19. Jahrgang | Nummer 19 | 12. September 2016

80 Jahre Rügendamm

von Dieter Naumann

Vor 80 Jahren wurde der Rügendamm seiner Bestimmung übergeben. Vorausgegangen waren zahlreiche nicht realisierte Projekte: Bereits 1812/13 gab es Bauanfänge für eine Überbrückung des Strelasundes durch die Schweden. Die waren in den Häfen um Mönchgut mit rund 20.000 Soldaten angelandet, die nach Stralsund verlegt wurden, um gegen Napoleon zum Einsatz zu kommen. Da die Stralsunder Festungsanlagen durch kriegerische Auseinandersetzungen arg gelitten hatten, bestand für die Truppen höchste Gefahr bei einem erzwungenen Rückzug. Deshalb wurde der Bau einer doppelten Schiffsbrücke in Angriff genommen. Die Verbindung zwischen Stralsund und Dänholm sowie der Brückenkopf für den zweiten Brückenteil waren bereits fertiggestellt und mit „respectabeln Carthaunen gespickt und durch Palisaden und Gräben gesichert“. Die siegreiche Völkerschlacht bei Leipzig hob den Zweck des Baues jedoch auf.
Rund dreißig Jahre später unterbreitete ein unbekannt gebliebener Bürger am 3. November 1841 in der Stralsunder Zeitschrift Sundine einen Vorschlag für eine „sichere Communication von Pommern nach Rügen durch eine, auf Steinkisten gebaute doppelte Zugbrücke (um den passierenden Schiffen den Durchgang zu gestatten), nebst einer festen chausseeartigen Landwege über Dänholm […]“. Er begründete die Notwendigkeit unter anderem mit der dann erreichten festen Verbindung „in strategischer und localer Hinsicht“, mit der Förderung von „Commercium und Flor Stralsunds“ und mit der Gewährleistung des sicheren Güter- und Personentransportes für Bergen, Putbus und Garz.
Unter den nicht realisierten Brückenprojekten ist auch das der „Nordbahngesellschaft“ von 1868 zu nennen, mit dem eine Verbindung Berlin – Neustrelitz – Stralsund – Arkona hergestellt werden sollte. Die Verwirklichung scheiterte am Konkurs der Gesellschaft 1872.
1879 erreichte im Rahmen eines Schinkel-Wettbewerbs ein Plan den ersten Platz, der mit den damaligen technischen Möglichkeiten des Eisenbahnhochbaues auch zu realisieren gewesen wäre. Für seine Verwirklichung fehlte aber nicht nur das Geld: Um die Schifffahrt nicht zu behindern, wären wegen der geplanten Brückenhöhe von 30 Metern über der Wasseroberfläche sehr lange Anfahrtsrampen erforderlich gewesen, die zu Problemen in Stralsund geführt hätten.
Andere Pläne zur Überbrückung des Strelasundes sahen eine Brücke nur zum Dänholm und von da den Einsatz von Trajekten vor; eine Kettenfähre war kurzzeitig im Gespräch, wurde aber wegen der hohen Kosten für Schiff und Kette und fehlender Erfahrungen mit derartigen Schiffen aufgegeben. Das Projekt einer doppelstöckigen Hochbrücke für Normal- und Schmalspurbahn aus dem Jahre 1913 sah für die Abwicklung des Straßenverkehrs eine Schwebefähre vor. Später wurde sogar über einen eingleisigen Eisenbahntunnel nachgedacht; die Fachzeitschrift Bautechnik veröffentlichte das Projekt des Hannoveraner Ingenieurs Meyer in ihrer Ausgabe 12/1928.
Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhunderts gab es im Zusammenhang mit dem Zugverkehr nach Schweden Pläne für eine Brücke nach Hiddensee als Alternative zum damals noch in der Planungsphase befindlichen Rügendamm. Der Bau wäre zwar genauso teuer gekommen und hätte auch genau so lange gedauert, aber die Fahrzeit der Eisenbahn hätte sich verkürzt. Im Idealfall wäre der Zug von Berlin nach Sassnitz 3,75 Stunden, der von Berlin über die Nordbahn nach Vitte auf Hiddensee aber nur 3,5 Stunden unterwegs gewesen, eine weitere halbe Stunde hätte zwischen Vitte und Trelleborg eingespart werden können. Für 2,5 Millionen Mark sollte ein Damm über die Sandbank Gellerhaken geschüttet und für weitere 1,5 Millionen Mark der Hafen von Vitte den neuen Anforderungen angepasst werden. Militär und Tourismusunternehmen waren begeistert, wieder einmal fehlte aber das Geld.
Der Fährverkehr zwischen dem Festland und Rügen hatte um die Jahrhundertwende inzwischen Ausmaße angenommen, die mit den Trajektschiffen nicht mehr pünktlich zu bewerkstelligen waren. Nicht selten bildeten sich an beiden Fährköpfen lange Schlangen von Güterwaggons. Eine Brücke oder ein Damm waren alternativlos. „Seelig‘s Rügen Führer und Rathgeber mit Karten‘ schrieb 1889: „Eine feste Brücke zwischen Stralsund und Altefähr ist seitens der Regierung in Aussicht genommen, sobald die im Bau befindliche Bahn von Bergen nach Sassnitz fertig ist.“
Den Ambitionen der 1911 gegründeten „Interessen-Gemeinschaft der Kleinbahn und des Stralsundisch-Rügenschen Brückenbaues“ machte jedoch die Bergener Kaufmannschaft wegen befürchteter Geschäftsschädigung einen Strich durch die Rechnung. Es bestehe „kein erhebliches Interesse hinsichtlich der Überbrückung für Wagen- und Automobilverkehr“, erklärte 1913 der rügensche Kreistag. Zu den Gegnern des Brückenbaus gehörte „natürlich“ auch die Reederei J. F. Braeunlich, deren Schiffe vorrangig den Urlaubverkehr mit der Insel und später auch die Postdampferlinie Saßnitz-Trelleborg bedienten. Dennoch stellte „Arthur Schuster‘s Führer durch die Insel Rügen“ von 1913/14 euphorisch fest, der Brückenbau zwischen Stralsund und Rügen sei beschlossene Sache: „Die projectierte Brücke über den Strelasund, mit deren Bau in kürzester Zeit begonnen wird, dürfte ein Bauwerk und Sehenswürdigkeit ersten Ranges werden. Sie führt von Stralsund über den Dänholm nach Altefähr auf Rügen und würde als die längste Brücke der Welt anzusehen sein, welche die bisher größte Brücke über den Firth of Forth noch um 222 m überflügelt“ Mit dem ersten Weltkrieg hatte sich auch das zunächst erledigt.
In den zwanziger Jahren gründete sich wieder ein „Verein zur Förderung des Rügendammbaues“. Auch die Stralsunder Fischverarbeiter hatten es recht eilig: Auf den Bratfischdosen der Marke „Rügendamm-Heringe“ war bereits eine kühne Brückenkonstruktion abgebildet. Aber erst im März 1931 beschloss die Regierung das Projekt eines Damm- und Brückenbaus, erster Spatenstich war am 1. September jenes Jahres. Nach kurzer Zeit gingen jedoch die Mittel aus. Hintergrund war der Zusammenbruch des Streichholzunternehmens des Schweden Ivar Kreuger, der mit seinen Einnahmen Deutschland Kredite für den Rügendamm gewährte, die nun wertlos wurden.
1932 ging es an beiden Brückenköpfen weiter. Bei den Arbeiten wurden gewaltige Stahlbetonkästen als Stützen in den morastigen Grund des Strelasundes getrieben. Die Arbeiter mussten in den Hohlkörpern bei einem Überdruck von bis zu 2,5 Atmosphären bis zu drei Stunden wie unter einer Taucherglocke arbeiten und die Brückenpfeiler in den Grund treiben.
Die Eisenbahnbrücken gehörten damals zu den größten durchgängig geschweißten Brücken der Welt. Insbesondere die Ziegelgraben-Klappbrücke war eine technische Meisterleistung. Das Sydvendska Dagbladet Snällposten schrieb, „nicht einmal Amerika, wo doch alles ‚biggest in the world‘ sein muss, kann etwas Ähnliches aufweisen“. In einer zeitgenössischen Schrift wurde aufgelistet, dass beim Bau des Rügendammes innerhalb von „rund 600.000 Arbeitstagewerken […] etwa 26.000.000 Raummeter Boden bewegt, 11.800 Tonnen Eisen und Stahl sowie 48.000 Raummeter Beton eingebaut“ wurden, außerdem fand „eine durchschnittliche Zahl von 1.000 deutschen Arbeitern […] für drei Jahre am Platze Beschäftigung“. Insgesamt waren 25,9 Millionen Reichsmark verbaut worden.
Am 5. Oktober 1936, 13:52 Uhr, fuhr ein Reichsbahnsonderzug mit 1.300 Ehrengästen über die erste feste Verbindung zwischen dem Festland und der Insel Rügen. In Altefähr angekommen, wurden Festreden gehalten, wobei zeitgemäß zuerst dem „Führer“ gedankt wurde, der dies alles angeblich ermöglicht habe. Die fünf Fährschiffe der Strelasundflotte, die zum letzten Mal die Hafeneinfahrt passiert hatten, holten ihre Flaggen ein. Nach Beseitigung der alten Trajektanlagen konnte ab Pfingsten 1937 auch der Autoverkehr über den Damm rollen.
Am 2. Mai 1945 wurde der Rügendamm durch eine Kommandoeinheit der Wehrmacht an entscheidenden Stellen gesprengt, wodurch Rügen tatsächlich wieder zur Insel wurde. Die Verbindung wurde zunächst durch eine Pontonbrücke der Roten Armee behelfsmäßig instandgesetzt. Ab 2. Oktober 1946 konnte der Straßenverkehr über den Rügendamm wieder aufgenommen werden. Im Mai 1947 wurden die Ziegelgraben- und die Sundbrücke durch die Lauchhammerhütte notdürftig repariert, im Oktober 1948 war der Damm für Eisenbahnzüge passierbar.
Heute kann eine weitere feste Verbindung zur Insel Rügen genutzt werden (die erste Pfahlgründung erfolgte am 31. August 2004, die endgültige Freigabe für Kraftfahrzeuge am 22. Oktober 2007). Das Bauwerk ist insgesamt 4.135 Meter lang, davon die Brücke 2.831 Meter. Optisch imposant ist die 583,3 Meter lange Schrägseilbrücke mit dem 128 Meter hohen Pylon, an dem 114 Kilometer Stahllitzen die Brückenkonstruktion halten. In diesem Bereich gewährleistet die Brücke eine maximale Durchfahrthöhe von 42 Metern.