Des Blättchens 5. Jahrgang (V), Berlin, 4. Februar 2002, Heft 3

Bayerisches

von Erhard Crome

Am Ende hatte der Schriftsteller Jacques Tüverlin Erfolg; er ist eine der zentralen Figuren des gleichnamigen Feuchtwanger-Romans, der im München der beginnenden zwanziger Jahre handelt und mit dem kläglichen Scheitern des Hitler-Ludendorff-Putsches vom 9. November 1923 endet. Hier haben sie natürlich andere Namen, aber „der Führer“ wird der Betreffende dennoch geheißen, und der General, einst der mächtige Diktator des Reiches, erscheint eher als eine Nebenfigur, gleichwohl war er wohl dem Wahn verfallen mittlerweile. Die Schlußbemerkung hat Feuchtwanger im März 1929 paraphiert, 1930 erschien der Roman, ein hellsichtig warnendes Werk. Zu jener Zeit war er bereits aus seiner Geburtsstadt München nach Berlin umgezogen. Das Gerede von der Kulturstadt München und dem Wasserkopf Berlin nennt er „Mißgunst und Blödsinn“. Berlin findet er als „kräftig in der Gegenwart strömend“.
Den großen Romancier aber trieb offenbar nicht nur die Frage um, wie das Nazitum aus den konterrevolutionären Gewalttaten 1919 hervorgegangen, vom großen Kapital finanziert und dem rechten Justizwesen befördert worden war, sondern auch: warum gerade in Bayern? Distanz und Nähe zum „Reich“ spielten seit Anbeginn eine eigenartige Rolle. Die Bayern waren die Profitmacher der Verfassung von 1919: „Sie legen mit Erfolg die Verfassung so aus, daß, was in Bayern geschieht, das Reich nichts angeht, was im Reich geschieht, der Zustimmung Bayerns bedarf.“ Bei allem, was die Herren des Landes taten, achteten sie auf ihre Reservatrechte gegenüber Deutschland.
Feuchtwanger zitiert den Geschichtsschreiber Johann Turmair, genannt Aventinus, der vier Jahrhunderte zuvor von seinen altbayerischen Landsleuten gesagt hatte, „das Volk sei schlecht und recht, höre auf die Geistlichkeit, bleibe gern zu Haus, reise wenig. Es trinke stark, habe viel Kinder. Lege sich mehr auf Acker und Vieh als auf den Krieg. Sei unfreundlich, eigensinnig, querköpfig – Der Durchschnittsbayer tue, was er wolle, sitze Tag und Nacht beim Bier, schreie, singe, tanze, spiele Karten.“ Noch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bemerkte „der einheimische Geschichtsschreiber Doeberl: man finde an den Bayern kein feines, zierliches, Liebe erzeugendes Wesen. Vielmehr ruhige Sprache, ruhige Außenseite, dabei Neigung zu Roheit und Gewalttätigkeit wie zum grobsinnlichen Genuß, Verschlossenheit und Argwohn gegen Fremde.“ Sie wollten ihre Ruhe haben, wurden im zwanzigsten Jahrhundert aber nicht mehr in Ruhe gelassen.
So folgte: „Die Bayern knurrten, sie wollten nicht in die Ferne schauen, und was lag ihnen an einem sinnvolleren Europa.“ – Dies, das sei hier ausdrücklich angemerkt, ist eine Formulierung von Feuchtwanger, nicht von heute. – „Sie wollten leben wie bisher, breit, laut, in ihrem schönen Land, mit einem bißchen Kunst, einem bißchen Musik, mit Fleisch und Bier und Weibern und oft ein Fest und am Sonntag eine Rauferei. Sie waren zufrieden, wie es war. Die Zugereisten sollten sie in Ruhe lassen, die Schlawiner, die Saupreußen, die Affen, die geselchten.“ Im zwanzigsten Jahrhundert aber war ihr „Privatstaat zu teuer, sie mußten sich in das Ganze des Reichs schicken, konnten sich ihre politischen und kulturellen Extrawürste nicht mehr leisten. Aus Instinkt wurden sie Nationalisten, denn sie ahnten, daß nur die Rücksicht auf die Versorgung im Kriegsfall den deutschen Bauern hielt. Aus Instinkt wurden sie, Mischlinge aus slawischem und romanischem Blut, germanische Rassenschützler, weil sie so am besten das bodenständige Bauerntum zu verteidigen glaubten gegen den zukunftsträchtigeren landfremden Nomadentyp.“
In der Runde der Geheimräte und Besitzer des Landes wird diskutiert, warum denn der Führer der Wahrhaft Deutschen, hier heißt er Kutzner, gerade in München solchen Zulauf habe. Es läge an den Kleinbürgern, sagt der eine. „Im Grunde habe sich der Kleinbürger immer nach einer Autorität gesehnt, nach jemandem, dem er andächtig gehorchen dürfe. Im Herzen sei er niemals Demokrat gewesen. Jetzt gehe mit dem Wert des Geldes seine demokratische Tünche vollends dahin. In der steigenden Not repräsentiere der Kutzner den letzten Fels und Hort, des Kleinbürgers Idol: den Helden, den strahlenden Führer, dem man aufs großartige Wort wollüstig gehorcht.“ So sei München „das gegebene Zentrum einer kleinbürgerlichen Diktatur“.
Der tatsächliche Hitler hatte dort sein Hauptquartier, bis zum Sieg über Berlin. Im Nazijargon war München die „Hauptstadt der Bewegung“, das ebenfalls in Bayern gelegene Nürnberg die „Stadt der Reichsparteitage“. Hermann Göring, lange Zeit der zweite Mann im Naziregime, stammte aus Rosenheim, der Münchner Heinrich Himmler organisierte den SS-Staat und das KZ-System. Schon bei Feuchtwanger vermeinten die bayerischen Herren, denen das Land gehörte, München, unverwüstlich „emporgetaucht aus den damischen Zeiten des Krieges und der Revolution“, sei berufen, „die lebendige Ordnungszelle des Reichs“ zu sein. München beherrschend könne der Marsch auf Berlin angetreten werden.
Der sozialdemokratische Anwalt Dr. Geyer sagt im Roman: „Seitdem sich Herr Kutzner in München auftue, habe doch die Stadt starken Zustrom. Alles Faule seither, das im übrigen Reich sich nicht mehr halten könne, flüchte nach München, vertrauend auf den bayrischen Mangel an Urteilskraft.“