von Max Hagebök
Wahlabend in Berlin. Der Chefredakteur von SAT.1, Howe, kommentierte die Ergebnisse mit seinem Sinn für Journalismus: »Die PDS gewinnt eine Wahl nach der anderen. Ich kann diesen ewig grinsenden Gysi nicht mehr sehen.«
Die Scheinwerfer gehen aus. In den Studios haben die Gewinner ihre Politik zum Erfolgsgaranten erklärt, und die Verlierer sind die Guten. Mittendrin die PDS. Ihre Vorzeige-Helden bestätigen in jedes Mikrophon, daß es ihr Eintreten für die soziale Gerechtigkeit war, welches sie zum Sieg geführt habe. Ein Schlagwort wird zur materiellen Gewalt, da es die Massen ergreift. Erschlagen bleiben die Journalisten zurück und fabulieren über das Unverständliche.
Die PDS würde in Teufels Küche kommen, wenn irgend jemand nach dem Inhalt der viel gepriesenen Gerechtigkeit fragte. Da aber jeder in der PDS seine Gerechtigkeit als die heilsbringende bestimmen darf, schwirren dem Wähler alle möglichen Versprechen um den Kopf. Solange die Macht in den Händen anderer liegt, ist das nicht weiter problematisch. Die PDS kann fordern, was sie selbst nicht einlösen muß.
Der kluge Mann sorgt vor. Er hat Lösungen parat, sollte ein Wahlerfolg plötzlich die Macht nach sich ziehen. Obzwar in Schwerin schon in Mitverantwortung genommen und mit Ahnung versehen vom wenig kommoden Spagat zwischen Wollen und Können, geben sich die Sozialisten am liebsten immer noch als Genießer des Augenblicks. Sehnsüchtig nach dem Lob des politischen Konkurrenten, strahlen die Augen in den öffentlichen Auftritten nach dem Sieg – der keiner ist. Die Macht bleibt in bewährten Händen.
Nur vergessen die Sozialisten bei all den Siegen, ihre Hausaufgaben zu machen: eine moderne sozialistische Partei zu werden. Dies in Programmatik, aber noch viel mehr in der Politik. Zu Fragen des sozialen und ökologischen Umbaus, zur Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme und anderen politischen Themen der Bundesrepublik überwiegen immer noch die ideologisch gefärbten Antworten. Gysis Thesen dazu sind, zumindest an der Basis, längst auf der Strecke geblieben.
Vor ihrer Diskussion war der Wahlkampf mit seinen Anstrengungen. Außerdem: Liebgewonnene, weil »sichere« Positionen zu überdenken oder gar zu verändern, ist anstrengend und überfordert offenbar auch nicht wenige. Die gebetsmühlenartige Wiederholung von Forderungen ist bequemer, aber letztlich eben tatsächlich nur Populismus. Sie ersetzt kein Programm, und schon gar nicht eine realisierbare Politik der ökologischen und sozialen Erneuerung dieser Bundesrepublik. Parlamentarische Scharnierpapiere sind jedenfalls noch nicht die große Politik.
Die PDS siegt sich zu Tode. Sie hetzt von einem Wahlergebnis zum anderen, immer in der Hoffnung, daß das Eis nicht dünner wird. Doch es knirscht gewaltig unter dem munteren Schritt der Gysi, Bartsch und Bisky. Für den Osten sind sie die Inkarnation des Guten, des gepredigten Sozialismus. Im Westen sind sie die letzte Hoffnung. Ihre Wahlerfolge in Berlin und NRW verdeutlichen mehr die Hoffnungslosigkeit der Wähler als die politische Stärke der PDS.
Das Unwohlsein hat die Partei ergriffen. Was wäre, wenn? Der Vorstand ging Anfang Juli in Klausur. Unter der Überschrift Ernsthafte Politisierung der Vorstandstätigkeit muß beginnen legte er eigentlich einen Offenbarungseid ab. Auch drei Monate und vier Wahlerfolge später muß Parteichef Bisky im gleichen Gremium dazu auffordern, in der Programmdebatte endlich »Denkblockaden« zu überwinden. Zur Kritik von Regierung und gesellschaftlichen Verhältnissen gehöre auch die Arbeit an alternativen Veränderungen.
Immerhin – mit den gegenwärtigen Siegen kann die PDS jene Luft holen, die sie dringend nötig hat, um die notwendigen politischen und strukturellen Veränderungen in Angriff zu nehmen. Die Hindernisse in den eigenen Reihen sind aber beträchtlich.
Die PDS hat ziemlich einseitig auf die Strukturen im Umfeld parlamentarischer Institutionen gesetzt und die eigene Basis vernachlässigt. Innerparteilich verfestigt sich das konservative Parteimodell. Zwischen den Hierarchien entstehen zunehmende Entfremdungen. Die erste und zweite Ebene – Spitzen-/Berufspolitiker und mögliche Nachfolgekandidaten – haben sich fest etabliert. Dagegen wird die dritte Ebene – die Mitgliedschaft – relativ abgewertet. Es entsteht wieder ein Block der Informierten und Gestalter. Darunter tummeln sich die Mitglieder, die damit ausgelastet sind, die PDS im Alltag unterzubringen. Die »Avantgarde« entfernt sich immer schneller von ihnen und damit von der Wirklichkeit. Im außerparlamentarischen Raum ist momentan die CDU Meinungsführer bei wichtigen politischen Themen – sei es die Rente, sei es die doppelte Staatsbürgerschaft. Die jungen Wähler honorieren deren Aktivitäten mit ihrer Stimme. Die PDS muß Verluste in dieser Gruppe hinnehmen.
Die Reform der PDS-Struktur ist dringend erforderlich, nicht zuletzt eine Trennung von Parteiamt und Mandat. Der entpolitisierte Vorstand zeigt, wohin Ämterhäufungen führen. Die Überlegungen zu einer Lex Bisky, die eine statutengemäße Ablösung nach acht Jahren Amtszeit verhindern soll, machen das Versagen bei der Nachwuchsentwicklung deutlich. Das weitgehende Fehlen der Länder im Vorstand führt zu Kommunikationsproblemen. Es knirscht zwischen Berlin und den Regionen.
Die Partei schafft in all ihren Ebenen eine Unmenge von Papieren. Kluge und weniger kluge. Doch letztlich ist das völlig egal. Selbst wenn eines dieser Papiere vom Parteivorstand beschlossen wird, Politik der Partei wird es beileibe nicht. Es gibt keine funktionierende Struktur, die diesen Prozeß politisch führt.
Die ausgerufene Parteireform – Wer hat eigentlich darüber einen Beschluß gefaßt? – könnte eine moderne Struktur entwickeln, wenn diese Entwicklung mit einer inhaltlichen Diskussion verkoppelt würde. Die Themen sind politisch und gesellschaftlich vorgegeben: Globalisierung, Renten, ökologischer Umbau der Gesellschaft, soziale Gerechtigkeit. Deren Diskussion berührt Fragen der internen und externen Kommunikation, der Bildungsarbeit, des Politikstils und der innerparteilichen Demokratie. Für diesen komplexen Prozeß ist aber wenig Zeit. Er müßte in den nächsten zwei Jahren mit Veränderungen absolviert werden.
Zehn Jahre nach dem Niedergang der SED steht ihre Nachfolgepartei vor ihrer größten Herausforderung. Die Partei muß sich modernisieren. Die Verhältnisse haben aus dem häßlichen Entlein einen Schwan gemacht. Nun muß er fliegen – oder den Schwanengesang anstimmen.
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