20. Jahrgang | Nummer 26 | 18. Dezember 2017

I was a Trumpel in Jerusalem

von Eckhard Mieder

Vermutlich bin ich nicht der einzige Mensch in Deutschland (auf der Welt?), der sich zu dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, zwischen Palästinensern und Israelis weder so noch so verhalten kann – und auch nicht will.
So beliebt es ist, nach Parteinahme gefragt zu werden, so unangenehm ist es mir, beurteilt zu werden; egal, was ich sagte, ich würde den einen oder den anderen zugeschlagen.
Gebe ich zu bedenken, dass den Palästinensern Unrecht im Übermaß geschieht, – bin ich ein Antisemit.
Gebe ich den Israelis in allem, was sie tun, Recht. – bin ich ein Zionist.
Finde ich die Besatzungs-Politik in Israel undemokratisch, weil menschenverachtend , – bin ich ein Feind der Juden.
Finde ich den nicht nur verbal-terroristischen, sondern handlungs-terroristischen Antizionismus / Antisemitismus der Araber widerlich, weil menschenverachtend, – bin ich noch immer kein Freund der Israelis oder der Juden.
Entweder Trente oder Ente; entweder Hü oder Hott; entweder bist du für uns oder gegen uns – und jede Seite stellt dich vor diese Entscheidung. Erbarmungslos. Und obwohl du weit weg wohnst. Und du dich trotzdem nicht wegfühlen kannst. (Wohin auch? Wäre ich Bewohner des Mars, hätte ich sowieso andere Probleme.)
Ich versuche, nicht gegen eine meiner Grundsatz-Lebensentscheidungen zu handeln. Jene nämlich, mit der ich mir sagte, du wirst dich nicht hinstellen und Ja zu dem einen, Nein zu dem anderen sagen; auch nicht Nein zu jenen und Nein zu denen. Weil ich weiß, dass von beiden Seiten die Vorbringungen (schwer zu unterscheiden, für mich, zwischen Argument, Lüge, Mythos, Propaganda) wie Steine oder Gewehrschüsse auf mich einprasseln würden.
Mir hat seinerzeit ein Stein in Jerusalem gereicht, um wütend und fassungslos zu sein. Als meine Frau und unsere vierjährige Tochter, ein hellblondes Wesen auf der Rückbank, im Mietwagen mit Tel Aviver Kennzeichen durch Jerusalem fuhren – ich meine noch heute, dass die wahre Fahrschulprüfung nur derjenige besteht, der unbeschadet durch den Verkehr dieser Stadt kommt – und wir von einem davonsausenden Kastenwagen überholt wurden. Eine knappe Sekunde vorher war ein Stein gegen die Rückscheibe geprallt. Auf Kopfhöhe des Kindes. Ich nehme auf meinen Eid, was auf dem Armaturenbrett des Kleintransporters lag – weitere Steine. Das war im Herbst, bevor Rabin erschossen wurde.
Mir haben Zischeleien in Jerusalem gereicht, um wütend und fassungslos zu sein. Wir liefen durch Straßen, Gassen, die auffällig verschmutzt waren. Schwarz gekleidete Menschen kamen uns entgegen. Männer mit Pelztellern, Frauen mit Kopftüchern auf den Köpfen – waren wir im Mittelalter gelandet? Ich trug meine Tochter auf den Schultern, mit harmlos-nackten Beinchen, im Sommerkleidchen – und dann hörte wir: „Schickse, Schickse, Schickse!“ Das war im Herbst, bevor Rabin erschossen wurde.
Es sind Koinzidenzen. Donald John Trump (Mich stört gelegentlich das Trump, die Verkürzung seines Namens, die eine Verkürzung des Menschen sein soll? Nein, natürlich nicht! Wir sagen ja auch: Putin, Schröder, Kennedy, Hitler, Napoleon, Churchill, Nero und so weiter und so fort; aber Trum’ ist echt ’ne Marke!) will, dass Jerusalem die Hauptstadt Israels wird. Was sie für die Israelis, gefühlt, soweit ich weiß, ohnehin ist; sie ist auch die gefühlte Hauptstadt der Palästinenser, die Hauptstadt eines Staates also, den es nicht gibt.
Es sind Koinzidenzen. In einem Interview mit der israelischen Schriftstellerin Lizzie Doron (anlässlich ihres aktuellen Buches „Sweet Occupation“, für das sie „mit ehemaligen palästinensischen Terroristen und Israelis, die den Dienst an der Waffe verweigert haben“ sprach) las ich: „Ich bin nicht in der Lage, mich über eine Hauptstadt Jerusalem zu freuen, während das Leben für 300.000 Palästinenser im Ostteil der Stadt die Hölle ist, weil sie keine Rechte besitzen und weil sie im Schlamm leben.“ Und wenn sie sagt, „wenn ich durch das Viertel Mea Shearim der ultra-orthodoxen Juden gehe, muss ich mich züchtig kleiden. Ich kann da nicht sein, wie ich bin. Jerusalem ist eine geteilte Stadt, in der seit 50 Jahren Besatzung gelebt wird. Das schafft keine gute Energie“ – dann erinnere ich mich an den Familien-Spaziergang. I was a Trumpel in Jerusalem.
Es sind diese Koinzidenzen. Die Visite in Jerusalem. Plötzlich Trumps zündende Idee, von der ich nicht glaube, dass sie so plötzlich und überraschend war. Hatte er nicht im Wahlkampf versprochen, Jerusalem zur Hauptstadt der Juden zu machen? Ich glaube, der Mann hat eine Liste, auf der er jeden Abend nach dem Zähneputzen erledigte Posten markiert. Haken dran, erledigt, Toupet in die Schachtel, Schnarchen.
Im Übrigen: Wie geht das? Dass einer von draußen kommt und sagt, ich möchte jetzt aus deiner Küche ein Badezimmer machen? Vielleicht ist Donald John Trump Jude, heimlicher Ministerpräsident von Israel, Besitzer sämtlicher Immobilien zwischen Haifa und Rotem Meer und Häuptling der Apachen in den Drusen-Dörfern auf den Golan-Höhen?
Noch eine Koinzidenz: Lizzi Dorons Interview und – ein Artikel von Moshe Zuckermann, Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv, in der jungen Welt vom 10. Februar 2017. Der befasst sich mit „Deutschen Befindlichkeiten“ (also auch mit meinen) und versucht, Begriffe zu sortieren. Weil mit dem Sortieren und Definieren von Begriffen meiner Ansicht nach Diskussionen erst sinnvoll werden, folge ich gern einem Mann, der genau das macht. Noch dazu, wenn er ein Mann der Vernunft ist und auf dem Minenfeld der hochexplosiven Begriffe einen Weg findet, auf dem er nicht in die Luft gesprengt wird. „Judentum, Zionismus und Israel“, so Zuckermann, „werden in eins gesetzt, damit Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik als eine einheitliche Kategorie behandelt werden können.“ Und weil es dafür viele Begründungen und Erklärungen gibt, und die Verwirrungen nicht abnehmen (jedenfalls für einen wie mich nicht), schreibt der Professor weiter: „ Nicht alle Juden sind Zionisten, nicht alle Zionisten sind Israelis, und nicht alle Israelis sind Juden. Wer dies nicht begreift, liegt bei aller weiteren Erörterung des hier anvisierten Problems bereits auf einer schiefen Bahn. Es gibt nicht- und sogar antizionistische Juden, die sich ihr Judentum nicht vom Zionismus, geschweige denn vom zionistischen Staat vorschreiben lassen. Da wären an allererster Stelle die Hauptströmungen im orthodoxen Judentum aufzuzählen. Es gibt viele Israelis, die ihrem Land gegenüber, ob seiner staatsoffiziellen Politik und deren Auswirkungen, die sie in jeglicher Hinsicht für katastrophenträchtig erachten, kritisch eingestellt sind; […] sie wollen sich ihren Zionismus weder vom Staat noch von seinen Anhängern im Ausland in Frage stellen lassen. Es gibt zionistische Israelis, die mit der jüdischen Religion, erst recht aber mit ihren verdinglichten Manifestationen nichts am Hut haben. Es gibt religiöse Israelis, die ihren Glauben nicht für fremdbestimmte politische Zwecke instrumentalisiert sehen möchten. Es gibt gewöhnliche israelische Bürger, die beim Denken an mancherlei Praktiken ihres Landes und an den massiven Zuspruch, dessen sich diese Praktiken erfreuen, um den Schlaf gebracht sind. Weitere Einstellungs- und Gesinnungskategorien ließen sich in diesem Zusammenhang anführen.“
Das ist lang zitiert. Aber anders kann ich nicht, wenn ich als Deutscher (von mir aus als Europäer oder als Kosmopolit oder als Marsbewohner mit Erderinnerungen) nach einem Platz in all dem suche. Nach einem Platz fernweg und herznah.