Des Blättchens 4. Jahrgang (IV), Berlin, 14. Mai 2001, Heft 10

Maienlust

von Erhard Crome

Die alljährlichen Krawalle in Kreuzberg haben mit der Idee des Kampfes um irgendwelche sozialen Ziele ungefähr soviel zu tun wie der Storch mit dem Kinderkriegen. Eher schon mit der Love-Parade oder den harten Hertha-Fans. Die einen meinen, wenn sie ihren Hintern bewegen, komme Bewegung in diese Gesellschaft, die anderen, Saufen sei Sport, die dritten, es sei Kampf gegen das »Schweinesystem«, wenn sie ihrem Nachbarn den gebraucht gekauften VW-Polo abfackeln. Eine Versicherungspolice für derlei Fälle, die ihm Anspruch auf Ersatz begründet, gibt es eh nicht. Da hat »das Kapital« aber einen gewaltigen Schaden, wenn der sich ein neues zusammensparen muß.
Aber halt! Die wirklichen Kämpfer für das Gute in dieser Welt fahren ja sowieso mit dem Fahrrad, am liebsten im Dunkeln ohne Licht, links und den Fußgängern über die Füße. Die können ja rechtzeitig wegspringen! Soll doch der Türke seine Scheißkarre woanders hinstellen! Zumindest wenn er weiß, daß hier der deutsche Gutmensch in seiner »rrrevolutionären« Gestalt zu sich selber kommt. Wenigstens einmal im Jahr, zum Ersten Mai.
Als nach zwei Versuchen, dieses Brauchtum in den Prenzlauer Berg zu exportieren, der Pfarrer in der Kirche eine Art öffentliches Rundtischgespräch mit Geladenen machte, faselte der angereiste Kämpfer aus Kreuzberg etwas von »Arbeiterbezirk« und »Kampf«, bis einer von hinten rief: »Wir wollen euch hier nicht!« Seither bleibt man wieder am angestammten Ort.
Mir fällt zu diesen Pathologien des Spätkapitalismus jetzt auch keine Therapie ein. Fest steht aber etwas anderes. Alle wußten, daß es kommt. Aber daß es so dicke kommt, hat offenbar mit etwas anderem zu tun.
Eckart Werthebach, der Innensenator, hatte vorher erklärt, daß er »hart durchgreifen« würde. Tausende Polizisten waren angekündigt. Ruhe und Ordnung! Dann wurden Verbotsanträge gedrechselt. Der gegen die Nazi-Demo war so schlecht gemacht, daß er vor Gericht durchfallen mußte. Dafür wurde der Aufmarsch von der Senatsverwaltung dann in den Osten verlegt. So konnten alle Fernsehzuschauer deutlich sehen, daß die Nazis im Osten sind. Das Verbot gegen die »Revolutionäre Bekundung« in Kreuzberg war natürlich juristisch wasserfest. So fanden andere Demos statt, auch linke, und Stadtteilfeste, und zugleich hatten viele den Eindruck, die Behörden schützten die Nazis und unterdrückten die Linken.
Man muß eine Ursache zu erzeugen wissen, die eine Wirkung hat, sagte einst Abraham Lincoln über die Logik bürgerlicher Politik, und diese Wirkung anschließend bekämpfen.
So hatte die CDU eine Ursache erzeugt, und die Wirkung bekämpft, und anschließend sich zum eigentlichen Verteidiger der Ordnung erklärt. Fein ausgedacht. Finanzskandal in Bund und Land als unendliche Geschichte, Kredit gegen Parteispende, Senatskrise, Wann geht Landowsky? – alles vergessen. Ruhe und Ordnung in dieser Stadt gibt es nur mit der CDU! Sie ist sozusagen unabsetzbar, auch wenn RotRotGrün zahlenmäßig längst ginge.
Landowsky hat es wieder einmal ausgesprochen: Es sei ein »klammheimliches Bündnis entstanden von PDS, Grünen und terroristischem Pöbel«. So also ist das. Der »terroristische Pöbel« und die Grünen steckten also unter einer Decke: »Klammheimlich«. War das nicht das Wort, das ganz zentrale Bedeutung hatte in der Schmutzkampagne, die die Bundes-CDU vor ein paar Wochen gegen die 68er geführt hatte und deren Vertreter in der jetzigen Bundesregierung? Dazu noch die PDS! Mauer und Stacheldraht und Unrechtsregime in einem. Schießbefehl! Und so etwas soll Berlin regieren?
Nie und nimmer, echot es aus den Tiefen Zehlendorfs. Es muß einen Aufstand geben, der Anständigen, in der SPD! Sie darf nicht mit terroristischem Pöbel und dessen Helfershelfern regieren – und also nur mit der CDU.
Im Zivilen heißt so etwas Nötigung. Dafür brauchte die CDU die gewalttätigen Ausschreitungen. Wenn sie in der Wahrnehmung der Wähler schon keine soziale Kompetenz besitzt, nun alle sehen, daß sie auch ein eigenartiges Verhältnis zum Gelde hat, so soll doch eines bleiben: Sie ist die Partei der Ordnung! Der Stabilität! Die durchgreift! Die Kreuzberger RRRevolutionäre mußten nur etwas gereizt werden, die unausgebildet rangekarrten jungen Polizisten waren die anderen Bauern in diesem Spiel, und schon hatte man die gewollte Lage.
»Im nächsten Jahr werden wir wieder durchgreifen!«, tönt es nun. Sie gehen davon aus, daß sie dieses Spiel bereits gewonnen haben. Im nächsten Jahr stellen sie nur dann den Innensenator, wenn sie noch regieren. Das aber ist im Moment ja die Frage.
Er hinterläßt eine Lücke, dieser Landowsky. Keiner hat so authentisch wie er das alte Westberliner Frontstadtmilieu verkörpert, seinen Anspruch, dieses Berlin unter Kontrolle zu halten, auch um den Preis, daß es nicht sachgerecht regiert wird. Vor fünf Jahren hatte er geheuchelt, für die Fusion von Berlin und Brandenburg zu sein, und anschließend von den »sozialistischen Wärmestuben« geredet, die auszulüften seien.
Spätestens da war klar, daß die Ossis die Fusion ablehnen werden. Er hatte befürchtet, dieses größere Land mit seiner Ossi-Mehrheit nicht mehr in gewohnter Weise kontrollieren zu können. Jetzt also diese Krawalle, damit die CDU an der Macht bleibt. Als letzte Tat dieses Mannes an dieser Stelle. Im Lichte stand natürlich der Werthebach; aber Landowsky hat ausgesprochen, was angesagt sein soll.
Die Nachfolger? Einer sieht aus, wie ein Werbeträger für Babynahrung, der andere wie ein stellvertretender Filialleiter von der Sparkasse, dem man keine fünf Mark pumpen würde.
Es wird ruhiger werden in Berlin, wenn die CDU-Skandalisten nicht mehr regieren. Dazu müßte sich jedoch die Landes-SPD dazu aufraffen, aus der ihr gestellten Falle zu schlüpfen. Da gibt es aber auch noch eine reichlich große Frontstadtfronde.