20. Jahrgang | Nummer 1 | 2. Januar 2017

Von der Farbe Blau

von Renate Hoffmann

Sie bezauberte von jeher Dichter, Maler, Musiker; und Vertreter der Geistes- und Naturwissenschaften registrierten sie mit Staunen. Der Blick von außen auf unseren blauen Planeten wird die Astronauten, auch der unerwarteten Bläue wegen, so tief beeindruckt haben. Von Gershwins „Rhapsody in Blue“ und anderen blauen Klängen abgesehen, sind es vorrangig Maler und Dichter, die der Farbe huldigen. In einem Band der Insel-Bücherei führte man diese beiden Künste in ihrer Ausdrucksart auf gelungene Weise zusammen.
Nach dem Maler Wassily Kandinsky (1866–1944) ist es „die Farbe des Himmels, so wie wir ihn uns vorstellen bei dem Klange des Wortes Himmel.“ Johann Gregorius Höroldt (1696–1775), hochbegabter Porzellanmaler der Manufaktur Meißen, hält dafür, dass „eines von dem Edelsten die blaue Farbe ist.“ – Himmlisch und edel und verborgener Sinn beflügelten allezeit die Dichter. Mit dem Blau verbinden sich Traumwelten, Sehnsüchte und der Drang in die Weite. Beruhigende Wirkung wird der Farbe nachgesagt und die Anregung zur Kontemplation. Auch sei sie ein Sinnbild des sichtbar Unsichtbaren.
Der Schriftsteller Ernst Jünger (1895–1998) beschrieb das Blau als „die Farbe der äußersten Orte und letzten Grade, die dem Leben verschlossen sind.“ Hegen wir deshalb die Sehnsucht nach der blauen, unergründbaren Ferne? Zweifellos liegt über dieser Farbe auch ein Hauch von Wehmut oder gar der Trauer. Doch ebenso die Freude am Erwachen der Natur, die, in Verbindung mit der „Blauen Blume“ der Romantik, aufjubelt in Eduard Mörikes „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte…“. Blau ist auch die Farbe der Hoffnung. Und man möchte ihr die Sentenz zuschreiben: Träume, Sehnsucht und Hoffnung, das sind ihre Begleiter.
Hermann Hesse (1877–1962) besaß eine besondere Neigung zum Blau. Es entsprach wohl auch seinem Wesen. Er gibt dem Monat September diese Farbe und nennt sie einen „süßen Zauberton“. („Höhe des Sommers“) Noch zärtlicher klingt die Strophe vom flatternden Bläuling: „Flügelt eine kleiner blauer / Falter vom Wind geweht. / Ein perlmutterner Schauer, / Glitzert, flimmert, vergeht. / So mit Augenblicksblinken, / So im Vorüberwehn / Sah ich das Glück mir winken, / Glitzern, flimmern, vergehn.“ („Blauer Schmetterling“)
Blau ist der Grundton der Poesie. Hans Arp (1886–1966), Maler, Lyriker, Bildhauer, bringt ihn zum Klingen: „Die Erde und der Himmel / durchdringen sich. / Das Blau blüht / verblüht / blüht wieder auf / … / Es klingt / es rauscht / es hallt / es widerhallt / es sprüht / es duftet / und wird andächtig singendes Blau. / Das Blau verblüht zu Licht.“ („Singendes Blau“)
Rainer Maria Rilke (1875–1926) erklimmt die Höhen der Poesie mit einer feingefühlten floralen Schilderung: „So wie das letzte Grün in Farbentiegeln / sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh, / hinter den Blütendolden, die ein Blau / nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln. / Sie spiegeln es verweint und ungenau, / als wollten sie es wiederum verlieren, / und wie in alten blauen Briefpapieren / ist Gelb in ihnen, und Violett und Grau, / (…) / Doch plötzlich scheint das Blau sich zu erneuen / in einer von den Dolden, und man sieht / ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.“ („Blaue Hortensie“) – Und Novalis (eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg; 1772–1801), erzählt einen Traum, in dem das Symbol der Romantik seine Geburtsstunde erfährt:
Der Träumende ruht an einer Quelle. „Das Tageslicht, das ihn umgab, war heller und milder als das gewöhnliche, der Himmel war schwarzblau und völlig rein. Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte.“ (aus: „Heinrich von Ofterdingen“) Die „Blaue Blume“ war geboren. – Einst von Sternenhänden gespielt, das Blau vom Himmel gespielt, doch dann an der Rohheit der Welt zerbrochen; ein zartes Trauerspiel der Dichterin Else Lasker-Schüler (1869–1945). („Mein blaues Klavier“)
Gottfried Benn (1886–1956) spricht die Worte einer wehmütigen Liebe in die dunkelblaue  Stunde. („Blaue Stunde“) Auch der russische Dichter Aleksandr Blok (1880–1921), verklärt die Farbe Blau nachdenklich und mit leiser Stimme: „Das Himmlische ist vom Verstand nicht zu ermessen, / das Azurblau ist dem Verstand verborgen. / Nur manchmal bringen die Seraphim / einen heiligen Traum den Erwählten der Welten.“
Den Schlusschoral auf das himmlische Blau stimmt, mit einem Unterton der Freude, der Schweizer Conrad Ferdinand Meyer (1825–1898) an: „O du heil’ge Bläue, / immer freut aufs neue / Mich der stille Glanz. / Abgrund ohne Ende! / Himmlisches Gelände, / Seele, tauche unter ganz!“ („Heilige Bläue“) – Die Farbe des Himmels und der Erde – zumindest aus der Ferne betrachtet – bleibt, ob ihrer Rätselhaftigkeit, stets Anregung der im Buch versammelten Dichterinnen und Dichter. Dazu gehören, neben anderen, Ingeborg Bachmann, Georg Heym, Reiner Kunze.
Eine glückliche Ergänzung des Gedachten und Gesagten bilden die blauen Kunstwerke der Maler. Unter ihnen sind Marc Chagall, Pablo Picasso, Claude Monet, Franz Marcs „Turm der blauen Pferde“ und Paul Klees „Landschaft der Vergangenheit“. Allen gemeinsam ist die Liebe zur Farbe Blau. – Eine empfehlenswerte Lektüre, vorzüglich geeignet zum Lesen und Betrachten in der blauen Stunde.

Gisela Linder (Hrsg.): Blau die himmlische Farbe, Insel-Bücherei Nr. 1361, Insel Verlag, Frankfurt a.M. und Leipzig 2014, 79 Seiten, 12,95 Euro.