von Jörn Schütrumpf
Jörg Haider stellt die richtigen Fragen. Deshalb ist er gefährlich, werden er und seine Marionetten geschnitten. Wenn er nur gegen zahlungsschwache Ausländer hetzen würde, nur die SS hofierte, nur ein bißchen die Juden sekkierte – Gott, das wäre schlimm, aber kein Grund, Österreich zu stigmatisieren. Zu echten totalitären Regimes, sei es zu der – kurdische Frauen, Kinder und Greise massakrierenden – Türkei, sei es zum – tschetschenische Frauen, Kinder und Greise massakrierenden – Rußland, sind die bilateralen Beziehungen auch alles mögliche, nur eines nicht: eingefroren. Natürlich sind bei Lichte betrachtet die Türkei und Rußland überhaupt nicht totalitär, denn dort wird demokratisch gemordet. Und da legen wir in Deutschland Wert drauf. Außerdem stellt von denen niemand die richtigen Fragen – etwa zum Zustand der westlichen Demokratien.
Ob der Bundesnachrichtendienst wiederum den demokratischen Parteien Westdeutschlands – die Ossis dürfen da noch nicht mitmachen – ein paar Millionen Deutschmark zur Verfügung stellte, um in Europa die westliche Demokratie zu retten, werden wir frühestens in zwanzig Jahren erfahren. Walesa hatte den polnischen Arbeiter hinter sich, so wie Gonzales den portugiesischen Tagelöhner – und außerdem standen hinter ihnen Millionen, demokratisch natürlich. Ob hinter Schüssel heute auch Millionen – an Wählerstimmen sind es am 3. Oktober ja lediglich 1,24 gewesen – stehen, weiß vielleicht Joschka Fischer. Aber der kann sich augenblicklich nicht erinnern, denn er hat Wichtigeres zu tun. Er muß die Demokratie retten.
Dem Haider Austrias Arbeiter weiter zuzutreiben, hatten die Amerikaner schon ganz gut beim Waldheim gekonnt – obwohl es damals noch gar nicht um Europas Demokratie ging, sondern um die Schlamperei im Weißen Haus, nicht gemerkt zu haben, daß der Waldheim als UNO-Generalsekretär so schön erpreßbar gewesen wäre. Das haben die Amerikaner dem Kurt Waldheim nie verziehen. Man ist schließlich eine Supermacht.
Nun haben wir aber in Westdeutschland – die Ossis dürfen auch da noch nicht mitmachen – eine Systemkrise, und da ist der Jörg Haider das Beste, was den deutschen Demokraten passieren konnte. Früher hatten wir Soffjetrußland – da mußten alle Demokraten zusammenstehen. Heute haben wir den Haider-Jörg. Falls der Schüssel das mit dem Haider übrigens kostenlos gemacht hat, wird aus dem nie ein Politiker.
Bis in den letzten Januartagen die Kronenzeitung enthüllte, daß der Schüssel mit Hilfe vom Haider österreichischer Bundeskanzler werden wolle und als Lohn dafür in der nächsten Legislaturperiode die beiden ihre Rollen tauschen würden, hatte es so ausgesehen, als würden die fiktiven Nachlässe fiktiver Juden aus Venezuela zu protorevolutionären deutschen Erschütterungen führen.
Eine größere Sauerei – vornehmere Gemüter belieben von Geschmacklosigkeit zu sprechen – ist bisher in Westdeutschland noch nicht ans Tageslicht gelangt. Doch der Unmut über die geldwerte Zuneigung deutscher Christen zu ausschließlich toten – toterklärten – Juden verrann angesichts des urplötzlichen Aufstiegs des Kärntner Landeshauptmanns binnen Stunden.
Der Haider wurde von 27 Prozent der österreichischen Wahlteilnehmer gewählt. Seit Jahren treibt er die Sozialdemokraten und die Volksparteiler vor sich her. Denn sie haben es ihm stets leicht gemacht: mit ihrem Filz, mit ihrer Selbstversorgungsmentalität, mit ihrem zur Schau getragenen Desinteresse an den Sorgen der geängstigten Kleinbürger – und mit einem Schmäh, der eigentlich gar kein Schmäh mehr war. Außerdem ersetzten sie die Auseinandersetzung durch Ausgrenzung.
Der Haider hätte auch als Linker Erfolg gehabt. Allerdings nicht einen ganz so großen, wie er ihn jetzt als Rechter einfahren kann. Denn über seine in vielen Punkten nicht unberechtigte Sozial-, Parlamentarismus- und Bürokratiekritik kippte er eine – für viele österreichische Nasen nicht unangenehm duftende – Soße aus Ausländerfeindlichkeit, Judophobie und keck aufblitzendem, aber schlecht nachweisbarem Philo-Nazismus. Er kennt halt seine Österreicher.
Die Alliierten hatten 1943 Österreich zum ersten Opfer der Nazis erklärt und damit von der Rechenschaft über die Beteiligung der Ostmärker an den Naziverbrechen freigestellt. Eine wirkliche Diskussion hat es nie gegeben. Man war Opfer – gemordet haben die Reichsdeutschen.
Hätte der Haider allerdings nur seine braune Soße gehabt, wäre er mit Sicherheit einer der vielen minder begabten Nazi-Kleinsthäuptlinge geblieben, wie wir sie heute in Deutschland zu Dutzenden herumzulaufen haben. Diese Leute sind für den einzelnen hoch gefährlich; für die Gesellschaft werden sie es aber erst, wenn sich einer wie der Haider findet: ein aalglatter »demokratischer Faschist«, der die Spielregeln nicht nur kennt, sondern auch beherrscht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Haider damit auch in Deutschland Erfolg haben wird, nicht nur, weil wir schon einmal einen aus Österreich hatten.
Nichts schweißt so fest zusammen wie ein gut gepflegter Feind. Diese Funktion erfüllten mehr als vierzig Jahre lang Stalin und seine Nachfolger. Der kalte Krieg gab auch deren Imperium erst den richtigen Halt, denn dieses System konnte genausowenig ohne Feinde existieren.
Wer im Westen, vor allem in Westdeutschland, an den Zuständen mäkelte, wurde mit Kommunismusverdacht belegt. Nur während der Studentenrevolte am Ende der sechziger Jahre kündigte ein Teil der akademischen Jugend den antikommunistischen Konsens. Doch diese Sündigen holte der Zusammenbruch des Ostblocks zurück. Nicht wenige waren unterdessen zu Politikern bei den Grünen, aber auch bei den Sozialdemokraten geworden und sind heute in Regierungsverantwortung. Das Ende der Geschichte war erreicht.
Bis eine übereifrige Staatsanwaltschaft in Augsburg begann, einen nach Kanada emigrierten Steuersünder zu nerven. Da war die Geschichte plötzlich wieder offen. Das, was weder die KPD – legal, später illegal – noch die Grünen je auch nur im Ansatz schafften, erledigte ein Mensch, der so aussieht, daß man ihm nur ungern die Hand geben möchte, mit ein paar Interviews: Er destabilisierte das System so, daß unter einer nennenswerten Minderheit der Deutschen erstmals eine ernsthafte Debatte drohte: über den Zustand der Politik, über Glasnost, um dieses veraltete Wort einmal zu gebrauchen, über Mitbestimmung, über Kontrolle, über – ganz besonders gefährlich – plebiszitäre Elemente. Am Ende wäre möglicherweise sogar noch einer auf die Idee gekommen, den Verfassungsentwurf des Runden Tisches aus der DDR-Wendezeit wieder hervorzuholen.
So wie es aussieht, hat die von Schreiber ebenfalls bedrohte bayrische Staatspartei unterdessen den Unabhängigen in der Augsburger Justiz den Ernst der Lage vermitteln können. Viel werden wir aus Kanada nicht mehr hören, obwohl es noch so manches zu erzählen gäbe.
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