19. Jahrgang | Sonderausgabe | 11. Juli 2016

Spiel statt Sinn?

von Franz Schandl, Wien

Postmodernen Denkern wie dem Hannoveraner Philosophieprofessor Hans von Fabeck ist das Leben bereits zum Spiel geworden: „Gleichwohl gibt es das gute Leben in der Postmoderne bereits.“ Das Spiel wird gegen den Sinn ausgespielt, um es sogleich im aktuellen Dasein triumphieren zu lassen. Fragmentierung und Flexibilisierung, Enttypisierung und Differenzierung werden als freies Spiel interpretiert und nicht als realkapitalistische Drohung. Diese Veränderungen erfahren in manchen postmodernen Theorien ja tatsächlich blanke Affirmation. Da sind die alten Korsette weg, und schon umjubelt der freie Bürger diverse Zumutungen als einen „Spiel-Raum fragmentarischer Vielfältigkeit zwischen Virtuellem und Realem, Privatem und Öffentlichem, in dem prinzipiell jedes menschliche Handeln (unter Regeln und mit Mitspielern) zu einem besonderen sozialen Spiel werden kann“.
Fabecks Rede liest sich wie ein Plädoyer der Charaktermasken: „Spieler in der Postmoderne zu sein, heißt dann auch, gewöhnlich mehr als nur eine Rolle zu spielen.“ Zum postmodernen Subjekt vermerkt er kategorisch: „Er ‚spielt‘ in diesem Sinne also nicht nur eine ‚Rolle‘, er ist sie (wenn er sie gut spielt).“ Gefragt ist eins, das als sein eigenes Marionettentheater (Wie stelle ich mich vor? Wie trete ich auf? Wie komme ich an? Wie komme ich durch?) zügig durch die Gegend eilt, gezwungen wie fähig immer an den richtigen Schnüren zu ziehen. Abermals wird Freiheit ganz hegelisch als adäquate Programmierung gedeutet. Dieses Ich ist ein reflexives Sich, a priori dem Objekt untergeordnet.
Indes ist der Grundgedanke, dass das Leben Spiel sein soll und nicht Sinn zu haben hat, schon richtig, nur dieses bereits erfüllt zu sehen, völlig abwegig. Es steht nicht an, viele Rollen zu spielen, sondern keine spielen zu müssen, es geht nicht um eine Multiplikation der Identitäten, sondern um eine Negation derselben. Der Spieler hat also dezidiert kein Subjekt zu sein. Fabeck identifiziert Dividuieren mit Individuieren. Dort, wo Rollen gespielt werden, soll das freiwillig geschehen und auch in einem Bewusstsein, welches das Ich und das Sich nicht verwechselt. Das Leben soll Schauspiele einbeziehen, aber es soll kein Schauspiel sein. – Vergessen wir nicht: Wenn der Spieler seine Rolle ist, spielt er keine Rolle mehr!
Es gilt nicht dem vorgezeichneten „Ich bin viele“ zu entsprechen, sondern durchaus auf seiner eigenen Defragmentierung zu bestehen: „Ich will mich!“, das einem „Ich will nicht!“ folgt. Defragmentierung heißt, dass eins sich nicht als bloß Zerrissener, sofern als authentische Einheit haben will, so sehr die Praxis auch stört. Allerdings ist das einmal mehr das Einfache, das schwer zu machen ist. Das Ich, soweit konstituierbar, ist eine Anforderung außerhalb der Rollen, ist es das nicht, dann ist es gar nicht vorhanden, sondern durchgestrichen und somit inaktiv.
Es ist nichts damit gewonnen, die große Erzählung gegen die kleinen Erzählungen – das Patchwork diverser Rollen – auszutauschen. Die Postmoderne ist, was ihre Resultate betrifft, eine Regression der Moderne, kurzum eine modernde Moderne, alles andere als post. Zentral ist nach wie vor die Frage, ob wir postgeschichtlich oder prägeschichtlich sind. Hier scheiden sich postmoderne Auffassungen fundamental von den unseren, da wir mit Marx davon ausgehen, dass wir noch in der Vorgeschichte leben, der wirklich Eintritt in eine selbst gemachte Geschichte, wenn überhaupt, erst bevor steht.
Hans von Fabeck hingegen will keine verbindlichen Allgemeinheiten mehr sehen, die fallen wohl unter das Verdikt der großen Erzählung: „Das Allgemeine gibt es in der Postmoderne aber nur noch in seiner dekontextualisierten, fragmentierten Form: als unterschiedliche Spielregeln für unterschiedliche Spiele.“ Zwei Seiten weiter schreibt er jedoch postwendend, und man ist einigermaßen überrascht: „Die Postmoderne hingegen lebt vom ständigen Wechsel, in Unrast und Beschleunigung. Wo das Bessere der Feind des Guten, ist Stillstand Verlust. Das zeigt sich denn auch am Passepartout der Postmoderne, am Geld. Allein zur Sicherung seines Bestands gegen die Drohung der Entwertung durch Inflation steht es unter dem Zwang seiner Vermehrung im erfolgreichen Investment – dem finanziellen ‚Engagement auf Zeit‘“. Wie wahr! Das Geld als nicht enden sollende Zahlung ist die große Erzählung, die hier einfach übersehen wird.

Hans von Fabeck: Vom Sinn zum Spiel. Ein Leitfaden in die Postmoderne, Passagen Verlag, Wien 2015, 153 Seiten, 17,90 Euro.