21. Jahrgang | Nummer 4 | 12. Febuar 2018

Der Weg zu den Ursprüngen – Willi Baumeisters Arbeiten auf Papier

von Wolfgang Brauer

Derart komplex wie derzeit im Berliner Kupferstichkabinett – am Rande einer urbanen Wüstenei namens „Kulturforum“ – war die Kunst Willi Baumeisters (1889–1955) in Berlin letztmalig 1989 in der Neuen Nationalgalerie zu sehen.
Unter dem Titel „Der Zeichner. Figur und Abstraktion in der Kunst auf Papier“ kuratierte Andreas Schalhorn jetzt eine Schau, die anhand einer exzellenten Auswahl aus dem zeichnerischen und druckgraphischen Werk Baumeisters den künstlerischen Entwicklungsweg dieses Großen der abstrakten Kunst nachvollziehen lässt. Das ist ein insofern bemerkenswerter Zugriff, da Baumeister sich selbst hauptsächlich als Maler verstand und dem zeichnerischen Werk eher einen zweiten Platz zuwies. Der ist nun nicht mit „zweitrangig“ synonym zu setzen. Zeichnungen waren für Baumeister eher weniger Vorarbeiten für die Gemälde. Er wollte vielmehr, dass jene „an sich voll zu gelten haben und ganz an die Stelle eines abgeschlossenen Gemäldes zu setzen sind“. Konsequenterweise haftet seinen Blättern selten der Eindruck des flüchtig Dahingeworfenen an, sie sind durchgearbeitet. Auch der scheinbar zufällige Effekt seiner Frottage-Arbeiten – die Entdeckung dieses „Durchreibeverfahrens“ verdankte er Anregungen von Max Ernst – ist kalkuliert, wiewohl im konkreten Effekt zumeist sehr überraschend.
Die – ähnlich den Baumeisterschen Arbeiten der 1920er und frühen 1930er Jahre – mit äußerster Strenge konzipierte Schau empfängt den Besucher mit der Lithographie „Apoll“. Baumeister schuf das Blatt für die 4. Mappe der von Paul Westheim herausgegeben Reihe „Die Schaffenden“. Das Blatt bewegt sich formal in unübersehbarer Nähe zu Oskar Schlemmers geometrisierten Figuren. Mit Schlemmer ebenso wie mit Fernand Léger, beiden war Baumeister auch persönlich verbunden, entfaltete sich die 1920er Jahre über ein äußerst fruchtbarer künstlerischer Dialog. Die Ausstellung wird dem gerecht, indem sie zum Beispiel Oskar Schlemmers Aquarell „HK 1926“ – ein stark stilisiertes Halbprofil vor einem der von Schlemmer bevorzugten Treppenhintergünde – in Korrespondenz zu den Arbeiten Baumeisters zeigt, die sich mit der Persönlichkeit der Künstlers auseinandersetzen. Herausragend hier das mit Ölfarbe und Bleistift auf Pappe gearbeitete Bild „Der Maler (apollinisch)“ (1920), dessen Motivik sich in den beiden „T 21“-Zeichnungen widerspiegelt. Die mit Deckfarben und Bleistift gearbeitete Version des Jahres 1922 gehörte einst dem Schlesischen Museum der bildenden Künste Breslau, gleichsam ein stiller Hinweis auf diese Stadt als einen untergegangenen Hauptort der deutschen Moderne vor 1933. Diese Arbeit wurde 1937 als „entartet“ aus dem dortigen Museum entfernt, überstand jedoch das „Dritte Reich“.
Dem radikalen Weg Légers hingegen, der sich schlussendlich in dessen faszinierenden „Mensch-Maschinen-Bildern“ entfaltete, folgte Willi Baumeister nur zeitweilig. Die mit Bleistift, Farbstiften und Deckfarben gefertigte Zeichnung „Mensch und Maschine“ (1924) zeigt, wiewohl geometrisch durchkomponiert, ein spielerisches Moment: Zwei graue Wolken schieben sich unerhörterweise in das Bild. Anfang der 1930er Jahre wird die strenge geometrische Linie zunehmend durchbrochen: Baumeister arbeitete an den „Flämmchen“-Bildern“. Andreas Schalhorn hat als Beleg die Zeichnung „Flämmchenfigur“ (1930, Beistift und Kohle) aus dem Bestand des Stuttgarter Archivs Baumeister ausgewählt. Unübersehbar wird dieser Bruch in der künstlerischen Sprache angesichts des Gemäldes „Femme“ (1930). Dem nur in amorphen Umrissen gezeichneten Frauentorso haftet etwas sehr Urtümliches an. In einem 1933 geschriebenen Brief postulierte der Künstler: „Die moderne abstrakte Kunst ist archaisch.“ Diese These ist auch Folge seiner damals beginnenden Auseinandersetzung mit vor- und frühgeschichtlicher Kunst. In den 1930er Jahren führte diese Neu-Orientierung zur völligen Abkehr von Stil der ersten großen Schaffensperiode.
Übrigens hatte Willi Baumeister noch 1929 ein Ruf an das Dessauer Bauhaus ereilt. Das war nicht zuletzt aufgrund seiner guten Vernetzung zu den dortigen Meistern – neben Schlemmer sei hier auch Paul Klee genannt – nicht verwunderlich. Er blieb aber an der Frankfurter Kunstgewerbeschule, von der ihn dann im Jahre 1933 die Nazis vertrieben. Baumeister zog sich in die „innere Emigration“ nach Stuttgart zurück. In der Zeit des Bombenkrieges schließlich floh er nach Urach und an den Bodensee.
Baumeister konnte in dieser Zeit nur noch konstatieren, dass von nun an alle modernen Künstler „in den Rang der Staatsfeinde“ des Regimes gerieten. Nach dem Strudel der „Entarteten Kunst“, in den er hingeraten musste, folgten 1941 Mal- und Ausstellungsverbot. Allerdings gelang es seiner französischen Galeristin Jeanne Bucher, im besetzten Paris Ausstellungen für ihn zu organisieren. Bucher bat befreundete Journalisten, nicht über diese Ausstellungen zu berichten …
In jenen Jahren der existenziellen Unsicherheit entstanden jedoch über 500 Einzelblätter und graphische Folgen, die in ihrer künstlerischen Dichte und der archaischen Wucht der Darstellung atemberaubend sind. Die Ausstellung vermag nur wenige davon zu zeigen: Auf zwei „Afrika“-Zeichnungen (1942 beziehungsweise 1942/43) und auf die rätselhaften „Callot-Figuren auf rosa Grund“ (1943, Kohle und Kreide) möchte ich unbedingt hinweisen. Alle drei Blätter befinden sich in der bereits erwähnten Stuttgarter Sammlung, aus der die Ausstellungsmacher überreich schöpfen konnten. Callot-Figuren sind eigentlich groteske Zwergenfiguren, die sich im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreuten. Im Park der von Arnims im märkischen Wiepersdorf und im Salzburger Mirabellgarten lassen sich einige bewundern. Baumeisters Blatt erinnert hingegen eher an hethitische Großplastiken. 1952 schuf er die Lithographie „Kreuzigung“, die die Sprache der „Callot-Figuren“ noch einmal aufnimmt. Leider ist dieses Blatt in der Ausstellung nicht zu sehen.
In den „Montaru“-Arbeiten der frühen 1950er Jahre scheint sich die figurative Form fast völlig aufgelöst zu haben. Da schummelt sich plötzlich der auf den ersten Blick amöbenhaft erscheinende Chumbaba, der Wächter des Zedernwaldes im Gilgamesch-Epos, auf ein Ingres-Bütten-Blatt und sucht Gestalt anzunehmen (Aus Gilgamesch, Chumbaba). Frucht der Baumeisterschen Auseinandersetzung mit dem Gilgamesch-Epos war schon 1947 die Litho-Mappe „Sumerische Legenden“ gewesen. Nicht nur vom gewählten Thema, auch im Umgang mit den fast sumerisch anmutenden grafischen Zeichen geht Baumeister fast bis auf die Ursprünge der Kunst zurück. Die Blätter der Mappe werden komplett gezeigt und lohnen schon für sich allein den Weg in die Ausstellung.
Chumbabas Wiederauftauchen war allerdings so überraschend nicht. In seinem Buch „Das Unbekannte in der Kunst“ (1947) spricht Willi Baumeister von Inhaltsmotiven der „neueren Kunst […], deren Gewicht durch alle Formgebung hindurchschimmert und die Welt als Ganzes herbeiruft“. Die Entgegensetzung figürliche – nichtfigürliche Kunst ist ein hilfloses Konstruktum. Auch das weist diese große Willi-Baumeister-Schau eindrucksvoll nach. Sie ist ein Fest für die Kunst. Und Kunst sei immer die Auseinandersetzung mit der mystischen Existenz des Menschen und den Rätseln der Natur, wie Baumeister meinte.

Willi Baumeister. Der Zeichner. Figur und Abstraktion in der Kunst auf Papier, Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum; bis 8. April. Katalog im Wienand Verlag Köln, 34,00 Euro.