20. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April 2017

Das Märchen von der Bildungsrepublik Deutschland

von Christoph Sieber

Bildung ist der Schlüssel zu allem, zu Glück und Reichtum, ist das Mantra, das alle immer wiederholen.
Ich sage dazu nur: Ich kenne Menschen, die auch ohne Abitur glücklich geworden sind.
Damals wie heute gilt aber: Es gibt nur zwei Möglichkeiten ein Volk gefügig zu machen: Gewalt oder Verdummung.
Und eines muss man feststellen: Verdummung ist weniger aufwändig.
Kinder müssen funktionieren. In Zeiten, in denen die deutsche Frau durchschnittlich nur noch 1,5 Kinder bekommt, trägt das Kind mehr denn je zum Status bei: mein Haus, mein Auto, mein Kind.
Da braucht man sich nicht wundern, dass viele Menschen an Burnout leiden. Und das schon nach dem ersten Jahr in der KITA.
Früher wurden Kinder Lokomotivführer, Tierärztin oder Astronaut. Heute hochbegabt. Gut, viele Kinder scheinen klug, einfach weil die Eltern so dumm sind.
Aber da geht Lehrern und Schülern ja gleichermaßen. Die werden da ja zusammen zwangskaserniert in dieser Schule. Seit Jahrhunderten das gleiche Elend.
Da schlurft dann all morgendlich zur nächtlichen Stunde die Armee der unausgeschlafenen Zombies über die Schulflure, durch die der Todeshauch aus Angstschweiß und Bohnerwachs wabert und in denen sich Lehrer und Schüler gegenseitig ihre fröhliche Desillusion ins komatöse Dasein hauchen.
Wissen Sie woran es unter anderem scheitert, dass die Schule später anfängt?
Es scheitert unter anderem daran, dass die Länder immer wieder betonen, dass es ein Riesenaufwand wäre, wenn man die Busfahrpläne an die neuen Schulzeiten anpassen müsste. Und das ist eine wichtige Lehre schon für junge Menschen. Ich habe im Leben sehr davon profitiert, dass ich meinen Lebensrhythmus an den Busfahrplan angepasst habe.
Man spricht als Schüler mit dem Lehrer über all die wunderbaren Möglichkeiten, die das Leben bietet, und sieht den Lehrer vor sich, der von all diesen schönen Möglichkeiten keine ergriffen hat, sondern Lehrer geworden ist.
Lehrer, die ein Faxgerät für ein Wunderwerk der Technik halten, während sich der Schüler schon mit seinem Smartphone in den Herzschrittmacher des Lehrers eingeloggt hat, um so wenigstens für ein wenig Spannung im Unterricht zu sorgen.
Und ich werde einen Teufel tun und die Schuld allein den Lehrern in die Schuhe schieben. Gut, da sind ein paar Idioten dabei. Lehrkräfte denen einer vor Beginn des Studiums sagen hätte müssen: Es kann sein, dass du als Lehrer später mal mit Kindern zu tun hast. Beiden Seiten wäre so vieles erspart geblieben.
Aber Lehrer stehen heute schon am ersten Schultag vor einer keifenden, rotzfrechen Menge. Und das sind ja nur die Eltern.
Dann hocken sie alle da im Elternabend: die Vermögensberater, Yogalehrerinnen und Architekten und werfen dem Lehrer Versagen vor. Eltern, die zwischen 80 Stunden Woche, Aufsichtsratssitzung und After-Work-Meeting ihren Sprössling längst aus den Augen verloren haben, die bei der Erziehung eines Kindes lückenlos gescheitert sind und glauben, dass es doch kein Problem sein kann eine Gruppe von lernunwilligen Despoten ein paar Stunden am Tag im Griff zu haben.
Eltern, die schon nach einer Stunde vor 20 Grundschülern psychisch so kollabieren würden, dass sie von der Feuerwehr aus dem völlig demolierten Overhead-Projektor befreit werden müssten.
Die Zahl der Dummen und Intelligenten ist in allen Bevölkerungsschichten gleich. Das ist ja das Verrückte.
Unter Architekten gibt es genau so viele Dumme wie unter Putzfrauen. Der Unterschied ist nur: die Eltern des Architekten waren Akademiker. Und die haben ihrem Sohn das größte Talent mitgegeben, das man in dieser Gesellschaft einem Kind mitgegeben kann: Den Geldbeutel. Und so kommt es, dass ein strunzdoofer Architekt für viel Geld in einem teuren Büro einen Flughafen für Berlin plant. Und um ihn herum eine hochintelligente Putzfrau für einen Hungerlohn den Fußboden saugt. Denn wenn der Architekt klug wäre, dann hätte er die Putzfrau längst gefragt, und sie hätte geantwortet: Wenn ihr einen Flughafen baut, denkt an die Landebahn!
Wer aus der Unterschicht stammt wiegt mehr, verletzt sich häufiger im Straßenverkehr und ist häufiger Opfer von Gewalt.
Und die Menschen aus der Unterschicht sterben im Schnitt zehn Jahre früher.
14 Prozent haben keinen Zugang zu Internet und zehn Prozent besitzen keine ausreichende Winterbekleidung.
„Demokratie und Verantwortung lernen und leben ist Kernauftrag der Schule“ So steht es im deutschen Schulgesetz.
Kinder lernen in der Schule meist nur eines: Auf Belohnung zu reagieren und Bestrafung zu vermeiden. Und wenn das Kind erwachsen wird und es niemand mehr belohnt, dann belohnt es sich selber. Und zwar mit Konsum. Mit Klamotten, mit Essen, mit Süßem und mit Fettigem.
Und ihnen wird Fernsehen vorgesetzt, das ihnen sagt, dass sie zu doof sind zu allem. Zum Wohnen, zum Essen, zum Leben.
Nein, lasst uns ehrlich sein: Die Bildungsrepublik Deutschland ist eine Lüge.
Oder wie es ein kluger Mensch einmal ausdrückte: Das deutsche Volk ist absolut obrigkeitshörig, des Denkens entwöhnt, ein typischer Befehlsempfänger. Ein Held vor dem Feind, aber ein totaler Mangel an Zivilcourage. Der typische Deutsche verteidigt sich erst dann, wenn er nichts mehr hat, was es sich zu verteidigen lohnt. Wenn er aber aus seinem Schlaf erwacht ist, dann schlägt er in blindem Zorn alles kurz und klein, auch das, was ihm vielleicht noch helfen könnte.
Und wir können am Ende darüber klagen oder lachen oder beides.
Aber eines dürfen wir nicht: Die Kinder aufgeben und die Lehrer alleine lassen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann richten sie sich heute noch nach dem Busfahrplan.

Dieser Text, dessen Abdruck der Autor freundlicherweise gestattete, ist Teil seines aktuellen Solo-Programms „Hoffnungslos optimistisch“. Nächste Tour-Termine: 21./22.04. Leipzig (Kabarett academixer), 22.04. Gotha (Kulturhaus), 26.04. Rödermark (Kulturhalle ), 27.04. Frankfurt/M. (Neues Theater Höchst ). Weitere Termine und Informationen auf der Homepage des Künstlers.