale Beherrschung der Welt und zudem auch noch auf die Mobilisierung krimineller Energie zurückgeht, auf Börsenschwindel, Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung und Korruption, muß angesichts der aktuellen Probleme nicht weiter ausgeführt werden. Inzwischen sieht selbst Präsident George W. Bush die Wirtschaft der USA durch derlei Praktiken in ernster Gefahr und fordert deshalb von den Unternehmern eine »neue Ethik« (Rede vom 9. Juli 2002), ein in der bisherigen Geschichte beispielloser Vorgang.
Die meisten Untersuchungen zur Vermögenslage in Deutschland konzentrieren sich auf die Höhe und die Verteilung der Geldvermögen der privaten Haushalte. Auch die Kritiker der Vermögenskonzentration und – ungleichverteilung setzen in der Regel hier an. Dabei wird übersehen, daß es sich beim Geldvermögen zwar um den sichtbarsten Ausdruck des materiellen Reichtums handelt, sozusagen um seine evidenteste Form, keineswegs aber um den wichtigsten oder größten Posten. Nach neuesten Berechnungen der Deutschen Bundesbank betrug das Geldvermögen deutscher Privathaushalte im Jahr 2001 3653 Milliarden Euro (brutto) beziehungsweise 2131 Milliarden Euro (netto). Sieht man von einer kleinen, extrem reichen Schicht von Milliardären einmal ab, so ist das Geldvermögen nicht ungleicher verteilt als andere Vermögensbestandteile. Ganz im Gegenteil, das sogenannte Betriebsvermögen, wovon in Deutschland mindestens 75 Prozent auf nur zwei Prozent aller Haushalte entfallen, ist für die Gesamtbewertung der differenzierten Vermögenslage weit wichtiger als das Geldvermögen. Und auch das Grund- und Immobilienvermögen wird, obwohl sein Umfang den des Geldvermögens übertrifft, häufig unterschätzt. Nicht zuletzt, weil es nicht marktgerecht bewertet, sondern systematisch unterbewertet wird, was seinen Eignern permanent Steuervorteile verschafft, zum Beispiel im Erbfall, welche die Besitzer von Geldvermögen nicht in Anspruch nehmen können.
Insgesamt verfügen in Deutschland etwa fünf Prozent der privaten Haushalte über knapp fünfzig Prozent des gesamten Betriebs-, Immobilien- und Geldvermögens. Es gibt sie also tatsächlich, die Reichen. Und es sind gar nicht so wenige, wenn man bedenkt, daß hinter den fünf Prozent rund 1,86 Millionen Haushalte stehen, also immerhin vier bis fünf Millionen Personen. Ihr Einfluß auf die Gesellschaft, ihre wirtschaftliche und politische Macht, ist jedoch ungleich größer als ihre Zahl. Es ist daher berechtigt, sich nicht nur mit den sozialen Folgen der Armut, sondern auch denen des Reichtums zu beschäftigen. Der Reichtum bringt eine spezifische Kultur hervor, wozu der exzessive Genuß und die phantasielose Nachahmerei durch die »Affen der Reichen« (Kurt Tucholsky) genauso gehören wie der Neid der Nichtreichen und dessen Diffamierung als »Sozialneid«.
Die statistischen Angaben zur Reichtumskonzentration beruhen natürlich auf Schätzungen, denn im Unterschied zu den meisten anderen ökonomischen Sachverhalten, die in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ziemlich exakt abgebildet werden, sucht man bei diesem Thema vergeblich nach verläßlichen Angaben. Die Autoren sprechen deshalb hier nicht nur von einem Quellenproblem, sondern zusätzlich auch noch von einem »Datenproblem«. Das heißt, der Reichtum wird statistisch nicht vollständig erfaßt, weder insgesamt noch in seiner die Gesellschaft polarisierenden Verteilungsstruktur. Dies legt den »Verdacht« nahe, daß die Unkenntnis über die wahren Sachverhalte eine der Grundvoraussetzungen derselben ist. Mithin ist die detaillierte Untersuchung und Aufdeckung dieses Sachverhaltes die erste Voraussetzung für eine Änderung der Situation.

Weiterführende Literatur: Jörg Stadlinger (Hrsg.): Reichtum heute. Diskussion eines kontroversen Sachverhalts, Verlag Westfälisches Dampfboot Münster 2001, 312 Seiten, 24,80 Euro