Des Blättchens 3. Jahrgang (III), Berlin, 4. September 2000, Heft 18

Bisky und Beck

von Fritz Klein

Erfreulicherweise mehren sich seit Monaten auf allen Seiten des demokratischen Spektrums in Deutschland – vom PDS-Vorsitzenden bis zum bayerischen Innenminister – die Stimmen des Widerstands gegen die immer frecher und brutaler auftretenden Rechtsradikalen. An Vorschlägen, was zu tun ist, um die braune Welle einzudämmen, mangelt es nicht, eher an der Energie, sie durchzusetzen. Ungeduld wird laut. So meinte Peter Schneider jüngst in einem Fernseh-Interview, ihm sei es völlig egal, aus welchen Ursprüngen, historischen, sozialen oder politischen Voraussetzungen sich die ausländerfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Untaten erklären, die in Deutschland, wo auch immer, registriert werden müßten. Entscheidend sei, daß wirksam gehandelt werde. Die Überlegung verdient Beachtung.
Menschen, die den Farbigen, dem sie auf der Straße oder in der S-Bahn begegnen, anpöbeln, treten und mit einem Baseballschläger oder mit dem Messer bedrohen, verletzen und im schlimmsten Fall totschlagen, die einen jüdischen Friedhof mit Hakenkreuzschmierereien schänden, die ihre Mitbürger einschüchtern durch den knallenden Marschtritt und dumpfen Trommelklang von Demonstrationen für White Power, Rudolf Heß oder ein arisches Deutschland, tun das gewiß nicht alle aus ein und demselben Grund. Was immer aber diesen oder jenen, diese oder jene Gruppe zu solchen Scheußlichkeiten treibt: Sie bleiben unentschuldbar, verdienen nichts als Verachtung, Widerstand und unnachsichtige Ahndung.
Dies ist kein Plädoyer für Gleichgültigkeit gegenüber den Ursprüngen. Natürlich brauchen wir Überlegungen, Diskussionen und Studien über die Ursachen, sollen Historiker, Psychologen und Philosophen, Politologen, Sozialwissenschaftler, Juristen und Theologen versuchen, die Umstände aufzuklären, die den Boden bereitet haben für die Untaten, die uns beunruhigen. Konservative und Liberale, rechte und linke Sozialisten, Christen und Atheisten melden sich zu Wort. Die Antworten und Ratschläge, die sie geben, unterscheiden sich, enthalten nicht selten auch kritische Meinungen zu anderen Positionen im demokratischen Spektrum. Auseinandersetzungen dieser Art sind normal und nützlich. Sie müssen geführt werden, ohne aber den Blick auf das zu verlieren oder auch nur zu verdunkeln, dessentwegen man sich aufregen muß. Wir haben genügend traurige Erfahrungen mit der Unfähigkeit demokratischer, antifaschistischer Kräfte, sich einig zu werden in der Bekämpfung dessen, was alle eigentlich nicht wollen, schließlich aber geschehen lassen, weil der Streit mit dem Nachbarn wichtiger war als die Auseinandersetzung mit dem Gegner.
Die Mahnung gilt allen Seiten: Autonomen, die eine Anti-Gewalt-Demo stören, weil dort Politiker mitwirken, die ihrer Meinung nach nicht scharf genug auftreten; Unions-Politikern, die für ein breites Bündnis aller politischen Kräfte eintreten, die PDS aber nicht dabei haben wollen; PDS-Genossen, die sich aus alten Parteilehrjahrszeiten noch an den Spruch erinnern, daß Faschismus aus dem Kapitalismus kommt, eine These, die auf wichtige Zusammenhänge zielt, im politischen Kampf dann aber kontraproduktiv wird, wenn geschlußfolgert wird, er könne nur dann wirksam geführt werden, wenn man den Kapitalismus abschafft, was darauf hinausläuft, den Sieg über den Faschismus ad calendas graecas zu vertagen.
In der gegenwärtigen Diskussion verhindern Unkenntnis, Mißgunst und politische Einäugigkeit die notwendige Klarheit besonders auf einem gewiß nicht einfach zu erfassenden Feld, der Frage nach dem Grad und den Wurzeln von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in den neuen oder den alten Bundesländern. Eine Tendenz unwürdiger Häme, die über dem Splitter im Auge des anderen den Balken im eigenen vergißt, ist vielerorts spürbar, so, um nur ein zufällig gewähltes Beispiel zu erwähnen, kürzlich auf den ersten Seiten von Neues Deutschland und Tagesspiegel. Am selben Tag berichtete das ND über eine rechtsradikale Attacke gegen einen Gewerkschafter in Ludwigshafen und der Tagesspiegel über den Überfall von Skinheads auf einen jungen Mann in Leipzig. Beide hatten recht mit ihrer Empörung. Bedenklich ist nur, daß man im ND nichts von Leipzig und im Tagesspiegel nichts von Ludwigshafen lesen konnte.
Daß es in den beiden Teilen Deutschlands unterschiedliche Bedingungen auch für die hier behandelte Problematik gibt, kann angesichts […]