19. Jahrgang | Nummer 25 | 5. Dezember 2016

NSU – Teilkomplex: Verfassungsschutz

von Gabriele Muthesius

Die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren von zwei Streifenpolizisten am Mittag des 4. November 2011 in einem im Eisenacher Ortsteil Stregda geparkten Wohnmobil vom Typ FIAT „Capron“ aufgefunden worden. Zur Untersuchung des Falles wurde bei der Gothaer Polizeidirektion durch deren damaligen Leiter, Michael Menzel, eine Soko „Capron“[1] gebildet, die gegen 9:00 Uhr des Folgetages zu ihrer Dienstberatung zusammentrat.
Gegen 11:00 Uhr stieß, telefonisch aus der Dienstberatung heraus herbeigerufen durch Menzel, der Zielfahnder Sven Wunderlich des Thüringer Landeskriminalamtes – von 1998 bis 2001 offiziell mit der Suche nach Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe befasst – zum Kreis der Beratenden.
In diesem Zusammenhang sagte die Stuttgarter Polizeibeamtin Tamara Hemme am 2. Juni 2016 in der 16. Sitzung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages aus, dass Wunderlich seinerzeit „reinkam und hat auf […] dieses Fahndungsplakat (von 1998 mit den Konterfeis des Zwickauer Trios[2]G.M.) geguckt und hat gesagt, ja, die kenne ich, an denen war ich ja dran als Zielfahnder und kurz bevor ich quasi zugreifen konnte, bin ich damals abgezogen worden, weil die abgedeckt worden sind“.
Soweit bereits dokumentiert in der Blättchen-Sonderausgabe vom 14. November.[3]

Ebenfalls in dieser 16. Sitzung und schon vor Hemme hatte deren Stuttgarter Kollege Alexander Rinderknecht hinsichtlich Wunderlich zu Protokoll gegeben: „Also er hat gesagt – und das kann ich so wiedergeben –, dass seiner Ansicht nach das Trio unter dem Schutz vom Verfassungsschutz steht.“[4]
Auf Nachfrage hat der Zeuge diese Aussage nochmals bestätigt:
Abg. Henfling:
Das hat er in dieser Runde so gesagt?
Herr Rinderknecht:
Ja.“[5]
Demzufolge hätte der Verfassungsschutz – nach Auffassung Wunderlichs – Anfang der 2000er Jahre eine Festsetzung des Trios unterbunden.
Am 02.06.2016 will Ausschuss-Mitglied Henfling darüber hinaus wissen, wie mit dieser brisanten, an sich ungeheuerlichen Mitteilung in der Dienstberatung der Soko „Capron“ umgegangen worden sei:
Abg. Henfling:
Als Herr Wunderlich das gesagt hat mit dem Verfassungsschutz, gab es dazu noch mal eine Diskussion? Also ich meine, das ist ja nichts, also ich hoffe mal, dass das nichts Selbstverständliches ist, was dort in so einer Runde fällt.
Herr Rinderknecht:
Ja, genau.
Abg. Henfling:
Wie ist denn damit umgegangen worden mit dieser Aussage? Haben Sie auch noch mal darüber gesprochen?
Herr Rinderknecht:
Ja, wir haben gesprochen. Es wurde auch dort angesprochen. Also Herr Wunderlich hat das nicht einfach unkommentiert in den Raum geworfen, sondern gesagt, dass er sich das erklärt oder dass er – so kam es rüber – es daraus folgert, weil er wohl einen Hinweis hatte, wo sich das Trio aufhalten könnte und er eigentlich geplant hatte, dann mit Kollegen diese Festnahme, sollte sie gelingen, durchzuführen und er dann von seinem Chef einen Anruf bekommen habe, diese Aktion abzubrechen. Das war dann für ihn diese logische Konsequenz.
Abg. Henfling:
Also, die Erkenntnis hatte er schon 2002, die kam jetzt nicht im Zuge des 04.11.?
Herr Rinderknecht:
Nein. Genau. Also er hatte es wohl in Verbindung gebracht damit, dass er 2002 diese Zielfahndung abbrechen musste oder abgebrochen hat – oder wie auch immer –, mit dieser Schlussfolgerung für ihn. […]
Abg. Henfling:
Okay, gut.
Vors. Abg. Marx:
Bevor ich weitergebe noch eine Ergänzungsfrage direkt dazu: Gab es denn eine Reaktion der anderen Teilnehmer vom 05.11. auf diese Aussage oder hat man das zustimmend, nickend zur Kenntnis genommen?
Herr Rinderknecht:
Ja – nein, es war schon eine kurze Diskussion eben, so wie ich es auch ausgeführt habe, ja wie, warum. Aber es war wohl dann, als diese Äußerung kam und diese Erläuterung kam, ist das so zur Kenntnis genommen worden.“[6]
Auch die Zeugin Hemme wurde nach Ihrer oben zitierten Aussage mit identischem Tenor befragt:
Vors. Abg. Marx:
Gab es zu dieser Aussage (dass Wunderlich ‚kurz vor dem Zugriff abgezogen‘[7] worden sei – G.M.) irgendeine Reaktion von Herrn Menzel oder von anderen Anwesenden?
Frau Hemme:
Keine, die mir bewusst in Erinnerung geblieben ist.
Vors. Abg. Marx:
Also nicht jetzt so: ‚Ja, hier erzähle uns nichts.‘ oder ‚Kann doch nicht sein!‘ – also keine Proteste?
Frau Hemme:
Nein, überhaupt nicht. Überhaupt nicht.“[8]

Wenn die Einlassungen Wunderlichs für Menzel also quasi „kein Thema“ waren, was Wunderlich bei seiner erneuten Einvernahme durch den zweiten Thüringer NSU-Ausschuss am 19.09.2016 bestätigte[9], dann stellt sich einmal mehr die Frage, über welches Vor-, respektive Täterwissen der damalige Gothaer Polizeidirektor am 4. und 5. November 2011 eigentlich verfügte[10].

Vor diesem Hintergrund verwundert es zugleich nicht, dass weder die Teilnahme Wunderlichs an der Beratung der Soko „Capron“ am 05.11.2011 noch seine Einlassungen zur möglichen Rolle des Verfassungsschutzes in der frühen Phase der Fahndung nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe von der Soko selbst seinerzeit protokolliert worden sind.[11]
Im Unterschied dazu die Stuttgarter Beratungsteilnehmer: Deren „Vorläufiges Einsatzprotokoll vom 05.11.“ – angefertigt von der ebenfalls am 02.06.2016 vom Thüringer NSU-Ausschuss einvernommenen Stuttgarter Polizeibeamtin Sabine Rieger – führt die Teilnahme und Äußerungen Wunderlichs an.[12]
Rieger gegenüber dem Ausschuss: „Im Protokoll steht sinngemäß ein Satz drin, also da steht drin, dass man gucken muss, dass man die Frau Zschäpe irgendwie schnellstmöglich lokalisiert oder kriegt, weil die vom Verfassungsschutz ‚abgedeckt‘ wurde.“[13]

Auch Rieger wurde nachfolgend zur Reaktion der anwesenden Mitglieder der Soko „Capron“ befragt und bestätigte die zuvor gemachten Aussagen Rinderknechts und Hemmes:
Vors. Abg. Marx:
[…] Hat das irgendwelche Reaktionen hervorgerufen, diese Mitteilung, die seien abgedeckt wurden? Erstaunen, Nachfragen oder?
Frau Rieger:
Bei mir jetzt persönlich, oder?
Vors. Abg. Marx:
Oder überhaupt, in der Runde?
Frau Rieger:
Nein, das ist nicht so. Das ist nicht näher hinterfragt worden. Also das ist jetzt nicht thematisiert worden nochmals weiter. Er hat gesagt, er war da jahrelang dran und man hat die nicht gekriegt. Irgendwie hat er das dann in den Raum geworfen. Ich habe aber auch nicht den Eindruck gehabt, dass das jetzt irgendwie eine Information war, die alle in Raunen versetzt hat. Wir konnten mit dem nichts anfangen noch am Anfang. Ich habe das deswegen aufgeschrieben, weil ich wusste, die Information könnte für mich später noch wichtig werden, weil ich hätte dann wieder einen Ansprechpartner, wo ich hingehen könnte und weiterfragen könnte. Wissen Sie, wenn ich ja nicht weiß, wie sich das Ganze entwickelt, wir haben einen Polizistenmord zu klären, dann ist es wichtig für mich, dass ich immer weitere Auskunftspersonen irgendwo festhalte. Deswegen habe ich die Information aufgeschrieben, weil das Nächste wäre gewesen, da weiter nachzufragen, was da für Erkenntnisse sind.
Vors. Abg. Marx:
Ist das denn gemacht worden?
Frau Rieger:
Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil wir haben den Fall ja abgegeben am 10.11. Also ab 11.11. waren ja GBA (Generalbundesanwalt – G.M.) und BKA (Bundeskriminalamt – G.M.) zuständig […].“[14]

Erneut aufgegriffen wurden diese Fragen durch den Ausschuss in dessen 19. Sitzung am 19.09.2016, in der der Thüringer Staatsschützer Jürgen Dressler und der Zielfahnder Wunderlich erneut einvernommen wurden.

Die Befragung von Dressler ergab:
Abg. Pelke:
[…] Noch eine Frage zu dem Thema ‚Ihr eingeschränktes Vertrauen zum Verfassungsschutz‘ – Sie haben das ja immer deutlich gemacht, auch im letzten Untersuchungsausschuss und haben auch immer gesagt, Sie sind davon ausgegangen, dass das Trio eine gewisse Hilfe vom Verfassungsschutz bekommen hat –, ich frage jetzt einfach nur noch mal: Diese Aussage sehen Sie heute noch ganz genauso und stehen dazu?
Herr Dressler:
Zum damaligen Zeitpunkt haben wir es einfach schlicht und ergreifend so gesehen,
Abg. Pelke:
Na ist ja richtig, ich frage ja nur.
Herr Dressler:
weil es die einzige für uns nachvollziehbare Erklärung war, wieso diese Menschen so sang- und klanglos unauffindbar verschwanden. Und, wie gesagt, die Erfahrungen, die man sonst schon so gesammelt hatte, ließen diese Möglichkeit durchaus als realistisch erscheinen.“[15]

Und Zielfahnder Wunderlich sagte aus:
„Das ist richtig, dass ich ihm (Menzel – G.M.) gesagt habe, dass in den Fahndungssachverhalt das LfV (Landesamt für Verfassungsschutz – G.M.) Thüringen involviert war – dafür gab es ja sogar ein eigenes Synonym[16] – und dass wir zusammengearbeitet haben und dass auch unterschiedliche Aufträge in den einzelnen Behörden bearbeitet wurden.
Vors. Abg. Marx:
Sie drücken sich jetzt sehr neutral aus. Die Kollegin, die wir hier vernommen haben aus Baden-Württemberg, hat uns in der Sitzung gesagt und auch in einem Bericht aufgeschrieben, den sie uns nachgereicht hat, Sie hätten gesagt, dass Trio sei abgedeckt worden vom Verfassungsschutz.
Herr Wunderlich:
Nein. Also mit den beiden Kollegen von Baden-Württemberg gab es längere Gespräche, die waren also nicht nur einige Minuten. Als Endtenor könnte man zu dem Eindruck kommen, dass hier eine Abdeckung stattgefunden hat. Das ist korrekt. Das wäre aber dann das Fazit aus dem längeren Gespräch. Richtig ist, dass wir gesagt haben, dass die Behörde mit involviert war und dass wir so die eine oder andere Hypothese aufgestellt haben, was denn sein könnte, dass wir sie nicht bekommen. Das ist korrekt.“[17]
Zugleich verweigerte Wunderlich am 19.09. allerdings zu der Frage, ob es konkrete Anhaltspunkte für seine Mutmaßung hinsichtlich der vermuteten Rolle des Verfassungsschutzes als Unterstützer des Trios gebe oder gegeben habe, praktisch die Aussage – und der Ausschuss ließ ihn gewähren:
Abg. Kellner:
Gab es bis heute aus Ihrer Sicht noch Anhaltspunkte, die Ihre Hypothese oder Vermutung erhärtet hatten?
Herr Wunderlich:
Dann kommen wir jetzt eigentlich in den Punkt der Spekulationen oder der persönlichen Meinung.
Abg. Kellner:
Nein, ob Sie konkrete Anhaltspunkte hatten, meine ich jetzt.
Herr Wunderlich:
Das, denke ich mal, ist Sache der Untersuchungsausschüsse in den einzelnen Bundesländern, das zu klären. Aber die Entwicklung der letzten Jahre hat ja doch schon einige auch personelle Veränderungen nach sich getragen. Ansonsten, denke ich, will ich die Sache sich so entwickeln lassen, wie sie ist.
Abg. Kellner:
Erst einmal danke.“[18]

Dass der Ausschuss sich am 02.06. und am 19.09. mit der möglichen Verantwortung des Verfassungsschutzes für das 13-jährige Nichtergreifen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe[19] befasst hat, ist dem Aufklärungsauftrag des Ausschusses nur angemessen, auch wenn diese Befragungen zunächst nicht mehr als ein Auftakt waren.
Trotzdem stellt sich die Frage, warum das erst jetzt erfolgt ist. Denn dem ersten Thüringer Ausschuss hatten zwar in der Zeit vom 16.02.2012 bis zum 16.07.2914 insgesamt 68 Sitzungen[20] nicht ausgereicht, bereits damals auch die Stuttgarter Zeugen, die den Stein jetzt im Juni ins Rollen gebracht haben, einzuvernehmen[21], dennoch verfügte das Gremium über mehrere direkte und indirekte Hinweise auf den Verfassungsschutz aus unterschiedlichen Quellen:

  • So lag dem Ausschuss ein Vermerk Wunderlichs vom 14.02.2001 vor, der „bzgl. der Fahndung nach Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe“ den Verdacht äußerte, dass eine der gesuchten Personen als ‚Quelle‘ durch den Verfassungsschutz geführt und dass das LfV Thüringen zu Aufenthaltsörtlichkeiten des Trios inaktuelle Daten liefern würde.[22]
  • Wunderlich selbst hatte dem Ausschuss seine Vorbehalte gegenüber dem Verfassungsschutz erläutert. Der Abschlussbericht des Ausschusses fasst zusammen: „Der Zeuge KHK (Kriminalhauptkommissar – M.) Sven Wunderlich antwortete auf die Frage, ob er ähnliche Fälle erlebt habe, dass ihm kein Fall bekannt sei, bei dem drei Personen unvorbereitet ‚über Nacht‘ für einen solch langen Zeitraum spurlos verschwunden sind. Das gelte insbesondere, da es sich um drei junge Erwachsene gehandelt habe, die finanziell keine Rücklagen gehabt und die auch vom Entwicklungsstand her noch am Anfang des Lebens gestanden hätten. Dass solch unterschiedliche Charaktere spurlos verschwinden, sei sehr ungewöhnlich. Es habe in diesem Fall aber funktioniert. Auch dreieinhalb Jahre Fahndung hätten nicht zu einer rückwirkenden Lokalisierung geführt. Das habe es noch nie gegeben. Zur Umsetzung des Untertauchens merkte der Zeuge an, die Drei hätten den Kontakt zu ihrem sozialen Umfeld entweder komplett abgebrochen oder nur sporadisch wieder aufgenommen. Ohne Helfer sei das spurlose Untertauchen aber nicht möglich gewesen.“[23]
  • Auch gegenüber Dritten hat sich Wunderlich entsprechend geäußert, was im Ausschuss ebenfalls zur Sprache kam. Oberstaatsanwalt Gerd Schultz sagte aus: „Der Zielfahnder Wunderlich habe ihm gegenüber geäußert, dass das Trio Unterstützung haben müsse, da sie trotz intensiver Fahndung spurlos verschwunden geblieben wären, obwohl sie blitzartig ohne Vorbereitung und ohne finanzielle Mittel flüchten mussten. Herr Wunderlich habe dann den Verdacht geäußert, dass das TLfV (Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz – M.) die drei Gesuchten unterstützt haben könnte.“[24]
    Als weitere Zeugin äußerte sich Angelika Lipprandt, Erste Kriminalhauptkommissarin a.D., vor dem Ausschuss ebenfalls in diesem Sinne.[25]
  • Staatsschützer Dressler sagte vor dem Ausschuss zu der Frage, wovon die Untergetauchten gelebt hätten, aus. Im Abschlussbericht heißt es dazu: „Schließlich habe es irgendwann geheißen, dass die Drei kein Geld mehr brauchen würden. Der Hintergrund dieser Information sei aber völlig unklar gewesen. Hinsichtlich der Frage der Geldbeschaffung der Untergetauchten seien er und Herr Wunderlich zu dem Ergebnis gekommen, dass eine staatliche Unterstützung vorliegen müsse.“[26]
  • Dem Ausschuss lag nicht zuletzt der vom Thüringer Innenministerium in Auftrag gegebene sogenannte „Schäfer-Bericht“ vor[27], der deutlich macht, dass Wunderlich mit seinem Verdacht bezüglich des Verfassungsschutzes keineswegs allein dastand. Der Bericht stellte vielmehr fest: „Die Vorstellung, das TLfV habe das TRIO logistisch unterstützt, findet sich nicht nur in Presseberichten und in der politischen Diskussion. Auch nahezu alle von der Kommission gehörten Beamten des TLKA (Thüringer Landeskriminalamtes – G.M.) waren dieser Meinung. Auch Staatsanwälte äußerten sich – freilich zum Teil eher vorsichtig – in dieser Richtung.“[28]

[1] – Diese Soko bestand bis zum 17.11.2001; an diesem Tage wurde sie „durch die zentrale BAO (Besondere Aufbauorganisation – G.M.) ‚TRIO‘ übernommen, welche federführend das BKA leitet“ (TH1309-023340-11/9, Stregda, publiziert am 27.12.2011, S. 9).

[2] – Der Stuttgarter Polizeibeamte A. Rinderknecht sagte am 02.06.2016 vor dem zweiten Thüringer NSU-Ausschuss aus: „Es war auch das Fahndungsplakat von 1998 an einer Wandtafel aufgehängt, wo die Bilder von den dreien drauf waren.“ (Thüringer Landtag, 6. Wahlperiode, Untersuchungsausschuss 6/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, 16. Sitzung am 2. Juni 2016: Wortprotokoll der öffentlichen Beweisaufnahme [im Folgenden: UA 6-1, 16], S. 10.)

[3] – Siehe: Gabriele Muthesius: Fünf Jahre NSU-Ermittlungen – Fakten, Fakes & Fehler, Das Blättchen, Sonderausgabe, 14.11.2016; http://das-blaettchen.de/2016/11/fuenf-jahre-nsu-ermittlungen-%e2%80%93-fakten-fakes-fehler-37920.html#_ednref69 – aufgerufen am 23.11.2016.

[4] – UA 6-1, 16, S. 41.

[5] – Ebenda.

[6] – Ebenda, S. 42 ff.

[7] – Formulierung von T. Hemme – siehe: ebenda, S. 63.

[8] – Ebenda, S. 63 f.

[9] – „Abg. Kellner:
Das wurde jetzt aber nicht weiter thematisiert in der Lagebesprechung?
Herr Wunderlich: Nein.“
(Thüringer Landtag, 6. Wahlperiode, Bericht des Untersuchungsausschusses 6/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, 19. Sitzung am 15. September 2016: Wortprotokoll der öffentlichen Beweisaufnahme [im Folgenden: UA 6-1, 19], S. 125.)

[10] – Die Frage nach Vor-, respektive Täterwissen Menzels ist von der Autorin bereits wiederholt thematisiert worden; siehe z. B.: Gabriele Muthesius: „Besenrein“ – oder: „Wie viel Staat steckt im NSU?“, Das Blättchen, Sonderausgabe, 05.09.2016; http://das-blaettchen.de/2016/09/%e2%80%9ebesenrein%e2%80%9c-%e2%80%93-oder-%e2%80%9ewie-viel-staat-steckt-im-nsu%e2%80%9c-37111.html – aufgerufen am 23.11.2016, Sucheingabe: Täterwissen.

[11] – Auf diesen Sachverhalt sind Mitarbeiter des MDR gestoßen; siehe ausführlicher: Endenote 12.

[12] – Siehe: UA 6-1, 16, S. 87. – Der MDR berichtete, nachdem dem Sender Teile der Stuttgarter Unterlagen übergeben worden waren: „Die Unterlagen spiegeln vor allem die ersten wichtigen Sitzungen der Fahnder in der Gothaer Einsatzzentrale wider und zeigen, dass sich eine Reihe von Informationen in den parallel geführten Thüringer Unterlagen nicht finden. Das beginnt schon mit der Anwesenheit von bestimmten Beamten. Das Innenministerium hatte dem Ausschuss eine Liste aller Polizisten übersandt, die am 5. November 2011 bei der ersten Vormittagsbesprechung dabei waren. Doch in den Baden-Württemberger Unterlagen findet sich in der Namensliste ein LKA-Zielfahnder, der in den Thüringer Unterlagen nicht erwähnt wird. Dieser Mann ist insofern wichtig, weil er in dieser Besprechung eine wichtige Aussage gemacht hatte, zu finden auf Seite sechs. Dort steht: ‚Definitiv ist aber bekannt, dass die Zielfahndung vom LKA (Landeskriminalamt – G.M.) Thüringen, der Koll. W. (Wunderlich – G.M.), seit 1999 bis 2002 nach den Personen fahndet (Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe – Anm. d. Red.). Es wurde bekannt, dass das LfV (landesamt für Verfassungsschutz – G.M.) die Zielpersonen abdeckte.‘ Im Klartext, dieser Zielfahnder, der in der Thüringer Anwesenheitsliste nicht vermerkt war, teilte den verdutzen Beamten damals mit, dass das Trio aus seiner Sicht vom Verfassungsschutz geschützt wurde. Also keine 24 Stunden nach dem Fund der Leichen von Mundlos und Böhnhardt, ist die Polizei in Gotha im Besitz dieser brisanten Informationen. Was aber tun die Beamten? In ihre eigenen Unterlagen schreiben die Thüringer Beamten das erstmal gar nicht rein.“ (Axel Hemmerling / Ludwig Kendzia, Thüringer Polizei ist weiter auf der Suche; http://www.mdr.de/themen/nsu/nsu-polizeiprotokoll-100.html – aufgerufen am 28.09.2016.)

[13] – UA 6-1, 16, S. 89.

[14] – Ebenda, S. 89 f.

[15] – UA 6-1, 19, S. 56.

[16] – Offenbar eine Anspielung auf die sogenannte „Operation Drilling“ des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, die von 1998 bis 2003 lief, teils unter Mitwirkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV); siehe: Thüringer Landtag, 5. Wahlperiode, Bericht des Untersuchungsausschusses 5/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, Drucksache 5/8080, 16.07.2014 (im Folgenden: Abschlussbericht UA 5-1), S. 81.

[17] – UA 6-1, 19, S. 120.

[18] – Ebenda, S. 126 f.

[19] – Ein Indiz dafür, dass sich diese Verantwortung wahrscheinlich nicht auf das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz beschränkt, ist der Skandal um Lothar Lingen (Deckname), den damals zuständigen beamteten Referatsleiter der Abteilung Beschaffung Rechtsextremismus im BfV, der bereits am 11.11.2011, also nur eine Woche nach dem Auffliegen des Zwickauer Trios, das Schreddern von Akten über Informanten einer Geheimoperation („Rennsteig“) veranlasste, um gegebenenfalls Hinweise auf Verbindungen des BfV zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe und/oder zu deren möglichem Umfeld zu beseitigen. Trotz eines am 13.11.2011 von der Leitung des BfV verfügten Stopps, setzte der Beamte die Aktenvernichtung fort und versuchte, dies mittels Rückdatierung zu vertuschen. Dass staatsanwaltliche Ermittlungen in dieser Sache jahrelang praktisch unterblieben und der Vorgang, der seinerzeit zum Rücktritt des Präsidenten des BfV führte, bisher keine strafrechtlichen Konsequenzen für den Täter hatte, gilt Beobachtern überdies als Hinweis darauf, dass dieses „Deckeln“ mindestens mit Duldung von oben, also wenigstens seitens des Bundesinnenministeriums, erfolgte.
(Siehe zu diesem Teilkomplex z.B.: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-aktenschreddern-bleibt-fuer-verfassungsschuetzer-folgenlos-a-1120662.html – aufgerufen am 24.11.2016.)
Kürzlich hat allerdings eine Einvernahme Lingens durch die Staatsanwaltschaft Köln die drohende Verjährung des Deliktes zum 11.11.2016 „gebrochen“; siehe: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-verfassungsschuetzer-wegen-aktenvernichtung-a-1122682.html – aufgerufen am 24.11.2016.
Zur Aktenvernichtung einvernommen worden war Lingen unter anderem am 10.10.2012 durch den zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, in dessen 24. Sitzung; siehe: Deutscher Bundestag. 17. Wahlperiode. 2. Untersuchungsausschuss: Protokoll Nr. 24 (Zeugenvernehmung: Nichtöffentlich), 10. Oktober 2012; dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/CD14600/Protokolle/Protokoll-Nr%2024b.pdf – Aufruf und Download am 24.11.2016.
Aus dem Abschlussbericht dieses Ausschusses geht hervor, dass sich das Schreddern nicht auf den 11.11.2011 beschränkte: „Am 11. November 2011 und ‚einige Tage danach‘ (Hervorhebung – G.M.) wurden durch einen Referatsleiter im Beschaffungsbereich Rechtsextremismus des BfV Akten zu Personen, die aus dem Umfeld des ‚Thüringer Heimatschutzes‘ (THS) für das BfV geworben und als VM geführt wurden, vernichtet.“ (Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/14600, 22. 08. 2013: Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes, S. 757.)
Diese Feststellung im Abschlussbericht soll der Kölner Staatsanwaltschaft jetzt den Ansatzpunkt geliefert haben, aktiv zu werden; siehe nochmals: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-verfassungsschuetzer-wegen-aktenvernichtung-a-1122682.html – aufgerufen am 24.11.2016.

[20] – Siehe: Abschlussbericht UA 5-1, S. 40 ff.

[21] – „Der Untersuchungsausschuss konnte aus zeitlichen Gründen keinen der beteiligten Beamten aus Baden-Württemberg hören.“ (Ebenda, S. 1575.)

[22] – Insgesamt führte Wunderlich in diesem Vermerk fünf kritische Punkte auf:

  • „Während der Fahndungsmaßnahmen wurde festgestellt, dass durch das LFV (= LfV – G.M.) Thüringen bereits vor der Durchsuchung Maßnahmen in Bezug auf die gesuchten Personen durchgeführt wurden.
  • Die Befragung von Kontaktpersonen und Familienangehörigen führte zu dem Schluss, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der gesuchten Personen als ‚Quelle‘ durch den Verfassungsschutz geführt wurde.
  • Durch Führungskräfte des TLKA Erfurt wurde mehrfach angedeutet, dass die Fahndungsmaßnahmen des ZFK (Zielfahndungskommando – G.M.) in der Vergangenheit kurz vor dem Erfolg standen, jedoch erfolglos bleiben mussten.
  • Die durch das LFV Thüringen an hiesige Dienststelle übermittelten Daten bzgl. der Aufenthaltsörtlichkeiten erwiesen sich stets zum Zeitpunkt der Überprüfung als richtig, aber längst inaktuell.
  • Die Zusammenarbeit mit dem LFV Sachsen ergab eine unterschiedliche Informationsübermittlung und den Verdacht, dass durch das LFV Thüringen wichtige Fahndungsdaten zurückgehalten werden.“
    (Abschlussbericht UA 5-1, S. 1482.)

Zu diesem Vermerk und dem Verdacht im Hinblick auf das TLfV heißt es im Abschlussbericht an anderer Stelle: „Der Zeuge KHK Sven Wunderlich betonte mehrfach, dass es sich bei den im Vermerk getroffenen Äußerungen um allgemeine Erkenntnisse zur Fahndung und um Hypothesen gehandelt habe, für die es keine Tatsachen als Beleg gebe. Die Inhalte seien jedoch übereinstimmende Meinung in seinem Umfeld, d.h. der eingesetzten Beamten im Zielfahndungsbereich und im Staatsschutz sowie den Dezernats-, Abteilungs- und Behördenleiter, gewesen. Außerdem habe sich in der weiteren Folge der Aufklärung der eine oder andere Punkt als richtig dargestellt. Das Misstrauen gegenüber dem TLfV, wie dies im Vermerk vom 14. Februar 2001 zum Ausdruck gekommen ist, sei im Zuge der Zusammenarbeit gewachsen. Am Anfang sei er davon ausgegangen, dass das TLfV ganz ernsthaft die Zielfahnder in ihren Bemühungen unterstützen wolle, aber dann im Nachgang habe es irgendwann den Verdacht gegeben, dass da etwas konstruiert werde, was die Zielfahnder gar nicht erkennen oder gar nicht kennen könnten. Der Verdacht sei der Fahndungserfahrung des damaligen Leiters der Zielfahndung, Herrn Ih., entsprungen. Dieser habe gesagt, hier stimme etwas nicht, es sei vieles so komisch gelaufen, dass es nicht mehr gepasst habe. Herr Ih. Habe einmal treffend gesagt, es müsse irgendeinen Grund geben, dass die Verfassungsschützer vor den Zielfahndern mit den Untergetauchten Kontakt haben wollten, weil sie noch irgendetwas zu klären hätten. Während er – der Zeuge – im Zeitraum 1998/99 noch sehr vertrauensselig gewesen sei und dem TLfV voll und ganz vertraut habe, habe Herr Ih., der zum damaligen Zeitpunkt über wesentlich mehr Fahndungserfahrung verfügt habe und bereits 20 Jahre im Geschäft gewesen sei, ein anderes Gefühl gehabt. Ab dem Jahr 2000 hätten sich dann im Zuge der Zusammenarbeit mit dem LfV Sachsen leichte Widersprüche eingestellt. Nach dreieinhalb Fahndungsjahren habe sich schließlich ein Gesamtbild ergeben, wonach sich der Eindruck oder die Hypothese, dass das TLfV Dinge macht, ohne die Zielfahndung hierüber zu informieren, zunehmend bestätigt habe. Die Zielfahnder hätten in den Jahren 2000 und 2001 dann schon den Eindruck gehabt und auch die Hypothese offen vertreten, dass vielleicht einer von den Dreien sogar zu einem Inlandsgeheimdienst – zu wem auch immer – Kontakt haben könnte. […] Nach Beispielen für Vorkommnisse befragt, die sein Misstrauen geweckt hätten, führte der Zeuge KHK Sven Wunderlich aus, seine Fahndungseinheit habe durch das LfV Sachsen erfahren, dass das TLfV Maßnahmen durchführe, die ihm und seinen Kollegen gar nicht mitgeteilt worden seien. Auf Nachfrage habe das TLfV diese Maßnahmen verneint. Es sei also klar gewesen, dass eines von beiden Verfassungsschutzämtern lüge. Zum zweiten habe er bei einer Observation mitbekommen, dass das BfV mit involviert gewesen sei, was man seiner Einheit auch nicht unbedingt habe sagen wollen.“ (Ebenda, S. 982 f.)

[23] – Ebenda, 920.

[24] – Ebenda, S. 546.

[25] – Ebenda, S. 993.

[26] – Ebenda, S. 1150.

[27] – Siehe u.a.: ebenda, S. 1009.

[28] – Gerhard Schäfer / Volkhard Wache / Gerhard Meiborg: Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung des Zwickauer Trios, Erfurt, 14.05.2012, S. 247; https://www.thueringen.de/imperia/md/content/tim/…/120515_schaefer_gutachten.pdf – aufgerufen am 10.10.2016.