19. Jahrgang | Nummer 22 | 24. Oktober 2016

Das Butterbrot

von Renate Hoffmann

O, Großer Mozart! Als er noch der kleine Mozart war, gelang ihm ein kindlicher Geniestreich. Fünfjährig soll er gewesen sein, als er aus den Sinneswahrnehmungen Sehen, Schmecken, Hören eine „Kleine Tonpartie für Klavier“ zauberte. Manche Musikwissenschaftler bezweifeln jedoch die Urheberschaft Mozarts. Es käme auch der Vater Leopold infrage, der sich das musikalische Vergnügen für seinen Filius Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus erdacht habe. Vielleicht als Übungsstück? Träfe es zu, so bliebe das Werkchen doch immerhin Familieneigentum, was seinen innewohnenden Charme kaum schmälern würde.
Man weiß inzwischen, dass Wolfgangus (in die Zärtlichkeitsform „Wolferl“ gewandelt) bereits vierjährig vom Herrn Papa allgemeinen Musikunterricht erhielt – wozu auch das Komponieren gehörte. Nebenher spielte der Knabe eifrig ein Tasteninstrument und die Geige. Auf diese Weise verbanden sich fruchtbringend Theorie und Praxis. Das beförderte sicherlich auch die Spielfreudigkeit des Sprösslings.
Nun ist es vorstellbar, dass sich aus dem täglichen Tonleiterüben eine Melodie löste, die Amadé, wie er sich später nannte, der lustigen Abfolge wegen, gefiel. Dass der hyperaktive Mozart eine schalkhafte Strähne besaß, ist bekannt. Man lese nur seine Briefe oder rufe sich das Divertimento KV 522 „Ein musikalischer Spaß“ (1787) ins Gedächtnis, bei dem die Zuhörer während der Aufführung laut gelacht haben sollen, so wird erzählt. Ähnliches geschieht beim Anhören des munteren, eingängigen, nachvollziehbaren, schmackhaften Stückes des Fünfjährigen.
Da ich es ordnungsgemäß bei Köchel verzeichnet fand, vertrete ich ernsthaft die Meinung, J.Ch.W.Th. (gleichgültig ob vier-, fünf- oder sechsjährig) ist sein Compositeur. Der musikalische Schelmenstreich wurde im „Hagenauer Haus“ Salzburg, Getreidegasse 9, drittes Stockwerk ausgeheckt: „Das Butterbrot“; Besetzung: Klavier; Opus: KV 6 C. 27. 09 (auch unter KV 6 A 284n C. 27. 09 angegeben); Kinderstücke „La tartine de beurre“. – In heiteres C-Dur gesetzt, amüsant, sowohl für die Interpreten als auch für das Publikum, perlt es über die Tastatur. Dauer: eine Minute und elf Sekunden, je nach Temperament des Pianisten.
Nun aber der Hörgenuss. Beschwingt im Dreivierteltakt und „p“ (piano) zu spielen. Anweisung: „tempo di valse“. Man hört und sieht zugleich, wie die Mama, Anna Maria Mozart, geborene Pertl die Brote bereitet, denn es sind zwei. Eines für das quirlige Wolferl, eines für die ältere Schwester Maria Anna Walpurga Ignatia, genannt „Nannerl“. Das Hin und Her und Hin und Her des Butteraufstreichens besorgen Glissandi. Dabei gleitet „der Nagel eines Fingers“ rasch über die Tasten und verbindet zwei entfernt voneinander liegende Töne miteinander. Den klavierspielenden Kindern, die gern klimpern, zum großen Spaß. Außerdem wäre es gleichzeitig ein Beweis für die Minderjährigkeit des Tonschöpfers Wolferl, der zu dieser Zeit vom sogenannten Ernst des Lebens noch nichts ahnte.
Im Zwischenteil erhalten die Butterbrote noch eine Verfeinerung durch kleine Leckereien. Wie wäre es mit einigen Tropfen Honig oder ein paar Körnchen braunen Zuckers? – Dann setzt das Bestreichen wieder ein. Fertig und guten Appetit.
Die einfache Tonfolge animierte die Musiker. Sie gaben dem „Butterbrot“ eine neue, erweiterte Geschmacksrichtung. Mit Geige und Klavier im Duett. Und sogar in Kammerbesetzung: zwei Klaviere, eine Pauke, zwei Xylophone, ein Klangholz, eine Triangel. Ein herrlicher Scherz, der sogleich für gelöste, vergnügliche Stimmung sorgt. Wer hätte das von einem simplen Butterbrot erwartet?!