20. Jahrgang | Nummer 21 | 9. Oktober 2017

Es lebe der Kürbis!

von Renate Hoffmann

Ludwigsburg im Herbst. Weder Friedrich Schiller, der mit den Eltern in den Jahren von 1767 bis 1773 in der Stadt lebte und selbstverständlich sein Denkmal auf dem Schillerplatz als poeta laureatus besitzt, noch Carl Eugen Herzog von Württemberg und seine zeitweilige, überaus üppige Hofhaltung im barocken Residenzschloss regieren. Die Kürbisse sind an der Macht, auf ehemals herzoglichem Boden.
Mit dem Blick auf das allbeherrschende Schloss gehe ich durch den Südgarten, dieser prächtigen Anlage barocker Gartenkunst, geschmückt mit den schwingenden Ornamenten ihrer Broderie. Und in diesem gepflegten Blühwunder soll das robuste Gemüse präsent sein?
Ein wegweisendes Plakat klärt auf: „Zur 18. Kürbis-Ausstellung im Ostgarten.“ Bereits den Zugang bestimmen sie, die Kürbisse mit dem lustigen Namen Cucurbita, sie säumen die Wege, thronen auf Strohballen und zeigen stolz ihre Vielgestalt und die Farbenfreudigkeit. Rund, schlank, flach, platt, geriffelt, wie Flaschen, Birnen, Krönchen und Glocken geformt, mit Warzen bestückt; klein, groß, riesengroß. Weiß, blässlich grau, blaugrau, dunkelgrau, gelb, orange – hell und dunkel, bräunlich, blassgrün bis dunkelgrün, gestreift, gefleckt … „Wir kennen über 800 Sorten“, sagt die Verkäufern an einem der vielen Stände. Man könne die edle Frucht als Speise, zur Zierde und als Schnitzmaterial verwenden. Großes Staunen.
Von Stand zu Stand wechseln Formen, Farben, Namen: „Verdrehter Hals“, „Bischofsmütze“ (eine Unterart von Cucurbita pepo, sie ähnelt wirklich einer geistlichen Kopfbedeckung), „Gewarzte Halloween“, „Blue Banana“, „Rondini“ (klein, dunkelgrün und zart nussig im Geschmack), „Muscade de Provence“ (für Rohkost, Gratins, Suppen, Süßspeisen und zum Überbacken geeignet), „Hokkaido“ (von den Bewohnern der gleichnamigen japanischen Insel gezüchtet, vitamin- und mineralstoffreich, die Schale mitessen!).
Die eigentliche Kürbisoffenbarung erwartet im leicht abgesenkten Gelände des Ostgartens. Cucurbita in der Kunst. Da alle Ausstellungen bisher einem Thema folgten – unter anderem waren es „Die Arche Noah“ und „Dinosaurier“ –, wählte man für die diesjährige Schau „Das alte Rom“ zum Motto. Die Weltstadt der Antike in Geschichte, Mythologie, Architektur und Comic. Das Reich der Römer aus Kürbissen gebaut. Und nicht etwa im Kleinformat, sondern zum Teil auch mit überlebensgroßen Skulpturen ausgestattet. Man traut den Augen kaum.
Gaius Julius Caesar lenkt höchstpersönlich einen kürbisgepanzerten, zweispännigen Streitwagen, wilde Blicke um sich werfend. – Eine römische Elitetruppe steht in Kampfbereitschaft. Wahrscheinlich werden sie in Kürze mit ihrem Feldherrn Publius Quinctilius Varus nordwärts ziehen. „Doch im Teutoburger Walde, / huh! wie pfiff der Wind so kalte, / Raben flogen durch die Luft, / und es war ein Moderduft, / wie von Blut und Leichen.“ Was die Kohorte noch nicht weiß, aber der Dichter Victor von Scheffel (1826–1886) wusste: „Plötzlich aus des Waldes Duster / brachen kampfhaft die Cherusker, / mit Gott für Fürst und Vaterland / stürmten sie von Wut entbrannt / gegen die Legionen …“ Vielleicht führt die Truppe auch das Katapult (aus Kürbissen!) mit sich, was jedoch in der sumpfigen Waldgegend kaum gebrauchsfähig wäre. – Diese wuchtige Fernwaffe schoss große Steinbrocken gegen den Feind. Hier wird mit Kürbissen geschossen, was eventuell der Varusschlacht zu einem anderen Ausgang verholfen hätte.
Jupiter schmettert Blitz und Donner auf die Besucher. Sogar die Kinder halten Abstand von ihm, obgleich sie rundum die Kürbiswelt begeistert erobern und die Gallier Asterix und Obelix, die soeben einen Legionär in die Flucht schlagen, wie gute Bekannte begrüßen. – Die Kapitolinische Wölfin säugt (mit Kürbismilch?) Romulus und Remus, die mythologischen Gründer Roms. – Ein Meisterwerk bleibt der römische Aquädukt aus mehrfarbigen Kürbissen. Architektonisch ohne Tadel. Hohe Säulen, durch Rundbögen verbunden, tragen das wasserleitende System. Das sind bei weitem nicht alle Cucurbita-Schöpfungen.
Das heitere Fest des Herbstes wartet auf mit einem reichhaltigen Speisen- und Getränkeangebot: Kürbis-Reispfanne, -Maultasche in Kürbissuppe, -Suppe mit frischem Brot, -Pommes im Teichmantel (besonders knusprig), -Strudel mit Sahne, Kürbis-Rührkuchen, -Muffin, -Keks, -Eis, -Schorle, -Secco. – Nunmehr erhebe ich die edle Frucht zu einem Universalgemüse bester Güte und entscheide mich für Spaghetti mit Kürbiskernpesto und als Nachspeise Kürbiseis.
Danach steht der Entschluss fest, auf dem nächsten Wochenmarkt, einen „Hokkaido“ zu erwerben und ihn mit Hilfe von Lauch, Sellerie, Zwiebeln, Gemüsebrühe, Orangensaft, Sahne, Salz und Pfeffer in eine schmackhafte, cremige Kürbissuppe zu verwandeln.

Die 18. Kürbisausstellung im „Blühenden Barock“, 7164 Ludwigsburg, mit vielen Veranstaltungen ist noch bis zum 5. November 2017 besuchsbereit. Öffnungszeit: 9.00–19.30 Uhr, beziehungsweise bis zum Anbruch der Dunkelheit.