von Frank Burkhard
Als mein Begleiter und ich vor der Vorstellung in der Weddinger Müllerstraße noch einen Imbiss nahmen, bediente uns ein junger Mann „mit Migrationshintergrund“ und fragte: „Wollt ihr ins Theater? Das ist da drüben, gleich neben der SPD!“ Aus die Gegenfrage, ob er dort schon gewesen sei, antwortete er: „Nur einmal, leider. Ich muss ja hier meistens arbeiten.“
Der Wedding ist seit Jahrzehnten Berlins „Melting Pott“ mit Zuwanderern aus der Türkei, Griechenland, arabischen Ländern. Darum heißt die Theater-Soap des Prime Time Theaters (das tatsächlich in enger Nachbarschaft zum Kurt-Schumacher-Haus in einem ehemaligen Kino residiert) grammatisch falsch „Gutes Wedding – schlechtes Wedding“. Auf der Bühne findet man neben zahlreichen merkwürdigen Deutschen auch türkische, griechische oder tschechische Charaktere – selbst Sachsen und Schwaben (die ihnen in Sachen Komik den Rang abgelaufen haben) bekommen ihr Fett weg. Das Publikum, das mittlerweile nicht mehr nur aus dem Weddinger Kiez sondern aus ganz Berlin und halb Deutschland kommt, amüsiert sich königlich. Aber die angestrebte Mischung erkennt man nicht – zumindest nicht auf den ersten Blick. Wahrscheinlich müssen zu viele Türken abends arbeiten.
In der Folge 106 „Der Wedding-Express“ würden sie leider oder auch zum Glück ihresgleichen nicht wiederentdecken. Diesmal stehen die seltsamen Deutschen im Mittelpunkt. Die hochschwangere Sabrina (Alexandra Marinescu), die nicht weiß, von wem ihr Kind stammen könnte, nimmt Reißaus vor Freund und Eltern und trifft im Regionalexpress das „Prenzlberger“ Öko-Pärchen Lore und Volker (Julia Franzke, Robert F. Martin), das auf dem Weg zu einer ländlichen Swinger-Party ist. Mit im Abteil eine neue Figur, die pubertierende Wendy-Leserin Steffi. Cynthia Buchheim spielt sie genauso überzeugend wie ihre mehr als doppelt so alte Rolle als Fitness-Frau Jutta von Da, die in dieser Folge den korpulenten Curly trainiert. Dem wiederum gibt Oliver Tautorat seinen dicken Bauch. In dieser Folge der Sitcom, die gern Fernsehreihen parodiert, brilliert er auch als XXL-Ostfriese Tamme Hanken in einem kleinen Film, der im Nordberliner Vorort Lübars entstand.
Schauspieler Philipp Lang (diesmal nur im Einspieler zu sehen) ist Eisenbahn-Fan, und als er an der Reihe war, selbst eine Folge zu schreiben, erfand er eine Fahrt im Abteil. Das kennt man schon von Ludwig Thoma, aber viel altmodischer. In Zeiten von Aktiengeschäften der DB und Rüdiger Grubes Fehlleistungen hätte Lang viel Aktuelles unterbringen können, worauf er aber verzichtete. Was hier parodiert wird, sind nur die mangelnden Englisch-Kenntnisse des Personals. Wer noch Bahn fährt, kennt dessen tapferes Bemühen. Die Sitcom verkneift sich leider die meisten politischen Anspielungen. Nur Sabrinas Vater Hartwig (Daniel Zimmermann) wird einmal per Skype vom „Kongress der Arschlöcher“ zugeschaltet und trifft dort einen Thomas, der Innenminister sei. Das ist so treffend wie dünnblütig. Ein bisschen mehr Kabarett dürfte schon sein. Sonst wird es kein modernes Pop-Theater, sondern bestenfalls aufgepeppter Ludwig Thoma.
Gutes Wedding – schlechtes Wedding, Folge106: Der Wedding-Express, Prime Time Theater Berlin-Wedding, Müllerstraße 163, 26.9., 1./2.10., 13.-31.10. jeweils Donnerstag bis Montag 20.15 Uhr.
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