von Jörn Schütrumpf
Gerhard Schröder droht die große Einsamkeit. Vier Jahre lang gab er den Clinton – stets in der Zuversicht, den Wählern wäre es letztlich egal, ob Deutschland als Präsidialdiktatur oder als Parteiendemokratie organisiert sei. Schröder pflegte den Wahn, er würde die deutschen Zustände ebenso überlisten können wie einst seine SPD samt Oskar Lafontaine.
Nun muß er lernen, daß er den Wahlsieg von 1998 doch hätte analysieren sollen: Viele traditionelle SPD-Wähler stimmten damals nicht wegen, sondern trotz ihres Kanzlerkandidaten für diese Partei, während der SPD aus der unbestimmbaren »Mitte« der Gesellschaft Stimmen wegen Schröder und trotz der Farbe Rot zuflossen. Ein Schröder als Spitzenkandidat der CDU wäre diesen Wählern lieber gewesen.
Der »dritte Weg« als Politikkonzept ist vorerst gescheitert. Dieser Ansatz war als Pfad gedacht zwischen Neoliberalismus und Keynesianismus. Er sah etwas weniger Neoliberalismus als bei Thatcher und Reagan vor – nicht das gesamte untere Drittel der Gesellschaft sollte abstürzen; so viel Sozialdemokratie sollte schon sein. Und es sollte, um den durch neoliberale Konkurrenz gefährdeten »Standort Deutschland« zu retten, deutlich weniger staatliche Regulierungen geben als bei der keynesianischen Politik von Erhardt, Brandt und Schmidt. Herausgekommen ist – bestenfalls – ein Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz.
Darin hatte sich allerdings auch schon Helmut Kohl versucht – nicht viel anders, jedoch mit zum Teil besseren Ergebnissen. Unter Kohl erhielten zumindest die ABM-Kräfte im Monat mehr aus Nürnberg überwiesen.
Daß Gerhard Schröder in den Sympathiewerten heute weit vor dem Herausforderer aus Franken liegt, nützt ihm wenig. Wäre Schröder Spitzenkandidat der CDU, würde er sehr wahrscheinlich das 1957er Wahlergebnis von Konrad Adenauer (50,2 Prozent) noch übertreffen; nicht anders wäre es beim US-amerikanischen Wahlsystem. Doch für die SPD werden die von Schröders Regierungskünsten becircten neuen Sympathisanten aus Mitte, Rechts und ganz Rechts kaum stimmen – und viele traditionelle SPD-Wähler auch nicht mehr. Die bleiben dieses Mal zu Hause und wählen beim nächsten Mal möglicherweise wie viele ehemalige FKP-Wähler: ganz Rechts. In Westdeutschland stimmte diese Wählergruppe, die un- und angelernten Arbeiter ohne Aufstiegsperspektiven, übrigens schon vor dem KPD-Verbot mehrheitlich für die SPD.
Gerhard Schröder weiß, daß er die durch seine Wirtschafts- und Sozialpolitik verursachten Wählerverluste nicht wird rückgängig machen können. Also bleibt ihm nicht viel anderes, als seinen neu gewonnenen Sympathisanten hinterherzubetteln. Zu welchen Verrenkungen er bereit ist, zeigte sich am 8. Mai: Schröder ließ als Stargast Martin Walser ins Berliner Willy-Brandt-Haus bitten. Dieser Verfasser bedeutender Literatur ist seit den siebziger Jahren durch deutsch-nationale Sentimentalitäten und demonstriertes Nationalgefühl der ganz schlichten Art aufgefallen. Im Wahljahr 1998 hatte er in seiner Friedenspreisrede einige unklare Sätze über den Umgang mit der Vernichtung von Menschen jüdischer Herkunft formuliert und sich mit Beifall vom braunen Stammtisch über Helmut Kohl bis zu der für ihn vordenkenden FAZ belohnt gesehen.
Als Auschwitz-Apologet mißverstanden wurde er auch von seinen Opponenten – von einigen der Intelligenteren wahrscheinlich sogar bewußt, weil sie meinten, nur so Walsers – aus tiefer teutscher Brust dräuende – Deutschtümelei wirkungsvoll angreifen zu können.
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