20. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April 2017

Dix in Düsseldorf

von Thaddäus Faber

Als Otto Dix im Herbst 1922 aus Dresden nach Düsseldorf übersiedelte, war er ein weitgehend unbekannter, kommerziell erfolgloser Künstler. „Ich kumm uff keinen grienen Zweich; meine Malereien sind unverkäuflich. Entweder ich werde berühmt oder berüchtigt“, hatte er 1920 gebarmt. Als er 1925 nach Berlin weiterzog, war er etabliert, verkaufte sich bestens und war zu einem der angesagtesten Dandys der Kunstszene der Weimarer Republik avanciert.
Dazwischen hatte er dem ersten Käufer seiner Werke in der Stadt an der Düssel, dem Urologen und Kunstmäzen Dr. Hans Koch, nicht nur dessen Frau Martha ausgespannt, diese zu seiner Muse gemacht und geehelicht (was seinem Schaffen – zahlreiche Gemälde und Aquarelle – und seiner physischen Reproduktion – drei Kinder – sehr zugute kam), sondern bereits vor dieser Wilderei mit einem von Koch selbst in Auftrag gegebenen Porträt des Mediziners den Grundstein zu seinem Ruhm als führender Porträtist seiner Zeit gelegt. Allerdings als einer mit dem bösen Blick, der seine Modelle häufig übel karikierte. Das war schon beim Abkonterfeien Kochs der Fall, der auf der Leinwand eher wie ein grobschlächtiger Metzger denn wie ein Arzt für besonders sensible Belange dargestellt ist. Das Porträt ist heute in der Dauerausstellung des Museums Ludwig in Köln zu sehen. Andererseits war Dix aber auch Geschäftsmann (und Opportunist) genug, diese „Masche“ bei gut zahlenden Auftraggebern nicht zu übertreiben.
Der Galerist Alfred Flechtheim, damals mit Dependancen in Düsseldorf und Berlin, war kein solcher. Im Gegenteil. Flechtheim bevorzugte ab den 1910er Jahren französische Kubisten und Künstler wie Paul Klee, George Grosz und Max Beckmann. Dix hatte er nicht im Programm. Das sieht man dem unbeauftragten, möglicherweise auf enttäuschte Eitelkeit zurückgehenden Porträt des Galeristen, das Dix 1926 schuf, durchaus an: Mit fliehender Stirn, hohen Augenbrauen sowie markanter Nasen- und Mundpartie wirkt Flechtheim zugleich hochfahrend, maliziös und lauernd. In seiner klauenhaften Linken hält der Galerist ein kubistisches Bild. Hinter ihm hängt ein weiteres solches Sujet im Stil von Juan Gris, und dort hat Dix seine Signatur hinterlassen – geradeso, als wolle er verdeutlichen, wie leicht ihm dieser Stil von der Hand gehe …
Dieses Porträt – wie zahlreiche andere von Dix – versammelt derzeit in einer ersten monografischen Ausstellung über Dix’ höchst produktive Düsseldorfer Jahre die Retrospektive „Otto Dix – Der böse Blick“ in der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen. Mit insgesamt rund 200 Gemälden, Radierungen, Grafiken, Zeichnungen und Fotografien. Darunter das zur Ikone der „goldenen 20er Jahre“ gewordene „Bildnis der Tänzerin Anita Berber” von 1925. Doch deren Schicksal zeugt davon, wie wenig golden diese Jahre selbst für einige ihrer Protagonisten waren. Anita Berber galt zwar als Tänzerin des Lasters und dem Boulevard als verruchte Skandalnudel. Sie, die als Dix sie malte, gerade einmal 26 Lenze zählte, uns auf der Leinwand aber als wenigstens doppelt so lange vom Leben gezeichnet entgegen tritt, war noch mit unter 30 bereits tot. Gestorben an Tbc.
Die Düsseldorfer Exposition ist zweigeteilt.
Der eine Part zeigt eine Fülle von Gemälden, Zeichnungen und Fotografien des Künstlers. Und zahlreiche Aquarelle, die ausweisen, dass Dix auch auf diesem Gebiet ein Meister von hohen Graden war – und einer mit einem ausgesprochenen Faible für befremdlich-drastische, sexuell konnotierte Motive. Wie etwa „Traum der Sadistin“.
Der zweite Teil der Ausstellung ist weniger gelungen, was nicht daran liegt, dass dort keine große Kunst zu sehen wäre. Dieser Part ist ganz Dix’ Radierungszyklus „Der Krieg“ gewidmet, den er in fünf Mappen zu je 10 Grafiken im Winter 1923/24 schuf – der Kritik von Anfang an als zeitgenössische Antwort auf die Radierungen „Los desastres de la guerra“ („Die Schrecken des Krieges“) von Francisco de Goya aus den Jahren zwischen 1810 und 1814 verstanden. Dix’ „Protokoll der Hölle“ zeigt – bar jeder heroischen Überhöhung und jedes nationalpatriotischen Pathos’ – martialische Gewalt, Sterben, Tod und Verwesung auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges. (Dix selbst hatte als Maschinengewehrschütze drei Jahre in den vordersten Linien der West- wie der Ostfront nahezu unverletzt überstanden.) Viele dieser Blätter sind von grauenhafter, völlig hoffnungsloser Düsternis – und in Düsseldorf in ein Halb- bis Dreivierteldunkel gehängt, das ein Erkennen von Details teilweise nahezu unmöglich macht.
Das ist leider ein Wermutstropfen im Kelch dieser ansonsten großartigen Exposition.

„Otto Dix – Der böse Blick“, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; noch bis zum 14. Mai 2017; weitere Informationen im Internet.