von Jörn Schütrumpf
Kratze am Genossen, und es kommt der Mensch durch« – lautete einer der etwas galligeren Sprüche an den Abendbrottischen zu Zeiten der späten DDR. Während der Wende wurde dieser Satz auf seine Wahrheit hin geprüft und überzeugend bestätigt – von einer unauffälligen Massenbewegung aus Selbstverleugnung und Schuldgefühl, Verdrängung und erneut vorauseilendem Gehorsam.
Einer hat sich jetzt zu erklären versucht: der Historiker Joachim Petzold (1956 bis 1991 an der Akademie der Wissenschaften), dessen Bücher über den Ersten Weltkrieg, die Novemberrevolution, die Weimarer Republik und die Ideologie der Nazis nicht nur in vielen ostdeutschen Bücherschränken stehen. Der Autor hat das Erscheinen des zweiten Bandes seiner Memoiren nicht mehr erlebt. Er starb 1999 an Krebs, gegen den er bis zum letzten Atemzug mit der Arbeit an diesem Buch angekämpft hatte.
Es war ein Kampf um die Würde. Da schrieb jemand in großer seelischer Not, da hat ein Mensch seine Mitte gesucht – sie aber letzten Endes nicht finden können. Parteinahme wofür? DDR-Historiker im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft ist mißlungen; es ist seinem Charakter nach eine peinliche Rechtfertigungsschrift. Das Ganze ist tragisch; die Pietät gebietet, über den Rest zu schweigen. Lebten wir nicht im Deutschland des Jahres 2001.
Herausgeber Martin Sabrow charakterisierte bei der Potsdamer Vorstellung dieses Buch als Zäsur in der ostdeutschen Memoirenliteratur – da wird es dann wirklich schwierig mit dem Schweigen. Über die spätpubertären Anschmierereien mediokrer Nachwuchswissenschaftler zu Anfang der neunziger Jahre und die Geilheit, mit der Westkollegen sich auf diesen Schmutz warfen, ließ sich noch – wenn auch nur leicht angewidert – lächeln. Ebenso, als die Helden sich in die Haare gerieten und ihren Denunziantenstadl desavouierten. Beides entsprach dem, was zu erwarten gewesen war. Auf solches Niveau begibt sich, wer es nötig hat.
Beim Buch von Joachim Petzold liegen die Dinge anders. Nachdem er jahrzehntelang zu den Historikern der DDR gehört hatte, wollte er nun zu den Historikern der Bundesrepublik zählen. Er konnte es einfach nicht aushalten, nirgends dazuzugehören. Hier bettelt nicht nur einer der bekanntesten – wenngleich keineswegs einflußreichsten – Zeithistoriker der DDR um Vergebung für seine wirklichen wie angeblichen Sünden, hier suggeriert jemand Objektivität. Mitunter schreiben in die Jahre gekommene Menschen zwar ihre Memoiren; aber doch nur selten mit Anmerkungen. Es sei denn, sie wollen etwas beweisen. Genau darum ging es Joachim Petzold. Er wollte zeigen, daß er immer schon dagegen gewesen sei, er immer anders gedacht als gesprochen habe und er durch permanenten politischen Druck zum Leben auf den Knien gezwungen wurde. Weil er natürlich wußte, daß ihm niemand glauben würde, ist er durch die Archive gezogen, stets auf der Suche – nach sich selbst.
Was bei einer quellengestützten »Autobiographie« herauskommt, sei an einem Beispiel erläutert: »Besonderen Anstoß nahmen die Informanten des Ministeriums für Staatssicherheit an folgendem: ›P. wird leichtsinnigerweise von der Direktion des Zentralinstitutes häufig zur Betreuung westlicher Gäste eingesetzt. Angesichts seines Bestrebens, gegenüber westlichen Wissenschaftlern als Diskussionspartner sich anzubieten (z.B. drängte P. dem westdeutschen Professor […] bei einem Kongreß 1984 in Sellin eigene Veröffentlichungen auf, die dieser öffentlich und demonstrativ zurückgab) und seiner politischen Unreife ist einzuschätzen, daß P. zu unberechenbaren politischen Aktivitäten gegenüber westlichen Personen fähig ist.‹« (Seite 325) Mehr erfährt der Leser nicht.
Joachim Petzold nutzte den Zeitgeist und zitierte seine Stasiakte. Die Quellenkritik – an der Universität Studienstoff jedes Geschichtsstudenten im ersten Semester – scheint in Deutschland mit der Öffnung der Stasiarchive als wissenschaftliche Disziplin suspendiert worden zu sein. Was in der Stasiakte steht, ist per se schlimm und nicht hinterfragbar.
Wieso gab ein westdeutscher Historiker öffentlich und demonstrativ Veröffentlichungen eines DDR-Historikers zurück? Weil der sich als Diskussionspartner angeboten hatte?
Nur wer darauf rechnet, daß keine Fragen gestellt werden, entläßt solchen Unsinn in die Öffentlichkeit. Den Grund für den Eklat verschwieg Joachim Petzold vorsorglich: Nachdem er in einer Konferenzpause einem Kollegen aus der Bundesrepublik seine Publikationen überreicht hatte, meldete er sich im Plenum und beschimpfte denselben. Ausgerechnet Hans Mommsen (und Lutz Niethammer) warf er vor, den Widerstand der Kommunisten gegen die Nazis nicht zu würdigen – obwohl gerade diese beiden Historiker in ihren Arbeiten das Gegenteil getan hatten. Nach dieser Unverschämtheit Joachim Petzolds stand Hans Mommsen demonstrativ auf, umrundete den Konferenztisch und knallte ihm seine Veröffentlichungen auf den Tisch. Für einen Moment sah es so aus, als ob die Westdeutschen die Abreise erwägen würden.
Während der Rückreise kamen Joachim Petzold und ich im Zug auch auf seinen Auftritt zu sprechen. Er meinte, jemand aus unserer Delegation habe ihn merkwürdig angeschaut; deshalb glaubte er, sich öffentlich »abgrenzen« zu müssen. Zu den Folgetreffen wurde Joachim Petzold nicht eingeladen. Der Grund waren seine pseudoradikalen Sprüche, mit denen er den ersten zaghaften Versuch für einen deutsch-deutschen Zeithistoriker-Dialog bedroht hatte – und die Gefahr ihrer Wiederholung.
Das Beispiel ist kein Einzelfall. Je weiter sich Joachim Petzolds Beschreibungen der Wende nähern, desto absurder werden sie. Er präsentiert sich als mutiger Reformer, der ein ganzes Institut revolutionierte; in Wahrheit war er einer der Lauen, den andere »schieben« mußten.
Das genüßliche Zitieren aus Parteinahme wofür? hat eingesetzt; lange genug haben Interessierte auf einen vermeintlichen Kronzeugen warten müssen. Die Potsdamer Veranstaltung erreichte übrigens ihren Höhepunkt, als die anderen ostdeutschen Historiker aufgefordert wurden, es Joachim Petzold gleichzutun. Der Nächste, bitte.
Joachim Petzold: Parteinahme wofür? DDR-Historiker im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft, Verlag für Berlin-Brandenburg Potsdam 2000, 397 Seiten, 58 Mark
Schlagwörter: Jörn Schütrumpf