von Jörn Schütrumpf
»Das deutsche Fachpersonal reicht völlig aus, um alle Stellen in Ostdeutschland zu besetzen.« So 1991 während des Politologen-Kongresses in Hannover ein Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft auf der Tagung einer ad-hoc-Arbeitsgruppe zum Thema »Über die Zukunft der Politikwissenschaft in Ostdeutschland«. Ostmenschen galten halt als undeutsches Personal.
Mit dem Ende des Jahrzehnts am 31. Dezember 2000 wurde im Raum Berlin-Brandenburg die Liquidierung der DDR-Wissenschaftslandschaft erfolgreich abgeschlossen. Die letzten 300 bis 400 Ost-Wissenschaftler – 1992 zur Integration in den »deutschen Wissenschaftsbetrieb« in Zeitstellen vermittelt – wechselten mehrheitlich in die Betreuung durch das Arbeitsamt; die seit 1992 erfolgten Berufungen zu Professoren blieben sehr übersichtlich.
Natürlich gab es keinen Plan zu dieser Abwicklung – versichern mir stets aufs Neue Kollegen aus den erfahrenen Bundesländern. Dafür, daß es ihn gar nicht gab, hat er ganz fabelhaft funktioniert. Im übrigen sei mit den jüdischen Wissenschaftlern 1933 viel schlimmer verfahren worden, am Ende wurden sie sogar vergast. Das brauche nun wirklich kein Ossi fürchten – auch kein Ost-Wissenschaftler. Schließlich leben wir in einer Demokratie (im letzten Jahr übrigens fast wörtlich in einer Leserzuschrift an Das Blättchen nachzulesen).
Außerdem habe man nicht gewußt, daß sich so viele gute Wissenschaftler unter den Ostlern befanden. Wenn man das auch nur geahnt hätte, wäre man natürlich ganz anders verfahren. So jüngst Dieter Simon – als Chef des Wissenschaftsrates der Bundesrepublik ein Haupttäter bei der Zerstörung tausender Wissenschaftler-Existenzen.
Nachdem das Anschlußgebiet intellektuell plattgemacht worden ist, muß die Deutschland AG heute im Ausland auf Einkaufstour gehen. 1990 ging es dem Standort Deutschland noch gut, die Anschlußkonjunktur brummte, die D-Mark-besoffene DDR-Arbeiterklasse bejubelte die Zerstörung ihrer Arbeitsplätze, im Westen drückte der durch die anarchisch gewucherte Massenuniversität produzierte Wissenschaftlerüberschuß (darunter viel Dritt- und Viertklassigkeit) auf den Arbeitsmarkt. Der Sieg im Kalten Krieg sollte vollständig sein, nichts sollte bleiben und die Abwicklung der Wissenschaftslandschaft der DDR jedes eigenständige Denk- und Kommunikationsgefüge im Osten verhindern, insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften.
Gründungsrektoren und -dekane wurden beauftragt, dies zu vollziehen; Institute und Fachbereiche wurden ungeachtet gewachsener Wissenschaftstraditionen aufgelöst und abgeschafft, tausende Wissenschaftler aus dem Wissenschaftsbetrieb entfernt.
Dennoch gab es Unterschiede. In der Politikwissenschaft an der Universität Potsdam zum Beispiel hielt man sich noch einige Jahre drei habilitierte, positiv evaluierte Ostmenschen. Die drei hatten in der Übergangszeit 1990 bis 1992 das Gros aller Lehrveranstaltungen bestritten, die ersten Diplomarbeiten nach neuem Recht betreut und anderes mehr. Der überkommene Arbeitsvertrag aus der DDR galt nach der »Abwicklung« natürlich nichts, zugeteilt wurden Zeitverträge. Auf die neudefinierten Stellen kamen die neuen West-Professoren, und die Rest-Ossis machten immer noch – selbständig – Lehrveranstaltungen. Im Jahr 2000 bemühte man sich nun auch sie gegangen. Ihre naiven Bemühungen, anderenorts eine Berufung zu erhalten, waren zuvor allesamt fehlgeschlagen. Daß an den Universitäten Ost-Bewerbungen meist mild lächelnd zur Seite gelegt werden, haben unterdessen auch sie gelernt. Momentan wird vor dem Arbeitsgericht verhandelt. Wie immer der Rechtsstreit auch ausgehen mag, eines ist schon jetzt klar: Die endgültige Entostung der deutschen Politikwissenschaft ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit.
Beim Vergleich mit der Vertreibung der Juden aus der Wissenschaft reagieren Kollegen aus dem Westen immer sehr empfindlich. Das können sie nun gar nicht leiden. Dabei ist ein Vergleich keineswegs eine Gleichsetzung. Doch die allgemeine Hirnverwirrung, die mit der Re- Animation der Totalitarismustheorie auf die Spitze getrieben wurde, hat die semantische Differenz zwischen beiden nicht nur in den Feuilletons vergessen gemacht. Aber so ist heute halt das Niveau.
Das Blättchen hat sich stets bemüht, statt Larmoyanz und Ostalgie Selbstbewußtsein zu zeigen. Ist die soziale Abwicklung der Intellektuellen aus dem Osten auch erfolgreich gewesen, die intellektuelle war es nicht.
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