20. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April 2017

Osterpotpourri – mit mörderischen Einlagen

von Frank-Rainer Schurich

Ihren Namen erhielt die alte germanische Osterfeier nach der im Osten wiedergeborenen Sonne des Frühjahrs, worauf auch der Name der Frühlingsgöttin Ostara zurückzuführen ist. Später fiel die Feier mit dem Fest der Auferstehung Jesu zusammen. Da es froh begangen werden musste, ordneten christliche Kaiser schon zu ganz früher Zeit Gerichtsferien an, begnadigten huldvoll nicht allzu schwere Missetäter und schenkten Sklaven die Freiheit.
Die heidnischen Bräuche waren aber nicht totzukriegen. Bereits im Volksleben der Germanen kannte man das Osterei, ein hartgesottenes Hühnerei mit gefärbter Schale. Seit dem 18. Jahrhundert ist es dann wieder Brauch, Ostereier zu verschenken. Ihnen wurde zudem die wundersame Kraft zugeschrieben, kriminelle Hexen abzuschrecken. Um auch Tiere vor der Magie zu bewahren, hängte man zu Ostern grüne Zweige an die Stalltüren.
Nur stritt man sich lebhaft, wer denn der Eierbringer sei. Sogar der Hahn wurde verdächtigt! Dass in Deutschland der Osterhase die Eier heranschafft, wie alle Kinder glauben, geht auf eine Zeugenaussage aus dem Jahre 1682 zurück. Kriminalpsychologisch gesehen ist sie vermutlich nur die illusionäre Verkennung einer alten Osterlammdarstellung, die durch reichliche Einnahme von Osterwasser begünstigt worden sein dürfte.
Denn seit dem dritten Jahrhundert ist der Brauch bezeugt, nach dem Ende der Fastenzeit gebackene Osterlämmer zu segnen und zu verspeisen. Das fromme und unbefleckte Lamm gilt von alters her als ein christliches Symbol des sich für die Sünden dieser Welt opfernden Jesus. Hat heute jemand Schmach auf sich geladen, ist die Bereitschaft zur Sühne nur mäßig ausgeprägt. Selbst die größten Ganoven bezeichnen sich vor Gericht als „Unschuldslämmer“.
Ostern war im Mittelalter auch die hohe Zeit des Exhibitionismus. Mit schnurrigen Ostermärchen brachten die Geistlichen von der Kanzel selbst die Hinterbänkler zum lauten Lachen. Manche Prediger sollen gar, nur um des Ostergelächters (risus paschalis) willen, dem Publikum ihr entblößtes Gemächt gezeigt haben.
Osterluzei, eine Pflanze mit herzförmigen Blättern und grünlichen oder gelblichen, in Büscheln wachsenden Blüten, deren Name direkt auf Ostern verweist, findet sich sogar in der berühmten Encyklopädie der Kriminalistik vom Begründer eben dieser Wissenschaft Hans Gross aus Graz (1901). Dieses Gewächs war ein beliebtes Mittel für kriminelle Abtreibungen. Schon der griechische Name aristolochía bedeutete „bestes Gebären“. Nun ja – die Griechen waren halt auch die Erfinder des Euphemismus, bei ihnen hieß bekanntlich das sich in der Antike häufig lebensgefährlich gebärdende Schwarze Meer Pontos Euxeinos. Das gastliche Meer.
„Der Has kommt bei Dir an Gründonnerstag“, schrieb vorzeiten Friedrich Rückert. Heutzutage legt Meister Lampe rastlos seine Eier meist am Ostersonntag in die Nester. Und während wir im Wald und auf der Heide beim Ostereiersuchen sind oder nur einen Osterspaziergang machen, die ersten warmen Sonnenstrahlen und ein Osterwässerchen genießen, schläft das Verbrechen nicht. Gauner plündern unsere Wohnungen. Obacht also vor Einbrechern auch zur Osterzeit!
Aber es kann noch viel schlimmer kommen! Während die Tage heilig sind, schlagen Mörder im wahrsten Sinne des Wortes zu, und so können wir heute, wenn wir wollen, makabre Jubiläen feiern.
Vor 130 Jahren, am Ostersonnabend, dem 9. April 1887, ermordete der 26-jährige Buchhalter Hermann Günzel den Glaswarenkaufmann Kreiß in seiner Wohnung Adalbertstraße 60/61 in Berlin-Mitte. Aus dem Tresor entnahm der Mörder eine größere Summe Bargeld und eine Taschenuhr. Hermann Günzel kam alsbald ins Visier der Ermittler, weil er bei Kreiß angestellt gewesen war und in Unfrieden schied.
Günzel brachte ein schwer erschütterbares Alibi – unter Nennung unzähliger Nebenumstände und charakteristischer Einzelheiten. Die Aussage einer Zeitungsausträgerin war der geschätzte Silberstreif am Horizont für die Ermittler. Günzel habe sie am Ostersonntag, etwa 20 Minuten nach sechs Uhr in der Frühe, auf der Treppe seines Hauses Dresdener Straße 5 direkt gefragt: „Es steht heute nichts drin von einem Mord, nicht wahr?“
„Was für ein Mord denn?“ fragte die Zeitungsfrau. Die Antwort kam prompt: „In der Adalbertstraße!“ Sie sollte sich als ein verhängnisvoller Fehler erweisen, denn die Leiche Kreiß’ war noch gar nicht gefunden worden!
Durch einen überzeugenden Indizienbeweis und ohne Geständnis wurde der Mörder zu lebenslangem Zuchthaus und dauerndem Ehrverlust verurteilt. „Niemand hat gesehen“, schrieb 1888 Paul Lindau zu diesem Fall, „was im Dunkel der Osternacht in dem unheimlichen Seitengebäude der Adalbertstraße sich ereignet hat, und man weiß alles. Die Sonne bringt es an den Tag!“
Ob’s die Ostersonne war? Jedenfalls wanderte Hermann Günzel in deutsche Gefängnisse und nicht etwa auf die Osterinsel. Seit etwa 1125 von Polynesien aus besiedelt, stammt der Name für dieses idyllische Eiland im Stillen Ozean von seiner Entdeckung durch den niederländischen Admiral Jacob Roggeveen am Ostersonntag 1722. Seit 1888 in chilenischem Besitz, diente es zunächst als Strafkolonie für besonders schwere Verbrecher.
Von dem US-amerikanischen Prediger Clarence W. Hull ist ein kluger Satz überliefert: „Ostern besagt, dass man die Wahrheit ins Grab legen kann, dass sie aber nicht darin bleibt.“ Vor genau 50 Jahren ereignete sich Berliner Osten ein unheimlicher Kriminalfall, der letztlich ebenfalls Hulls Gedanken in die Tat umsetzte.
Günter Paschen, 18 Jahre alt, wohnte mit seiner Oma Emma Mager in der Boxhagener Straße im Friedrichshain. Am Karfreitag, dem 24. März 1967, beschloss er, mit seiner Freundin ein paar schöne Stunden zu verleben, aber es fehlte ihm dazu das nötige Kleingeld. Da er wusste, dass seine Großmutter am Mittwoch zuvor 250 Mark von ihrer Arbeitsstelle bekommen hatte, beschloss er nach dem Aufstehen um vier Uhr, seine Großmutter, die sich liebevoll um ihn kümmerte, umzubringen. Nach dem Frühstück schritt er zur Tat. Er erwürgte sie, war sich aber nicht sicher, ob sie tot war. Deshalb schlug er anschließend mit einer Rührkeule auf ihren Kopf. Dann versteckte er die Leiche in der Besenkammer der Wohnung, in der Günter und seine Freundin wunderschöne Osterfeiertage verbrachten. Der Sex fand in dem Bett statt, in dem er seine Großmutter heimtückisch getötet hatte.
Günter Paschen schleifte seine tote Oma in einer Nacht- und Nebelaktion noch in den zur Wohnung gehörenden Keller, aber es war nur eine Frage der Zeit, dass aus der Vermisstensache Emma Mager der Fall Paschen wurde.
Die gesamte, mit erheblicher Brutalität ausgeführte Tathandlung, so unverständlich sie selbst dem psychiatrischen Gutachter Hans Szewczyk von der Berliner Charité erschien, konnte nur eine Erklärung finden, nämlich in der außerordentlichen Gefühlskälte und Bindungslosigkeit des Täters.
Das Stadtgericht von Groß-Berlin verurteilte Günter Paschen im Dezember 1967 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Durch Amnestiebeschluss des Staatsrates der DDR vom 24. September 1979 konnte die Strafe auf 15 Jahre Freiheitsentzug herabgesetzt werden. Am 29. März 1982 wurde er aus der Haft entlassen. Nach Berlin-West.
Und wir haben immerhin gelernt, dass man die Wahrheit, nicht nur zur Osterzeit, auch in eine Besenkammer stellen oder in einen Keller legen kann, sie aber niemals dort bleiben wird.